Erstmals arbeitet die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) mit dem Künstler Volker Hermes (*1972 in Wegberg, lebt und arbeitet in Düsseldorf), bekannt für seine international beachtete Serie „Hidden Portraits“, zusammen. In seinen digitalen Fotocollagen verwandelt Hermes historische Gemälde und Skulpturen, indem er die dargestellten Personen hinter kunstvollen Inszenierungen verschwinden lässt.
Für das Projekt wurden ausgewählte Porträts aus der Sammlung der SPSG neu interpretiert – darunter Friedrich der Große, Königin Luise und Katharina die Große. Was alle verbindet: Ihre Darstellung folgt den Konventionen ihrer Zeit und sagt wenig über die Persönlichkeit dahinter. Hermes greift diesen Gedanken auf und verstärkt ihn künstlerisch – das Sichtbare wird zum Schleier, das Unsichtbare rückt in den Fokus.
Die begleitenden Blogbeiträge unter dem Titel „Mensch & Portrait“ werfen einen Blick hinter die Fassaden: auf persönliche Unsicherheiten, soziale Rollen und überraschende Parallelen zu uns heute. Eine Einladung, das Porträt als Spiegel seiner Zeit – und unserer eigenen – zu verstehen.
Hidden Ziesenis II / Friedrich der Große
Volker Hermes
Fotocollage
Kaum wiederzuerkennen und doch eindeutig Friedrich der Große. Preußens berühmtester König und Feldherr erhält von Volker Hermes nicht nur eine für den Künstler typische Verdeckung des Gesichts, sondern auch Leder-Harness und Papierhütchen. Was provokant anmuten mag, interpretiert als künstlerische Intervention die Funktionsweise eines Herrscherportraits und versammelt unterschiedliche Aspekte, die in der historischen Einordnung dieses Königs eine Rolle spielen.
Portraits waren immer schon ein wichtiges Element der Öffentlichkeitsarbeit. Friedrich der Große hat sich ausschließlich mit bewusst gewählten Attributen malen lassen, die bis heute sein visuelles Bild bestimmen: Uniform, Adlerorden oder Dreispitz (obwohl er im alltäglichen Leben durchaus nicht immer Uniform getragen hat). Er hat also selbst die Grundlage für ein überaus erfolgreiches „Branding“ gelegt, was sich tief in das visuelle Gedächtnis gebrannt hat und bis heute gerne zu Marketingzwecken genutzt wird.
In einer ironischen Überspitzung greift Volker Hermes genau diesen Moment der Marke auf, in dem er den preußischen Adlerorden, eigentlich Ausdruck einer herausgehobenen Stellung, nun als Geschenkpapier vervielfältigt und daraus ein Papierhütchen als Dreispitz formt. Die Fetischmaske, die die ebenso charakteristische Nase freilässt, verweist einerseits auf die Verwendung von Schlüsselreizen auf Portraits und andererseits klingt dort schon eine Diskussion an, die als Hintergrundrauschen die Wahrnehmung von Friedrich dem Großen begleitet: seine vermutete, aber unbewiesene Homosexualität. Ähnlich doppeldeutig ist der neu entstandene Harness zu lesen. Was heute als weithin bekanntes Element einer queeren Ästhetik zu lesen ist, hat seinen eigentlichen Ursprung im Militär. Volker Hermes betont also die Ambivalenz zwischen dem an Philosophie und Kunst begeisterten Schöngeist und dem Herrscher mit kriegerischen Machtambitionen. Ambitionen, die die ausladende Geste mit dem Feldherrenstab auf genau diesem Gemälde illustriert. Auch nach Hermes' Modifikation bleibt Friedrich König und Feldherr, doch werden die Attribute seiner Macht durch seine Überzeichnung in den Kontext einer komplexen Persönlichkeit eingeordnet. Es zeigt sich, dass Kunst eben nicht nur schön ist, sondern auch als Mittel der Selbstdarstellung und Markenbildung gedient hat.
