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Alte Kunstwerke für das wiederaufgebaute Schloss

10. April 2024 Von SPSG

Provenienzforschung zu ausgewählten Objekten für Schloss Charlottenburg

von Sylva van der Heyden und Benjamin Sander

Derzeit werden in der Abteilung Schlösser und Sammlungen der SPSG in zwei Forschungsprojekten die Hintergründe der Kunsterwerbungen nach 1945 für das Schloss Charlottenburg erforscht. Das erste Projekt widmet sich den Möbelankäufen durch die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin (SSG) von 1950 bis 1990 und wird vom Berliner Senat finanziell getragen. Im zweiten Projekt, gefördert vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, werden die Provenienzen (die Herkunft) der Ankäufe des Freundeskreises der SPSG von 1983 bis 2013 untersucht. Die Recherchen sollen klären, ob es sich bei den erworbenen Objekten um einen verfolgungsbedingten Entzug durch das NS-Regime handeln könnte.

Zwischen den beiden Forschungsbereichen bestehen sehr viele Schnittmengen, denn im Zentrum aller Erwerbungen, die sowohl von der SSG wie auch vom Verein der Freunde getätigt wurde, stand die Wiedereinrichtung des Schlosses Charlottenburg. Die Sommerresidenz der Königinnen und Könige von Preußen war im Zweiten Weltkrieg durch Bombentreffer zerstört und durch Feuer massiv beschädigt worden. Das Schloss – bestehend aus dem Alten Schloss (erbaut 1695–1699), dem östlich angrenzenden Neuen Flügel (vollendet 1743) und der westlich angrenzenden Orangerie (vollendet 1712) – wurde von 1949 an abschnittsweise wiederaufgebaut.
 

Die Wiedereinrichtung des Schlosses Charlottenburg

Für die Einrichtung der Schlossräume konnte zum Teil das vor der Bombardierung ausgelagerte Inventar verwendet werden. Alle verbliebenen Lücken im Mobiliar und der Kunstgegenstände wurden über Jahrzehnte durch Ankäufe, Schenkungen und Dauerleihnahmen ergänzt. Für die Auswahl kamen nur Objekte in Frage, die bestimmte Kriterien erfüllten, die Margarete Kühn (1902–1995), Direktorin der Verwaltung der SSG und zugleich federführende Akteurin im Wiederaufbau des Schlosses Charlottenburg, und ihre Mitarbeiter festgelegt hatten. Im Idealfall gehörte das Objekt bereits früher zur Ausstattung der Schlösser und konnte durch Ankauf wiedergewonnen werden. Dabei handelte es sich oftmals um Teile der Einrichtung, die nach dem Ende der Monarchie an die Familie der Hohenzollern abgegeben wurden und durch sie danach auf dem Kunstmarkt verkauft wurden. Eine weitere Kategorie, die ein Objekt interessant erscheinen ließ, war eine Beziehung zu Preußen. Das konnte bedeuten, dass das Objekt etwa in Preußen hergestellt wurde oder von einem preußischen Künstler oder einer Künstlerin stammte. Wenn es dazu noch von herausragender Qualität war, konnte auch dies ein Ankaufsgrund sein. Die letzte große Kategorie sind qualitätvolle Äquivalente, die angeschafft wurden, da sie fehlenden und nicht ersetzbaren Objekten in Stil und Motiv entsprechen.
 

Durch die historischen Inventarbücher, die zu einem großen Teil das Kriegsgeschehen überdauert haben, konnte in Einzelfällen genau geprüft werden, ob Ersatzobjekte in Material, Stil und Motiv in Frage kamen. Der Kunstmarkt in Deutschland war nach dem Zweiten Weltkrieg noch unübersichtlich und der Handel mit Antiquitäten erfolgte über einzelne Geschäftsleute, die sich gezielt mit Einzelstücken an die Direktorin Kühn wandten. Die Ankäufe der West-Berliner Schlösserverwaltung ab den 1950er Jahren fanden zunehmend auf dem nationalen und internationalen Kunstmarkt statt, indem auf Auktionen, Messen oder direkt im Kunsthandel gekauft wurde. In der Orangerie des Schlosses Charlottenburg kam zwischen 1982 und 1995 jährlich der Verband der Berliner Kunst- und Antiquitätenhändler e. V. zusammen und veranstaltete eine national und international beschickte Kunstmesse.

