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„Wir lernen die Welt mit anderen Augen zu sehen“

06. Januar 2023 Von Ortrun Egelkraut

SPSG-Generaldirektor Prof. Dr. Christoph Martin Vogtherr zum Themenjahr „Churfürst – Kaiser – Kolonien“

Das Thema Kolonialismus ist in unserer Gesellschaft angekommen. Wie sehen Sie die Debatte?

Der Umgang mit dem kolonialen Erbe ist ein Thema, mit dem sich gerade viele Menschen beschäftigen, über das sich viele erregen, über das wir alle sehr viel lernen und wobei wir erleben, dass die Gesellschaft noch mit sich ringt, wie sie sich in Zukunft dazu verhalten will. Wir sind dabei zu lernen, die Welt mit anderen Augen zu sehen, weil Geschichte, Wirtschaft, Kunst und Kultur nicht nur in Europa gemacht wurden und werden. Zum einen haben wir es jetzt mit Fragen und Perspektiven zu tun, die uns auffordern: Überlegt doch mal, wie sieht das denn von der anderen Seite aus. Zum anderen ist unsere Bevölkerung deutlich vielfältiger geworden, mit unterschiedlichen Biografien und Erfahrungen, die Teil unserer Diskussion werden müssen. Man kann nicht länger behaupten, dass dieses Thema nicht relevant ist, nicht zu uns gehört. Das ist falsch.

Was können die Schlösser zu dieser Diskussion beitragen?

Wir haben festgestellt, dass erstaunlich wenig über die kolonialen Verbindungen des preußischen Hofes vor allem im 17. und frühen 18. Jahrhundert bekannt ist. Schlösser waren Orte der Macht, hier haben die Regierenden gewohnt, gearbeitet, repräsentiert, politische Ziele verfolgt. Dazu gehörte der transkontinentale Versklavungshandel unter dem Großen Kurfürsten. Uns ist wichtig, an die Anfänge zu erinnern. Zu diesem frühen Teil der preußischen Kolonialgeschichte können wir viel Neues beitragen. Über die Kolonialpolitik im Deutschen Kaiserreich ist weit mehr bekannt.

Die Stiftung hat 2020 begonnen, in den eigenen Sammlungen Objekte mit kolonialen Kontexten zu untersuchen. Beispiele sind auf der Website veröffentlicht. Warum jetzt eine Ausstellung zu diesem Thema?

Je mehr wir recherchiert haben über Objekte, je mehr Geschichten hinzu gekommen sind, je mehr Biografien von Schwarzen Menschen wir erzählen können, auch je mehr Reaktionen und Kontroversen entstanden sind, umso schneller wurde klar: Das ist ein gutes Thema für eine Ausstellung und besonders für ein Themenjahr unserer Stiftung. Das Schöne dabei: Hier ist gerade etwas im Entstehen, was jetzt entdeckt wird, wo noch ein Urteil zu fällen ist, wo Positionen noch zu klären sind. Es wird also eine Art Werkstattbericht mit Informationen und Meinungen. Ich glaube, dass wir einem breiten Publikum Anstöße für eine sehr lebhafte Diskussion geben können, auch mit dem künstlerischen Kommentar zum Reiterstandbild des Großen Kurfürsten vor dem Schloss Charlottenburg.
 

Was war Ihre spannendste Entdeckung?

Das war eher eine subjektive Erfahrung. Wenn man erst einmal darauf gestoßen wird und dann durch die Schlösser geht und merkt: Hier sind wirklich viele Schwarze Menschen abgebildet und das sind keine Staffagefiguren, sondern – dazu hat unser Team beigetragen – Menschen mit Namen und Schicksalen. Man sieht immer mehr, dass diese Biografien auch in der Zeit existierten, in der es kein aktives koloniales Handeln des Hofes gab. Im 19. Jahrhundert war Alexander von Humboldt häufig in den Schlössern zu Gast und hat viel berichtet. Darstellungen dessen, was er gesehen hat sind in den Schlössern vertreten. Das Thema hat also viele Aspekte, von der reinen Neugierde bis hin zu äußerster Brutalität. Die kolonialen Spuren und was bis heute fortwirkt, auch in Begrifflichkeiten, die wir oft gedankenlos verwenden, sind Teil unserer Geschichte, in der wir noch viel entdecken können. Das ist nicht immer schön, manchmal anstrengend, aber immer spannend und oft sehr beeindruckend. Ich finde, immer wieder etwas Neues zu lernen, ist eine sehr schöne Erfahrung.
 

Gibt es eigentlich Restitutionsforderungen an die SPSG?

Unsere Stiftung ist eine große Ausnahme in der Debatte. Wir wissen bisher von keinem Objekt, dass es im weitesten Sinne widerrechtlich in einem kolonialen Kontext in die Schlösser gekommen ist. Objekte aus anderen Kulturen waren meist Staatsgeschenke oder wurden im internationalen Handel erworben. Von einigen chinesischen Porzellanen wissen wir, dass sie im Auftrag und nach Vorgaben des preußischen Hofes in China hergestellt und geliefert wurden.
 

Das Interview führte Ortrun Egelkraut

 

Prof. Dr. Christoph Martin Vogtherr ist seit 2019 Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG). 2020 initiierte er ein Projekt zur Aufarbeitung und Vermittlung der kolonialen Vergangenheit des preußischen Hofs. Erstes Ergebnis war die Umbenennung des „Mohrenrondells“ im Park Sanssouci, das seinen ursprünglichen, wiederentdeckten Namen „Erstes Rondell“ zurückerhielt. Den aktuellen Stand der weiteren Forschung präsentiert ab Juli die Sonderausstellung „Schlösser. Preußen. Kolonial. Biografien und Sammlungen im Fokus“ im Berliner Schloss Charlottenburg. Die Schau ist der wichtigste Beitrag zum Themenjahr „Churfürst – Kaiser – Kolonien“.

Der Beitrag ist zuerst erschienen in der SANS,SOUCI. 01.2023

 

 

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