Volker Hermes
Johann Georg Ziesenis
Öl auf Leinwand, GK I 1216
Potsdam, Schloss Sanssouci, Arbeits- und Schlafzimmer Friedrichs des Großen (R. 116)
Friedrich der Große folgte seinem Vater 1740 als König auf den Preußischen Thron. Besonders durch den unerwarteten Sieg über Sachsen, Österreich und Russland im Dritten Schlesischen Krieg bzw. dem 7-Jährigen Krieg (1756-1763) ging er als Feldherr in die Geschichte ein. Es gelang ihm, sein Königreich um die zugewonnene Provinz Schlesien zu erweitern und Preußen als fünfte europäische Großmacht neben Frankreich, Großbritannien, Österreich und Russland zu etablieren.
Dieses Porträt des Königs entstand kurz nach seinem Sieg im Jahr 1763 und zeigt den König als Feldherren in freier Landschaft. Gekleidet in den Interimsrock mit auf der Brust prangendem Adlerorden steht er hinter einem Felsen. Seine linke Hand ruht auf mehreren Landkarten, die rechte Hand hält den Kommandostab. Durch den direkten Blickkontakt und die ausladende Geste lässt er uns an seiner erfolgreichen Strategie teilhaben.
Georg Ziesenis (1716-1776) wird dem Hannoverschen Rokoko zugeordnet. Obwohl der König sich nur sehr ungern malen ließ, soll Friedrich dem Künstler angeblich Modell gesessen haben. Aus diesem Vorbild entwickelte Ziesenis das hier gezeigte Gemälde und weitere Varianten. Die Frage um die Entstehung des Portraits löste langanhaltende Kontroversen aus: Bis heute ist sich die Forschung nicht sicher, ob Ziesenis wirklich auf den König als Modell zurückgreifen konnte und wie realitätsnah das Portrait wirklich ist.
Alexander Reich
Hidden Romandon / Damenbildnis, vermutlich Sophia Charlotta Possart (die Türkin jetzo Possartin?)
Volker Hermes
Fotocollage
Volker Hermes beleuchtet in seinen „Hidden Portraits“ das Spannungsverhältnis zwischen persönlicher Identität und gesellschaftlichem Rang, wie er in historischen Portraits dargestellt wird. In einigen Arbeiten verhüllt er die abgebildeten Personen vollständig, sodass nur noch die luxuriöse Kleidung, Materialien, Schmuck und Accessoires sichtbar bleiben – alles Symbole für den sozialen Status. Dies wird besonders deutlich in einem Portrait, von dem angenommen wird, dass es Sophia Charlotta Possart darstellt. Eingehüllt in ein strahlend blaues Gewand und geschmückt mit Juwelen und Perlen, liegt der Fokus nach Hermes' Modifikation auf der Pracht ihrer Ausstattung, nicht auf der Person.
Die Geschichte von Possart spielt dabei eine wichtige Rolle: Sie wurde aus dem Osmanischen Reich verschleppt und diente am Hof der Kurfürstin Sophie Charlotte. Ihr ursprünglicher Name und damit ihre vorherige Identität wurden ausgelöscht. Wir sehen auf diesem Portrait also die Rolle, die ihr von Außen gegeben wurde. Hermes macht diesen Verlust visuell sichtbar, indem er sie vollständig verhüllt und so betont, dass ihre wahre persönliche Identität, ihre eigentliche Geschichte hinter der Pracht ihrer gesellschaftlichen Rolle verborgen bleibt.
Volker Hermes
Gedeon Romandon
Öl auf Leinwand, GK I 3324
Berlin, Schloss Charlottenburg, Altes Schloss, Toilettekammer (R. 110)
Die sehr elegant mit viel Gold und Edelsteinen geschmückte junge Frau wird in der Forschung mit einer Bediensteten der brandenburgischen Kurfürstin Sophie Charlotte identifiziert. Bei einer erzwungenen, für die Zeit typischen, „Türkentaufe“ musste sie nicht nur ihren muslimischen Glauben, sondern auch ihren Geburtsnamen aufgeben. Sie nahm daher eine Abwandlung des Namens der Kurfürstin an, die ihre „Herrin“ wurde.
