Zweimal im Jahr drehen wir an unseren Uhren – so auch am Sonntag, dem 30. März 2025. Doch in den preußischen Schlössern bleiben manche Zeitmesser unbewegt. Besonders faszinierend ist die Pendule à l’anglaise mit Flötenspielwerk im Schloss Sanssouci. Sie schlägt noch Töne an, wenn auch nicht mehr ganz sauber.
Im zweiten Gästezimmer des Schlosses Sanssouci hört man manchmal Glockenschläge und Flötenklänge, die ein bisschen „schief“ klingen. Was es mit dieser Uhr aus der Zeit Friedrichs des Großen auf sich hat, warum sie nicht mehr die aktuelle Zeit anzeigt und warum die Töne, die sie von sich gibt, digital abgespielt werden, erläutert die Uhrenkustodin Dr. Silke Kiesant.
Warum laufen die Uhren in den preußischen Schlössern nicht?
Unsere Flötenuhr, die hier stellvertretend für die kostbaren Zeitmesser in den preußischen Schlössern steht, ist in der Vergangenheit sehr häufig restauriert worden, zuletzt 2022 von dem Altenburger Uhrenrestaurator Dirk Sparborth. Aufgrund der vielen Vorschäden ist es nicht ratsam, die Uhr ständig laufen und spielen zu lassen. Es stellte sich heraus, dass die Mechanik verschmutzt war, einige Teile korrodiert sowie Zapfen und Wellen der Antriebslager eingelaufen waren. Jede Restaurierung hinterlässt ihre Spuren, so sind bereits 70 Prozent der originalen Lager ersetzt worden. Es fanden sich nachträglich angelötete Teile und Abrieb von Material. Beim Flötenwerk zeigten sich ebenfalls starke Abnutzungsspuren durch den jahrhundertelangen ständigen Gebrauch. Bis vor etwa 20 Jahren wurde die Uhr regelmäßig aufgezogen und lief.
Um den verbliebenen Originalzustand bzw. die originalen Teile der Mechanik weitestgehend zu erhalten, wählte man bei der letzten Restaurierung einen Mittelweg: Die Uhr wurde gereinigt, nur die nötigsten Teile ersetzt und anschließend konserviert. Dies führt allerdings dazu, dass nicht alle Töne der auf der Walze gespeicherten Melodien sauber getroffen werden: Die Musik klingt daher an einigen Stellen „schief“. – Diese vorsichtige Vorgehensweise zeigt ein offensichtliches Dilemma zwischen dem Wunsch, die Uhr so, wie sie einmal gedacht war, mit ihrer Flötenmusik erlebbar zu machen, und dem Gebot, so viel Originalität wie möglich an dem Kunstwerk zu erhalten. Beides geht unmöglich zusammen.
Daher ergab sich der Kompromiss, bei dem der Uhrenrestaurator so behutsam wie möglich vorging, um viele authentische Teile zu erhalten. Nach der Restaurierung stellte er eine akustische Aufnahme der Glockenschläge und der acht Melodien her. Die vier besten Stücke, deren Herkunft wir nicht kennen, werden – sehr zur Freude der Besucherinnen und Besucher – durch ein externes digitales Gerät abgespielt.
Friedrich der Große konnte es sich leisten, für wöchentliches Aufziehen und Warten seiner mechanischen Kostbarkeiten einen eigenen Uhrmacher in Sanssouci zu beschäftigen. Es handelte sich dabei um den „ausrangierten“ Soldaten Heinrich Janson, der zuvor viele Jahre im 1. Bataillon Garde der königlichen Leibkompanie gedient hatte. Im Oktober 1750 erhielt er erstmals aus der Privatschatulle (!) Friedrichs des Großen seinen Lohn als „königlicher Uhrsteller“ in den Potsdamer Schlössern.
Solch ein Luxus ist heute undenkbar. Nicht nur die jetzigen Verhältnisse zwingen dazu, die Uhren nicht mehr laufen zu lassen und in größeren Abständen zu reinigen und zu konservieren. Auch eine entsprechend moderne Restaurierungsethik verbietet bei diesen historisch bedeutsamen Kunstwerken einen ständigen Betrieb. Der normale Verschleiß in der Mechanik würde nach und nach erfordern, immer mehr originale Teile auszuwechseln, die man jedoch bewahren möchte. So fand man bei den Musikspieluhren immerhin den Kompromiss, durch digitale Möglichkeiten das Musikerlebnis dennoch zu ermöglichen. Und viele Menschen nutzen heutzutage ohnehin ihr Mobiltelefon oder die gute alte Armbanduhr, um die aktuelle Zeit zu erfahren.
Im Marmorpalais im Neuen Garten erklingen ebenfalls auf digitalem Wege die prächtige astronomische Flötenuhr von Oberhofuhrmacher Christian Möllinger sowie das feine Glockenspiel der sogenannten Pompadour-Uhr, geschaffen von Michel Stollewerck (Flötenwerk) und vermutlich Jean-Pierre Latz (Gehäuse).
Wie sieht die Pendule à l’anglaise mit Flötenspielwerk aus und aus welchen Teilen besteht sie?
Das kompakte kastenförmige Gehäuse mit dem Segmentbogen-Abschluss über dem Zifferblatt erinnert an eine englische Bracket Clock, eine Uhrenform, die im 17./18. Jahrhundert sehr beliebt war. Ursprünglich hingen diese Zeitmesser mittels einer Halterung an der Wand, so dass die Antriebsgewichte frei nach unten hängen konnten. Als später die federgetriebenen Uhren entwickelt wurden, die die Gewichte überflüssig machten, behielt man aber den sogenannten Bracket-Stil bei.