1983 wurde der Verein der Freunde der Preußischen Schlösser und Gärten e. V. gegründet. Durch dessen gemeinnütziges Engagement konnten in Absprache mit der Verwaltung der SSG bedeutende Kunstobjekte für die Schlösser Charlottenburg, Grunewald, Pfaueninsel und Glienicke erworben werden. Seit dem Mauerfall weitete der Freundeskreis sein Engagement auf alle ehemaligen preußischen Schlösser in Berlin und Brandenburg aus. Heute befinden sich in allen Schlössern der SPSG Dauerleihgaben des Freundeskreises.

Die drei folgenden Beispiele illustrieren, wie eine Erwerbung verläuft. Wir berichten aus laufenden Forschungen, so dass eine abschließende Bewertung der Rechtmäßigkeit zum jetzigen Zeitpunkt nicht in jedem Fall erbracht werden kann.

Zwei Kommoden – Preußische Handwerkskunst in Wien

1961 wurden zwei Kommoden des preußischen Hoftischlers Johann Gottlob Fiedler (1735–1818) im Schloss Loosdorf im Norden von Wien entdeckt. Der Fund ging auf das Konto von Franz Windisch-Graetz, damaliger Möbelkurator am Museum für angewandte Kunst in Wien. Rund 20 Jahre später wendete sich die Familie Piatti, im Besitz des Schlosses seit 1833, über einen Mittelsmann aus Wien an die Verwaltung der SSG und bot die beiden Kommoden zum Kauf an. Die Verwaltung ging auf das Angebot ein, denn die beiden Objekte stellen Zeugnisse der herausragenden Qualität der Preußischen Handwerkskunst dar. So wurden bei der Lotto Stiftung Berlin Gelder zur Finanzierung des Ankaufs beantragt und die Hürde bestand nur noch in der Ausfuhrgenehmigung des österreichischen Bundesdenkmalamts. Doch das Denkmalamt verweigerte zur Überraschung aller Beteiligten die Genehmigung. Drei Jahre später kam zumindest eine Kommode in Schloss Charlottenburg an, nachdem die Lotto Stiftung fortwährend darum gebeten wurde, den hohen dreistelligen Ankaufbetrag vorzuhalten, der Besitzer zusehends entgangene Zinsen geltend machte und sogar ein Bundespräsident bei einem Besuch in Wien das Thema aufs Tapet brachte. Die Ausfuhr einer der zwei Kommoden war der Kompromiss des österreichischen Bundesdenkmalamtes nach drei Jahren Verhandlung. Dabei stützte sich das Amt auf die unbelegte Provenienz, der nach die Kommoden zusammen mit dem Schloss 1833 von den Fürsten zu Liechtenstein erworben wurden, die aus Berlin mit den Möbeln für ihre Verdienste im Krieg gegen Napoleon belohnt worden sein sollen. So gehören die Kommoden historisch zu dem Schlossbau und damit zum schützenswerten Kulturerbe Österreichs. Doch weiter bestand immer noch die Möglichkeit, dass die Familie Piatti die Kommoden erworben hatte, nachdem sie das Schloss gekauft hatten. Darauf ging das Denkmalamt aber nicht ein. So stehen sich zwei unbelegte Thesen gegenüber, die jeweils noch darauf warten, bestätigt oder verworfen zu werden.
 

Sechs Bibliotheksschränke im Tausch für ein Gemälde

1965 kamen sechs Schränke aus der Bibliothek Friedrichs II. in Schloss Charlottenburg zurück aus den Händen der Familie Hohenzollern. In den hohen Kastenmöbeln mit vier Glastüren waren die Bücher des Königs untergebracht. Ihren Weg durch die Jahrhunderte belegen eine Reihe historischer Dokumente. Im Plünderungsbericht von 1760 hielt der Kastellan Daun fest, was die österreichischen Truppen nach dem Einmarsch in Berlin und der Besetzung des Schlosses angerichtet hatten: „In der Bibliothec sind in denen 6. Cedernen Holz Spinden 3. Gläser zerschlagen sonst ohnbeschädigt. Einige Bücher sind mitgenommen, jedoch viele gerettet.“

Anhand zweier Inventareinträge lassen sich die Schränke noch im späten 18. und 19. Jahrhundert als Einrichtung des Schlosses nachweisen. Dem zweiten Eintrag aus dem Jahr 1892 zufolge standen die sechs Bücherschränke im Erdgeschoss des Neuen Flügels in Raum 311, der Bibliothek. Der Eintrag korrespondiert mit dem angebrachten Inventaraufkleber an einem der Stücke.
 