Sophie Charlotta arbeitete, wie andere Kammertürk:innen aus dem Osmanischen Reich, am Hof. Die Kurfürstin hatte ein gutes Verhältnis zu ihren Bediensteten ausländischer Herkunft, behandelte sie gut, ließ sie keine schweren Arbeiten verrichten und bezahlte sie teils überdurchschnittlich. In einigen Fällen ließ sie sogar Portraits von ihnen für ihre Wohnung im Schloss Charlottenburg anfertigen. Die Darstellungen zeigen jedoch auch die teils stilisierten Kostümierungen, die von den Bediensteten getragen werden sollten. Mit „orientalisch“ anmutendem Kopfschmuck, Turbanen und Quasten an den Gewändern unterscheiden sie sich von der europäischen Mode und wurden so als „exotische“ Statussymbole präsentiert. Aufgrund ihrer Faszination für alles „Fremde“ und „Exotische“ feierte die Kurfürstin große Kostümfeste. Diese sogenannten „Turquerien“ waren ab dem späten 16. Jahrhundert zur Mode geworden: Kleidung, Dekorationen und Trinkgewohnheiten des Osmanischen Reichs wurden von der europäischen Elite frei imitiert. Es entstand der von einem eurozentrischen Blick geprägte Orientalismus. Dieser ist von einem Überlegenheitsgefühl geprägt, bei dem einem „aufgeklärten Westen“ ein „mysteriöser Orient“ gegenübergestellt wird.
Das Gemälde entstand vermutlich vor 1695. Der Maler, Gedeon Romandon (1667-1697), war seit 1687 Hofmaler des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und später seines Sohnes Friedrich III. Typisch für seinen Stil ist die lebhafte Mimik, die von schwungvoll bewegten Gewändern und Körpern noch unterstrichen wird.
Alexander Reich
Hidden Pesne IV / Sophie Dorothea Prinzessin von Braunschweig-Lüneburg
Volker Hermes
Fotocollage
Volker Hermes arbeitet in seinen Werken gezielt mit den Kompositionen der originalen Portraits. Er verändert die Inszenierung der dargestellten Personen durch die bewusste Verdeckung des Gesichts und schafft neue Bedeutungsebenen, indem er Bildelemente zerlegt und neu arrangiert. So entfernt er in einem Portrait von Sophie Dorothea die im Hintergrund sichtbare Krone, um den Fokus auf sie als Frau und nicht nur als Königin zu lenken. Die Krone zerlegt er in kleinere Teile und gestaltet daraus neue Schmuckstücke, die an anderer Stelle im Bild erscheinen.
Das auffälligste Merkmal des Portraits ist jedoch die monumentale Schleife aus weißer Seide, die Hermes aus der großen Haube der Königin formt. Schleifen nehmen in seiner Arbeit eine besondere Rolle ein. Sie dienen ihm als Metapher für Schönheit oder Schönheitsideale, die sich in Portraits besonders in der Mode und den Accessoires zeigen. Gleichzeitig weisen sie darauf hin, wie stark der Fokus in weiblichen Portraits oft auf Schönheit liegt und andere Aspekte des Lebens in den Hintergrund rücken. In diesem Werk verdeckt die Schleife einen Großteil des Gesichts und lässt nur einen eingeschränkten Blick auf die Königin zu – lediglich ihr linkes Auge bleibt sichtbar. Dies wirft die Frage auf, was vor uns verborgen bleibt. Die Schleife scheint absichtlich vor ihrem Gesicht gebunden, und Sophie Dorothea hält das Ende des Seidentuchs in der Hand. Ob sie es selbst geknotet hat oder es für uns öffnen wird, bleibt offen. Mit dieser Modifikation gibt Volker Hermes der Königin Macht und Selbstbestimmung darüber, wie viel sie von sich zeigen möchte und inwieweit sie sich den Schönheitsidealen unterwerfen will.
