Die Spinnerin, 1818

Ridolfo Schadow, Die Spinnerin

Marmor, SPSG Skulpt.slg. 5579

Die Spinnerin (13) modellierte Schadow im Jahr 1816. Die dargestellte junge Frau hält ein fertiges Garnknäuel in der erhobenen linken Hand. Der herabhängende Faden und die daran befestigte Handspindel fehlen heute. Die vieldeutige Figur – Spinnerin oder Schicksalsgöttin – war ungemein populär. Sogar Gedichte wurden ihr gewidmet. 1821 erwarb der preußische König diese Skulptur, unwissend, dass sie bereits dem bayerischen Kronprinzen gehörte. Damit sorgte er kurzzeitig für eine diplomatische Krise.

 

1818 bestellte der Kronprinz von Bayern, der spätere König Ludwig I., bei Schadow in Rom ein Exemplar der Spinnerin. Er bezahlte den Künstler, so dass dieser den dafür nötigen Marmor kaufen konnte. Um seine Werke in Berlin bekannter zu machen, sandte Schadow 1820 diese Figurund eine Sandalenbinderin zu seinem Vater. Johann Gottfried Schadow richtete eine kleine Ausstellung in seinem Atelier aus und lud auch die königliche Familie zur Besichtigung ein. König Friedrich Wilhelm III. von Preußen kaufte Anfang 1821, nach einigen Tagen Bedenkzeit, die Spinnerin und die Sandalenbinderin. Was folgte, war für Ridolfo höchst unangenehm: Er musste dem bayerischen Kronprinzen mitteilen lassen, dass der preußische König sein Eigentum, die Spinnerin, gekauft hatte. Um dieses Dilemma zu lösen, begann Ridolfo sogleich mit einer neuen Ausführung für den bayerischen Kronprinzen. Unglücklicherweise verhinderte sein früher Tod, dass dieses Exemplar jemals vollendet wurde. Heute sind noch acht Exemplare der Spinnerin bekannt (Liverpool, Walker Art Gallery; Mailand, Galeria d'Arte Moderna; Mailand, Pinacoteca Ambrosiana; St. Petersburg, Eremitage; Köln, Wallraf-Richartz-Museum; Privatbesitze), wobei die Wissenschaft von einer höheren Zahl ausgeht, die Schadows Werkstatt verließen.

Ridolfo Schadow begeisterte mit der Spinnerin das Publikum. Grazil wirkt diese Darstellung einer jungen Frau. Das kunstvoll frisierte Haar ist ihr einziger Schmuck. Aufmerksamkeit erregte sicherlich auch das sich eng an den Körper schmiegende leichte Gewand. 1816, Schadow hatte die Skulptur gerade entwickelt, zeichnete sie Ignazio Podio (aktiv 1810-1830) und Domenico Marchetti (1780-1838) fertigte davon Kupferstiche an (17 und 18). Marchetti war für die Bildhauer Roms, allen voran Antonio Canova und Bertel Thorvaldsen, einer der wichtigsten Kupferstecher, der ihre Bildwerke in das Zweidimensionale bannte. Sehr gut sind an den beiden Kupferstichen der Spinnerin die heute fehlenden Teile der Skulptur zu sehen: Faden und Spindel. Sie erleichtern es zu erkennen, welcher Tätigkeit die junge Frau nachgeht. Das hier gezeigte sogenannte „Spinnen im Flug“, ohne das geläufige Spinnrad, war bis in das 20. Jahrhundert hinein üblich. Gewöhnlich gehörte noch der Spinnrocken dazu, ein stabförmiger Gegenstand, auf dessen Ende die rohe Wolle gesteckt wird. So zeigt es Christoffer Wilhelm Eckersberg (1783-1853) in seinem Aquarell einer spinnenden Römerin (19).

Mit der Darstellung einer Spinnerin eröffnete Schadow dem Publikum ein breites Spektrum von möglichen Interpretationen. Stellte er etwa die Parze Nona (griech.: Klotho) dar, die den Lebensfaden spinnt, bevor ihre ältere Schwester diesen durchtrennen wird? Und wie fügt sich diese Skulptur in das Ensemble der anderen zwei sitzenden Mädchen ein? Das Thema der Spinnerin war zum Anfang des 19. Jahrhunderts in Poesie und Musik sehr beliebt. Man denke an Johann Wolfgang Goethes „Die Spinnerin“ (1795, vertont von Franz Schubert 1815), Ludwig Tiecks „Die Spinnerin“ (1797, vertont von Fanny Hensel 1823-34) oder Clemens Brentanos „Der Spinnerin Nachtlied“. Auch Schadows Spinnerin wurden Gedichte in deutscher und englischer Sprache gewidmet. Sie unterstreichen, wie diese Skulptur als eines der herausragenden Stücke der Bildhauerkunst der Romantik Sehnsucht und Phantasie beflügelte.

Sylva van der Heyden
 

Die Spinnerinn


Zu einem Fürsten war ich jüngst gegangen,

Im Saale standen leuchtende Gebilde.

Es waren jener Männer Wapenschilde,

Die „auf die Kraft zum Ziele ließ gelangen“.


Da saß ein Mädchen still und unbefangen,

Voll Anmuth, Zartheit, jungfräulicher Milde.

Wohl gleicht sie Hesperos im Sterngefilde

In ihres Zaubers unbewußtem Prangen.


Grüss‘ ich in dir die Herrinn dieser Gauen?

Die nur zum Spiel die Spindel in der Hand?

Verließest Du, o Charis, Hella’s Auen,

Und spinnst du hier Zytherens Busenband?

So rief ich aus. Sie aber sprach: Ich bin

Des lieben Meisters Schadow Spinnerinn.


Johann Graf Mailath, in: Zeitschrift für Kunst, Litteratur, Theater und Mode, 21.11.1821

(Gedicht auf die Spinnerin in der Sammlung des Fürsten Esterházy)

 

Die Spinnerin.

Statue von Schadow dem Jüngeren in Rom.


Die Jungfrau trägt die Spindel in den Händen,

Der Glieder Pracht hält das Gewand umfangen

Und stolze Ruh umspielt ihr Stirn‘ und Wangen

Sie weiß, sie kann, was sie begann, vollenden.

Es wird der Sieg sich nimmer von ihr wenden

Wer wagt an ihrem stolzen Blick zu hangen,

Vergeht in Sehnen und in Glutverlangen,

Und fleht umsonst ihm Liebeswort zu spenden.


So sieht man sie mit stolzem Selbstvertrauen

Kühn in den Sonnenglanz des Lebens schauen,

Verschmähend noch der Liebe Rosenauen.


Pygmalion, zurück! Was frommt dein Streben

Der Künstler schuf in Stein ein blühend Leben,

Doch nimmer wird die Seele niederschweben.


Elise von Hohenhausen, in: Zeitung für die elegante Welt, Nr. 240, 1821, Sp. 1913-1914