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Fußball und Sanssouci

14. Juni 2024 Von Alexander Reich

Wie die „Kranzwerfende Viktoria“ zum Symbol für sportlichen Erfolg wurde

Es ist das Sport- und Tourismus-Highlight des Jahres: Heute startet die Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland. Vier Wochen lang feiern die Deutschen ihren Lieblingssport zusammen mit Millionen Fans aus aller Welt.

Zu diesem Ereignis passend ist uns in den Sammlungen der SPSG ein ganz besonderes Stück deutscher Fußballgeschichte aufgefallen. Die höchste Fußball-Auszeichnung war Jahrzehnte lang die Meistertrophäe „Kranzwerfende Viktoria“. Sie zeigt eine junge geflügelte Göttin auf einem Felsen sitzend. Den rechten Fuß und den linken Arm stützt sie auf dem Felsen auf, das linke Bein hängt locker davon herab. Der Kopf ist leicht nach rechts unten gewandt. Mit dem rechten Arm – in der Hand hält sie als Siegeszeichen den Lorbeerkranz – holt sie zum Wurf aus, als wolle sie ihn einem imaginären Sieger zuwerfen.

Die eigentliche „Kranzwerfende Viktoria“ (1841), das Vorbild für die spätere Trophäe, stammt vom Bildhauer Christian Daniel Rauch (1777–1857). Eine Bronzereplik von 1846 befindet sich auf der obersten Terrasse des Orangerieschlosses im Park Sanssouci. Bei der „Viktoria“ handelt sich um ein Kunstobjekt mit spannender Geschichte, das häufig reproduziert wurde – ein wahres Meisterwerk des 19. Jahrhunderts. Und es prägte die deutsche Fußballgeschichte des 20. Jahrhunderts mit!

Beziehung von Sport, Kunst und Geschichte

Was haben diese drei Dinge miteinander zu tun? Sehr viel. Bereits in der Antike gab es bedeutende Sportveranstaltungen, die damals nicht nur Wettbewerbscharakter hatten, sondern auch eine Ehrerbietung an die Götter und Göttinnen sein sollten. Ein wichtiger Aspekt war das Recht der Gewinner:innen darauf, den Göttern eine Statue mit dem eigenen Namen widmen zu dürfen. Eine große Ehre. Bereits in der Antike – vor allem jedoch im Römischen Reich – durften Frauen und Mädchen in Ausnahmefällen an Sportaktivitäten und Wettkämpfen teilnehmen. Es gibt aus dieser Zeit dementsprechend viele Skulpturen von Athlet:innen, die aufgrund ihrer künstlerischen Bedeutung immer wieder kopiert und aufgestellt wurden, auch in Preußen im 18. und 19. Jahrhundert.

Viktoria alias Nike

Wichtig war natürlich auch das Gewinnen an sich und schnell hatte sich Viktoria (griech. Nike), die Göttin des Sieges, als Symbolfigur etabliert. Geflügelt und mit einem Lorbeerkranz in den Händen zeichnet sie seit mehr als 2.000 Jahren die Sieger:innen aus. Als Insigne für einen besonderen Erfolg kann der Lorbeerkranz auch für sich alleinstehen.

Die mythologische Viktoria ist bis heute populär. Vor allem in der Neuzeit und Moderne fand sie Verbreitung im sportlichen, wissenschaftlichen und militärischen Kontext. 1964 wurde die Sportmarke „Nike“ ins Leben gerufen mit dem deutlich erkennbaren Verweis auf die Siegesgöttin im Namen und bekleidet seither die erfolgreichsten Sportler:innen unserer Zeit – und die, die es werden wollen.

Trophäe im deutschen Fußball

Es verwundert also nicht, dass diese antike Ikonographie der Viktoria mit Lorbeerkranz auch für den Fußball und die deutsche Meisterschaft von Bedeutung war: Im Jahr 1900 stiftete das „Komitee für die Beteiligung Deutschlands an den Olympischen Spielen“ dem Deutschen Fußball-Bund einen Wander-Ehrenpreis in Gestalt der „Victoria“ (damals noch mit „c“ geschrieben), die alljährlich zwischen den Vereinen des Rugby- und den Vereinen des Fußball-Verbandes ausgespielt werden sollte. Seit 1903 erhielt den Preis der Deutsche Fußballmeister. Der VfB Leipzig war die erste Mannschaft, die sich über die „Victoria“ freuen konnte. Sie wurde bis 1944 jedes Jahr verliehen. Da es sich um einen Wanderpokal handelte, von dem nur ein Exemplar existierte, musste die Trophäe immer vom vorherigen Siegerverein an den nächsten weitergereicht werden.

