Die kunstvollen Wandteppiche der preußischen Schlösser waren Bilder, Schmuck, Wärmedämmung und Schallschutz in einem. Die Geschichte hinter den Textilen Kunstwerken ist genauso spannend wie die Geschichte von Gemälden. Dr. Susanne Evers, Kustodin der Textiliensammlung der Stiftung erinnert an das Wandbild „Flora“, das anlässlich der Watteau-Ausstellung einige Monate im Schloss Charlottenburg zu sehen war. “Flora“ wurde nach Motiven des französischen Künstlers Antoine Watteau gewebt und befindet sich nun wieder im Depot des Berliner Stadtmuseums.
Im strohgelben Kleid thront Flora auf einem Felsen und wendet sich direkt dem Betrachter zu. Mit spitzen Fingern hält sie eine Rose in die Höhe, die sie einem randvoll gefüllten Blumenkorb neben sich entnommen hat. Rosen beschäftigen auch die beiden Liebespaare, die sich links und rechts vom Felssockel niedergelassen haben. Links kniet ein Liebhaber in blauem Anzug mit Umhang vor der von ihm hoffierten Dame. Voller Begehren drängt er sich fast schon unziemlich nahe an sie heran. Als Zeichen seiner Zuneigung überreicht er ihr zwei rote Rosen und sieht sie schmachtend dabei an. Sie erwidert seinen Blick – interessiert und doch noch etwas zögerlich. Die Farbe der Rosen korrespondiert mit ihrer rotbraun changierenden Seidenrobe. Auch bei den beiden Figuren rechts scheint eine Liebesanbahnung im Gange zu sein. Mit dem Pilgerstab in der Rechten wird der Kavalier als auf den Spuren der Liebesgöttin wandelnder Pilger charakterisiert. Aufmerksam wendet er sich seiner Begleiterin in blauem Kleid zu, die mit einem blumenbekränzten Strohhut und einem Blütenkragen ebenfalls als Pilgerin auf der Suche nach dem Liebesglück geschildert ist. Der Rosenkorb auf ihrem Schoß könnte eine erotische Beziehung andeuten.
Es ist die Blumengöttin Flora, die hier im Mittelpunkt des Wandteppichs steht. Das handgewebte Bild für die Wand oder auch französisch die „Tapisserie“ entstand zwischen 1740 und 1750 und war ursprünglich Teil einer Jahreszeitenfolge, in der sie den Frühling repräsentierte. Die beiden Liebespaare spielen auf Flora als Begleiterin der Venus an, der Göttin der „Liebe und deren Ergötzlichkeiten“.
Die amourösen Darstellungen des Wandteppichs stehen in der Tradition der Bildgattung der fêtes galantes, die im frühen 18. Jahrhundert von dem Franzosen Antoine Watteau in die Malerei eingeführt wurde. Einer der größten Sammler dieses neuen Bildtypus war der preußische König Friedrich II. Im friderizianischen Berlin waren die Werke dieses Künstlers in Malerei und angewandten Künsten hochgeschätzt und die führende Tapisserie-Manufaktur der Hauptstadt, seit 1725 unter der Leitung des Kaufmanns Charles Vigne, verschrieb sich ganz der Watteau-Mode. Vermutlich erhoffte sich Vigne von der Verarbeitung von Motiven aus den fêtes galantes, die den Geschmack des Königs trafen, dass der Berliner Adel und der König selbst die Wandteppiche kauften. Friedrich der Große erwarb allerdings erst 1762 mit der Serie „Italienische Komödie“ eine Gruppe von Vignes Tapisserien, die sich bis heute in den beiden Vorkammern des Paradeappartements im Schloss Charlottenburg befinden.
Neben dieser Charlottenburger Serie mit „Watteau’schen Figuren“ haben sich nur wenige weitere Tapisserien dieses einst zahlreich dokumentierten Typus aus der Berliner Manufaktur Charles Vigne bis heute erhalten. In Kopenhagen lassen sich vier sehr ähnliche Bildteppiche im Schloss Rosenborg betrachten. Unter den seltenen Einzelstücken nehmen die beiden Bildteppiche „Flora“ und ihr Pendant, „Die Schaukel“, bewahrt von der Stiftung Stadtmuseum Berlin, eine besondere Stellung ein. Denn anders als im Falle der Folge „Italienische Komödie“ haben die Tapisserie-Entwerfer hier nicht Einzelfiguren oder Figurengruppen aus Stichen nach Watteau herauskopiert und in eine völlig veränderte Umgebung gesetzt, sondern sie haben die Figuren samt der von Watteau ersonnenen, ornamentalen Rahmung übernommen.
Die Vermarktung der Gemälde Watteaus mittels Druckgraphik führte dazu, dass die Bildkompositionen dieses französischen Malers sich schnell verbreiteten und europaweit bekannt wurden. Stiche nach Gemälden mit fêtes galantes-Darstellungen oder nach dekorativen Kompositionen lieferten den Motivschatz für die Tapisserien. Als Vorlage für den Wandteppich „Flora“ diente ein Kupferstich von Pierre-Alexandre Aveline nach einem der vier Wandentwürfe, die Watteau 1708/1709 für das Hôtel Chauvelin in Paris geschaffen hatte.
„Flora“ wiederholt die Gesamtkomposition des Stichs und gibt insbesondere die ornamentale Rahmung mit der Flora als Hauptmotiv detailgetreu wieder. Es fehlt jedoch die kleine Landschaftsdarstellung im Oval unter der Figurengruppe. Zudem hat der Entwerfer auf zwei seitlich erscheinenden Figuren der Vorlage, einen Mann mit Hund sowie einen Dudelsackspieler, zugunsten eines weiteren Liebespaares verzichtet. Dieses in der Tapisserie links hinzugefügte Paar zeigt deutliche Ähnlichkeiten mit einer Figurenkonstellation in einem anderen Watteaus Gemälde „Fête Galante mit Gitarrenspieler vor einer Skulptur mit Putti und einem Ziegenbock“ oder auch „Gesellschaft im Freien“. Das Gemälde befindet sich in der Berliner Gemäldegalerie und hing im 18. Jahrhundert in der Kleinen Galerie von Schloss Sanssouci, allerdings erst seit frühestens 1750. Vermutlich hat Vigne ein Stich nach einer leicht abgewandelten, heute verschollenen Version des Gemäldes vorgelegen.
Auch in den Werken anderer europäischer Tapisserie-Manufakturen finden sich Übernahmen aus Bildern von Watteau, aber diese sind weit weniger deutlich. Die Watteau’schen Motive waren im friderizianischen Berlin stilbildend. Der Bildteppich „Flora“ aus dem Berliner Stadtmuseum zeigt diesen künstlerischen Einfluss besonders augenfällig.
Weitere Informationen
- zur Sonderausstellung „Antoine Watteau. Kunst – Markt – Gewerbe“
- zur Sammlung Textile Künste
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