Volker Hermes
Antoine Pesne
Öl auf Leinwand, GK I 1218
Rheinsberg, Schloss Rheinsberg, Schreibkabinett (R. 33)
Das Portrait zeigt die 50-jährige Königin mit einem Schoßhund. Sie trägt Perlenschmuck und ist ganz in Weiß und Altrosa gekleidet. Unter dem mit Hermelinfell besetzten Samtkleid tritt im Dekolleté und an den Armen aufwändige Spitze hervor. Jeder schwarze Punkt am Fellsaum steht für ein getötetes Hermelin. Dies war damals ein Zeichen von Reichtum und fürstlicher Würde. Heute sehen wir Tierleid zu recht sehr kritisch. Auf dem Kopf trägt sie eine ausladende Haube aus Seide. Links im Bildhintergrund ist mit der Königinnenkrone auf einem reich mit Goldfäden bestickten Samtkissen auch das Zeichen ihres Standes integriert. Es folgt daher dem Typus des offiziellen Staatsportraits und wurde nicht für einen rein privaten Kontext angefertigt.
Der aus Frankreich stammende Maler Antoine Pesne (1683-1757) erhielt seine Ausbildung unter anderem bei Charles de la Fosse, dem Hofmaler Ludwigs XIV. 1710 kam er auf Wunsch des ersten preußischen Königs Friedrich I. nach Berlin und wurde dort als Hofmaler engagiert. Er schuf eine große Anzahl bedeutender Adelsportraits und Deckengemälde. Dieses Portrait, von dem es mindestens zwei weitere Versionen gab, überreichte er Kronprinz Friedrich II. am 8. November 1737 in Schloss Rheinsberg. Dort ist es heute wieder zu sehen. Anlass war der Geburtstag seiner Frau Elisabeth Christine. Friedrich II. hatte ein außerordentlich enges Verhältnis zu seiner Mutter und erklärte sie während seiner eigenen Regierungszeit zur ersten Dame des Staates – noch vor seiner Frau.
Alexander Reich
Hidden Louis Elle / Elisabeth Charlotte d’Orléans
Volker Hermes
Fotocollage
In seinen „Hidden Portraits“ verweist Volker Hermes auf gesellschaftliche Konventionen hinter den historischen Gemälden, die für heutige Betrachter:innen nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Während man heute die höfische Pracht und den Glanz der Schlösser bewundert, war das Leben am Hofe von zeremoniellen Pflichten und mitunter anstrengenden Intrigen geprägt. In diesem Bild sitzt die Herzogin von Orléans, Elisabeth Charlotte, genannt „Liselotte von der Pfalz“, kerzengerade und weit vorne auf einem prächtigen Armlehnstuhl. Sie wird im vollen Ornat der höfischen Pracht dargestellt, ihre Haltung ist nicht entspannt, sondern förmlich und offiziell. Dabei bricht sie durchaus mit den Konventionen ihrer Zeit, da sie die den Männern vorbehaltene Allongeperücke trägt und ihre Kleidung sich stark an der zeitgenössischen Herrenmode orientiert. Liselotte fiel es schwer, sich in ihre Rolle als Ehefrau und Mutter einzufügen. Sie gab sogar offen zu, dass sie lieber ein Mann gewesen wäre. Dennoch war sie, wie alle Menschen am Hof, dem Diktat ihrer gesellschaftlichen Stellung unterworfen.
Volker Hermes greift diese höfischen Zwänge auf und übersetzt sie in seine eigene Bildsprache. Die Ornamente des kostbaren Stuhls scheinen nach ihr zu greifen und sie zu umschlingen, immer enger, bis sie Liselotte an den Stuhl und ihre Rolle fesseln. Sogar die Goldstickereien ihres Juste-au-corps – einer taillierten Jacke der Herrenmode – wandern über ihre Haare und ihr Gesicht. Sie wirkt unbeweglich, gefangen in einem „goldenen Käfig“. Diese Zierelemente zitieren zudem einen „petit moustache“, einen modischen Schnurrbart der damaligen Zeit, und unterstreichen so die Vermischung von männlichen und weiblichen Symbolen.