Die durchgestrichene laufende Nummer 5 sowie die durchgestrichene Anzahl an Schränken bedeutet, dass sie aus dem Inventar ausgetragen wurden. In der Spalte Abgang ist das Datum dazu eingetragen, der 3.12.1919. Wie die Schränke dann nach Haus Doorn, dem Wohnsitz des 1918 exilierten Kaisers Wilhelm II. in den Niederlanden gelangten, ist unklar, standen der kaiserlichen und königlichen Familie gemäß dem „Vertrag über die Vermögensauseinandersetzung zwischen dem Preußischen Staat und den Mitgliedern des vormals regierenden Königshauses“ doch nur Objekte aus Schloss Monbijou zu und all jene, die nach 1888, dem Zeitpunkt des letzten Regierungsantritts, gefertigt wurden. Sicher ist aber in jedem Fall, dass die Verwaltung der SSG von der Vermögensverwaltung des Hauses Brandenburg-Preußen die sechs Schränke im Tausch gegen ein Gemälde des Hofmalers Antoine Pesne (1683–1757) zurückerhielten.
 

Klein gegen groß – Die Marmorstatuette von Kaiserin Alexandra

Im Jahr 1995 erwarben die Freunde der Preußischen Schlösser und Gärten auf der Auktion in Baden-Baden bei Sotheby's eine Marmorstatuette der Kaiserin Alexandra von Russland, geborene Prinzessin Charlotte von Preußen (1798–1860).
 

Die 43 cm große Skulptur, die sich heute als Dauerleihnahme im Schloss Charlottenburg befindet, war bis 1995 im Besitz der Markgrafen und Großherzöge von Baden. Dieses Bildwerk des Berliner Bildhauers Carl Wichmann (1775–1836) ist eine verkleinerte Ausführung einer lebensgroßen Version, die 1828 auf der Berliner Akademieausstellung vorgestellt wurde. Erwähnt werden im Katalog der Akademieausstellung zwei lebensgroße Ausführungen in Marmor; eine davon befand sich bereits im Besitz des preußischen Königs (datiert 1827), die andere wurde für den Kaiser von Russland gefertigt (Kopie davon heute im Winterpalast, St. Petersburg). Im April 1828 wies König Friedrich Wilhelm III. an, die „sitzende Statue Meiner Tochter, der Kaiserin von Rußland Majestät“ im Gartensaal des Schlosses Charlottenburg aufzustellen, wo sie fortan blieb.
 

Im November 1943 stürzte die Decke des Gartensaals als Folge der Bombardierung ein und zerstörte die Skulptur.

Noch sind nicht alle Abschnitte der Biografie dieses Stückes geklärt: Wie viele Versionen der Skulptur hatte der Bildhauer Wichmann geschaffen? Neben den drei bekannten Ausführungen, der beiden lebensgroßen und der Reduktion, soll sich Mitte des 19. Jahrhunderts eine weitere Reduktion im Besitz von Kaiser Nikolaus I. (1796–1855) befunden haben. Seit wann war die Statuette im Besitz der Markgrafen von Baden? Kam diese über die dynastischen Verbindungen zwischen dem Großfürstentum Baden, dem Königreich Preußen und dem Zarenreich Russland in badischen Besitz? Oder über andere Wege? Diese Fragen werden im Laufe des Projektes zu klären sein.

Recherche in der Vergangenheit, um die Zukunft zu klären

Welche wichtige Rolle die Recherchen über die Klärung eines NS-verfolgungsbedingten Entzugs hinaus für die Erwerbungsprozesse spielen können, machen die drei kurzen Objektbiografien deutlich. So wurde im Falle der zwei Kommoden ihre Auslieferung nach Deutschland von ihrer Provenienz abhängig gemacht. Beim Ankauf der sechs Bibliotheksschränke stellt sich nach der Provenienzrecherche die Frage, warum sie Schloss Charlottenburg überhaupt verlassen hatten und wie es zu dem Tauschgeschäft kam. Der Erwerb der Wichmann-Statuette auf der Auktion in Baden-Baden durch den Freundeskreis hingegen war eine einmalige Gelegenheit, eine verlorene Skulptur durch diese authentische Version der Berliner Bildhauerkunst zu ersetzen und mit ihrer Hilfe die wechselvolle Geschichte des Ortes Schloss Charlottenburg zu erzählen.

Sylva van der Heyden (Freunde der Preußischen Schlösser und Gärten e. V.)
Benjamin Sander (Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg)

 

Mehr Infos zum Wiederaufbau: www.spsg.de/stilbruch

Weitere Informationen zur Provenienzforschung in der SPSG

 

 

 

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