Das mit Thujamaserholz furnierte Gehäuse ruht auf nach innen gerollten Bronzefüßen. An den Seiten befinden sich Tragegriffe: typisch für diesen Uhrentyp, da – in einer Zeit, als es nicht in jedem Zimmer eine Uhr gab – man diese mitunter in einen anderen Raum mitnehmen wollte. Die Gehäuseseiten sind von innen mit Stoff bespannt, um den Schall der Musik nach außen dringen zu lassen. Denn im Inneren befindet sich nicht nur das Uhrwerk, sondern auch eine „Miniorgel“.
Hinter dem schönen schüsselförmigen Emailzifferblatt befindet sich im Inneren auf engstem Raum die Mechanik: das Achttage-Gehwerk mit Federantrieb, Spindelhemmung und Rechenschlagwerk, das den Stundenschlag auf einer Glocke, den Viertelstundenschlag auf zwei Glocken auslöst. Das Flötenspielwerk liegt darunter. Bei der letzten Untersuchung fand der Uhrenrestaurator Dirk Sparborth an der Federhaus-Trommel im Schlagwerk den mit einer Nadel eingeritzten Namen Rouson und das Datum 1776. Eine wichtige Entdeckung, denn sie hilft uns, die Uhr genauer zu datieren. Im Inventar von Schloss Sanssouci aus dem Jahr 1782 kann sie erstmals im zweiten Gästezimmer nachgewiesen werden.
Alle Bestandteile des Flötenwerks liegen sehr kompakt auf engem Raum unter dem Uhrwerk. Dieses Gehwerk löst alle drei Stunden das Musikwerk aus, kann aber auch durch einen Hebel manuell betätigt werden. Auf der nicht auswechselbaren Holzwalze, die mit Stiften und Brücken besetzt ist, sind acht Melodien gespeichert. Wir haben es hier also mit dem Prinzip der frühesten „Musikkonserven“ zu tun. Es gibt auch viele Musikuhren, bei denen man die Walze mit der programmierten Musik auswechseln kann. Die Walzen wurden meist im selben Raum in einer Kommode aufbewahrt. Somit kam keine Langeweile und kein Überdruss an den Ohrwürmern auf, und man konnte sich sogar seine Lieblingsmusik beim Walzensetzer bestellen. Haydn, Mozart, Gluck und viele andere Komponisten schrieben eigene Ministücke, die etwa 1 bis 3 Minuten dauern, für solche Musikspieluhren.
Sobald der Blasebalg aus Ziegenleder in Bewegung gesetzt wird, strömt die Luft in die neun gedackten Zinnpfeifen: Die oberen Enden der Pfeifen sind „gedeckt“ (geschlossen), und so erklingen die Flötentöne.
Wer könnte die Uhr hergestellt haben?
Solche Flöten- oder Automatenuhren in Gehäusen im englischen Stil (à l'anglaise) wurden im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts im Schweizer Kanton Neuenburg (Neuchâtel) hergestellt. Häufig schreibt man sie der Werkstatt von Pierre Jaquet-Droz, einem der berühmtesten Uhrmacher aus La Chaux-de-Fonds, zu. Tatsächlich befindet sich im Internationalen Uhrenmuseum in La Chaux-de-Fonds eine Flöten- und Automatenuhr aus der Werkstatt der Familie Jaquet-Droz, die den gleichen Gehäusetyp wie die Uhr Friedrichs des Großen aufweist.
Doch auch andere Schweizer Hersteller kommen in Frage, in unserem Fall wahrscheinlich der damals ebenfalls hochgerühmte Abraham Louis Huguenin. Auch er stammte aus La Chaux-de-Fonds und wurde 1765 Direktor der Königlichen Uhrenfabrik in Berlin, wo er unter anderem Musikspiel- und Automatenuhren anbot. Diese waren aber offenbar für das Berliner Publikum zu kostspielig, so dass er schon wenige Jahre später mit Verlusten die Manufaktur, die Stadt und Brandenburg-Preußen wieder verließ. Wir wissen, dass Huguenin nicht nur sein Werkzeug, Material und auch Rohwerke aus der Schweiz mitbrachte, sondern auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, allerdings in seinem Fall hauptsächlich seine Verwandten. Die hochgeschätzten ausländischen Fachleute erhielten von Friedrich dem Großen weitreichende Privilegien, wie ein Haus mit Werkstatt, Zollfreiheit für die Ausfuhr ihrer Produkte und eine Befreiung vom Armeedienst.
Komplizierte Musikuhren entstanden in vielfältiger Arbeitsteilung, die in den Schweizer Uhrenzentren über Jahrzehnte gewachsen war. In Berlin war das um die Mitte des 18. Jahrhunderts noch nicht der Fall. Insofern leistete Huguenin eine wichtige Pionierarbeit, da er mit den Schweizer Fachkräften auch das Neuenburger Uhrenknowhow mitbrachte und dazu beitrug, in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Berlin zu einem führenden Herstellungsort für Musikspieluhren zu machen.
Unsere leider nicht signierte Flötenuhr könnte also in der Berliner Uhrenfabrik entstanden sein, die auch nach Huguenins Weggang unter anderer Führung bis kurz nach 1800 weiterbestand.
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