Volker Hermes
Louis Ferdinand Elle
Öl auf Leinwand, GK I 3049
Berlin, Schloss Charlottenburg, Altes Schloss, Toilettekammer (R. 110)
Elisabeth Charlotte d’Orléans (1652-1722) wurde in Heidelberg als kurpfälzische Prinzessin geboren und verbrachte Teile ihrer Jugend bei ihrer Tante Kurfürstin Sophie von Hannover. 1671 wurde sie aus politischen Gründen mit Herzog Philippe I. d’Orléans, dem Bruder des Sonnenkönigs Louis XIV., verheiratet. Er war sexuell eher an Männern interessiert, zeugte mit Liselotte jedoch drei Kinder, um seiner Pflicht nachzukommen. Darüber hinaus schenkte er ihr nur wenig Beachtung. Um sich zu beschäftigen, schrieb sie Briefe mit Freunden und Verwandten. Für die Wissenschaft sind die 6000 erhaltenen ihrer etwa 60.000 verfassten Briefe von großer Bedeutung. Sie berichten über sämtliche Facetten des französischen Hoflebens.
Das Porträt zeigt die als Liselotte von der Pfalz bekannte Herzogin von Orléans im Alter von etwa 28 Jahren in einer eher männlichen Erscheinung. Liselotte entschied sich 1696 das damals ca. 16 Jahre alte Porträt an ihre Cousine Sophie Charlotte nach Berlin zu schicken. 1693 hatte Liselotte durch eine Pockenerkrankung viele unschöne Narben im Gesicht davongetragen und auch stark an Gewicht zugenommen. Sie war an sich eine Frau, die sich wenig an den Oberflächlichkeiten des Hofes orientierte, doch fand sie sich selbst oft hässlich. Nach der Pockenerkrankung wollte sie sich einige Zeit nicht mehr malen lassen.
Das Gemälde ist Louis Ferdinand Elle dem Älteren (1612-1686) zugeschrieben. Er war ein einflussreicher Maler am französischen Hof des 17. Jahrhunderts. Er entstammte einer aus Flandern nach Frankreich eingewanderten Künstlerfamilie, die sich vor allem auf Porträts spezialisierte. Bekannt ist er für eine glatte und flüssige Pinselführung sowie die präzise Darstellung von Stoffen und lebendig gestaltete Augen.
Alexander Reich
Hidden Erichsen / Kaiserin Katharina II. von Russland
Volker Hermes
Fotocollage
Gemalte Portraits dienten Herrschern seit jeher als Ausdruck ihrer Macht. So zeigt dieses Gemälde Kaiserin Katharina II., die sich vor dem Thron mit allen Insignien ihrer Stellung eindrucksvoll präsentiert. Volker Hermes übersteigert diese Pracht, indem er den Krönungsmantel über Katharinas Kopf hinaus erweitert. Er verdeckt viele zentrale Symbole ihrer Macht, wie Zepter, Reichsapfel und die Orden auf ihrer Brust und konzentriert alles auf die Imperiale Krone, die nun auf einem Berg kostbarer Stoffe thront – eine Krone, die bis heute denselben symbolischen Wert hat wie damals. Die Individualität der Kaiserin als Mensch wird durch ihren Rang und ihre gesellschaftliche Funktion ersetzt.
