Amor, 1821/22

Ridolfo Schadow, Amor

Marmor, SPSG Skulpt.slg. 2800

Von Anfang an plante Schadow, den drei sitzenden Mädchen Amor (11) gegenüberzustellen. Nach einer früheren kleineren Fassung entstand diese Version ab Sommer 1821. Wieviel Anteil er selbst an der Ausführung hatte, ist ungewiss. Er starb bereits im Januar 1822. Im November sah König Friedrich Wilhelm III. den fertigen Amor im Atelier in Rom und entschloss sich zu der Erwerbung. Die Skulptur kam 1824 in das Königliche Palais in Berlin zu den bereits angekauften Figuren der Spinnerin und Sandalenbinderin.

 

Das Motiv des Amor beschäftigte Schadow bereits ab etwa 1812, also bald nach seinem Eintreffen in Rom. In einer Bleistiftzeichnung ist die Darstellung Hebe gibt Amor zu trinken als Rundbild nach einem von ihm geschaffenen Gipsrelief überliefert (bei www.kettererkunst.de, 2009, Los 136 mit der Datierung 1818 sowie ohne Datierung zuletzt bei www.fichterart.de). Das Sujet könnte auf ähnliche Reliefs von Bertel Thorvaldsen zurückgehen, so: Amor beklagt sich bei Venus über einen Bienenstich (1809), von dem es auch Zeichnungen in Form eines Tondos gibt. Der Verbleib des Modells sowie der zumindest angefangenen Marmorausführung von Schadow ist unbekannt. Amor steht mit dem Bogen in der linken Hand vor der sitzenden Hebe, die ihm ein Trinkgefäß reicht. Erkennbar sind die großen, bis auf Höhe der Kniekehlen reichenden Flügel, die Schadow auch für seinen sitzenden Amor wählte.

Als Anregungen dienten ihm sowohl antike als auch zeitgenössische Bildwerke, die er in Rom kennen lernte. Der berühmte, den Bogen spannende Amor (Rom, Kapitolinische Museen) zeigt einen etwa gleichalten, jedoch stehenden Knaben. Er beugt sich in einem ähnlichen Winkel wie Schadows Amor nach vorn. Der am Baumstamm hängende Köcher mit den Pfeilen ist nur an Schadows früherer, lediglich 85 cm hoher Fassung des Amor (Mailand, Pinacoteca Ambrosiana) erhalten. Bei der Ausführung für den preußischen König ging der Köcher vermutlich um 1945 verloren.

Der an den Mund gelegte Finger geht auf Harpokrates, die griechische Bezeichnung für den altägyptischen Kindgott Horus, zurück. Die Geste symbolisierte in diesem Zusammenhang bei den Griechen und Römern unter anderem das Schweigen, das Bewahren von Geheimnissen und die Vertraulichkeit. Die Geste passt zu dem intimen Augenblick, da sich Amor entscheiden muss, welchem der drei Mädchen er den Blumenkranz in seiner rechten Hand geben wird.

Das natürlich-lässige Sitzmotiv und der Felsen finden sich in bekannten antiken Darstellungen, wie dem Sitzenden Hermes oder Schlafenden Faun wieder. Ebenso vorbildhaft wirkten der Hirtenknabe (1817) und Merkur (1818) (22) von Bertel Thorvaldsen (1770-1844). Diese beiden letzteren Werke befanden bzw. befinden sich als Bronzegüsse im Park Sanssouci. Mit dem dänischen Bildhauer pflegte Schadow in Rom einen engen Austausch. Thorvaldsen war es auch, der den preußischen König neun Monate nach Schadows Tod durch dessen Atelier führte und vermutlich den Ankauf des Amor für Berlin anregte.

Silke Kiesant