Dann verschwand sie in den Wirren des Krieges. Ersatzweise wurde ab 1949 die bis heute verwendete Meisterschale an den besten Fußballverein Deutschlands vergeben. Die ursprüngliche „Viktoria“-Trophäe tauchte erst 1990 wieder auf und befindet sich heute im Deutschen Fußball Museum in Dortmund.

Warum ausgerechnet die „Viktoria“ von Rauch?

Es handelt sich um das vielleicht erfolgreichste Werk des Bildhauers Rauch und es gab eine große Zahl an einflussreichen Liebhaber:innen dieser Skulptur. Rauch fertigte sie im Auftrag des bayerischen Königs Ludwig I. 1841 als lebensgroße Marmorskulptur für die Walhalla in Regensburg an. Ludwig war begeistert, ebenso der preußische König Friedrich Wilhelm IV., der direkt zwei exakte Kopien in Auftrag gab – eine für das Berliner Schloss und eine als Geschenk für Queen Victoria. Er ließ auch kleinere Versionen in Bronze und Porzellan anfertigen. Das Meisterwerk Rauchs gehörte schnell zu den meistbewunderten Skulpturenschöpfungen des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Es entstanden Repliken, Kopien und Nachgüsse in allen möglichen Materialien und Größen für den Adel und das Bürgertum.

Nur wenige Kunstwerke der Geschichte lösten eine so langanhaltende Faszination aus, nachdem sie geschaffen wurden, und sind noch derart lange kulturell bedeutend. 60 Jahre nach ihrer Entstehung entschied ein Gremium, sie zum Vorbild für die Meisterschaftstrophäe zu nehmen. Die von Rauchs Werkstattmitarbeiter Julius Franz als Verkleinerung angefertigte Bronzeversion der „Kranzwerfenden Viktoria“ von 1846 wurde als Modell verwendet.

Die Rauch‘sche „Viktoria“ erfreute sich auch im europäischen und außereuropäischen Ausland großer Beliebtheit, wo man ebenfalls Kopien, Abgüsse und Druckgrafiken sammelte. Wir sehen sie heute noch an öffentlichen Orten als Denkmalskulptur, in vielen Museen und sogar als Tattoo-Motiv!

Ruhmreicher Bildhauer

Trotz der Berühmtheit der Siegestrophäe ist der Name ihres Schöpfers der breiten Gesellschaft kaum im Gedächtnis geblieben. Doch der Bildhauer Christian Daniel Rauch gehört zu den bedeutendsten deutschen Künstlern des gesamten 19. Jahrhunderts und prägte mit seinen Werken unter anderem das Stadtbild Berlins. Als er in Bad Arolsen nördlich von Kassel geboren wurde, war sein späterer Ruhm nicht abzusehen. Nachdem er seine Ausbildung zum Bildhauer unterbrechen musste, um Kammerdiener der Königin Luise von Preußen zu werden, nützte ihm das durchaus. Er arbeitete weiterhin privat an seinen Skulpturen, bis sein Talent vom Königspaar mit einem Rom-Stipendium belohnt wurde. Dort schuf er nach dem plötzlichen Tod der Königin unter anderem ihre national und international sehr beachtete Grabskulptur, die man heute im Mausoleum im Schlossgarten Charlottenburg bewundern kann.

Rauch wurde zum Preußischen Hofbildhauer befördert und gestaltete bedeutende Kunstwerke für verschiedene europäische Königshäuser. Eines seiner Meisterwerke steht noch heute Unter den Linden in Berlin, das monumentale Reiterstandbild Friedrichs des Großen (1851).

Alexander Reich ist Schlossassistent am Schlossmuseum Oranienburg.

 

Weitere Informationen zum Thema Frauen im Sport im antiken Griechenland (engl.)
Mehr zur Geschichte der Viktoria-Trophäe auf der Website des FC Bayern

Mehr zur 5.000 Werke umfassenden Skulpturensammlung der SPSG

 

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