Hermes verdeutlicht, wie stark Katharina in ihre Rolle eingebunden und eingezwängt war, indem er die Kordeln der drapierten Innenausstattung verlängert und sie um ihre nun verhüllte Gestalt schlingt. Die Kaiserin scheint regelrecht mit dem Interieur des höfischen Systems verwoben. Diamanten umschwirren ihren Kopf, ähnlich wie sie selbst von den höfischen Strukturen umgeben war. Die Schwierigkeit dieser Situation für sie als Frau spricht Hermes in einem neu geschaffenen Element an: Aus Teilen des Thronsessels formt er ein Ornament, verziert mit Perlen und einem Rubin, das genau in der Körpermitte der Kaiserin platziert ist. Dieses Detail thematisiert die wilden Spekulationen und Übertreibungen über ihre angebliche sexuelle Freizügigkeit. Die machtvolle Kaiserin wurde auf ihre Sexualität reduziert, um sie zu demütigen. Eine Frau, auch eine Kaiserin durfte keine offen zur Schau getragenen sexuellen Bedürfnisse haben.
Volker Hermes
Vigilius Erichsen
Öl auf Leinwand, GK I 1023
Potsdam, Neues Palais, Oberes kleines Schlafzimmer (R. 274)
Das lebensgroße Gemälde von Hofmaler Vigilius Erichsen (1722-1782) zeigt die Russische Kaiserin im vollen Krönungsornat mit hermelingebrämtem und wappenbesticktem Goldmantel. Auf dem Kopf trägt sie die imperiale Krone, während sie in den Händen die Zeichen ihrer Macht hält – den Reichsapfel und das Zepter.
Nachdem Katharina ihren Ehemann Peter III. entmachtet hatte, setzte sie alles daran, ihr Image als deutsche Prinzessin abzulegen und als Kaiserin und Autokratin Russlands anerkannt zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, war eine prachtvoll inszenierte Krönungszeremonie und eine geschickte Bildpropaganda von großer Bedeutung. Die imperialen russischen Farben Gold und Weiß durften ebenso wenig fehlen, wie der doppelköpfige Adler und der höchste russische Orden des St. Andreas mit der blauen Schärpe. Mit der Säule im Hintergrund soll zudem die Stabilität ihrer Regierung symbolisiert werden.
Katharina gab eine Vielzahl von „Portraits mit eindeutigen Botschaften in Auftrag, deren Details je nach Situation verändert oder angepasst werden konnten.“ So auch dieses Staatsportrait, welches als Geschenk an Friedrich II. von Preußen ging und sich heute im Neuen Palais in Potsdam befindet. Dieser Geschenkeaustausch von 1769/71 bekräftigte das Defensivbündnis von 1764 zwischen Preußen und Russland im Anschluss an den Siebenjährigen Krieg.
Alexander Reich
Hidden Rauch II / Königin Luise von Preußen als Juno Ludovisi
Volker Hermes
Fotocollage
Volker Hermes’ Neuinterpretation der Porträtbüste von Königin Luise zeigt sie als eine „Heilige“ mit prachtvollem Lockenhaar. Schon das Original von Rauch enthält Symbole, die auf eine mythologische Verehrung der Königin hindeuten: Als Vorbild wählte er bewusst eine Büste der römischen Göttin Juno. Durch die Verbindung von Luises Porträt mit diesem antiken Vorbild erhob er sie von einer sterblichen Königin zu einer göttlichen Figur.
Hermes greift dieses antikisierende, göttliche Motiv auf, indem er Luises lockiges Stirnhaar weit über ihre Augen zieht und so den Blick auf ihre individuellen Gesichtszüge versperrt. Das Diadem, das im Original ihre soziale Stellung symbolisiert, wird in Hermes' Werk zu einem Heiligenschein umgedeutet. Er überzeichnet die Elemente, die bereits im Original dazu dienten, Luise als göttliches Wesen darzustellen, und verweist damit auf Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts: Nach ihrem Tod wurde Königin Luise zunehmend idealisiert und in einem Personenkult verehrt, der sie nicht nur als Mutter der preußischen Herrscher, sondern auch als Mutter des deutschen Volkes umdeutete. Eine realistische Darstellung wich einer stark idealisierten und wurde zuweilen auch für nationalistische Ideologien instrumentalisiert.
Hermes bringt dieses historische Wissen in seine Arbeit ein: Durch seine Veränderungen wird Luise vollständig zur mystischen Figur. Jegliche persönliche Individualität, die man in einer Portraitbüste erwarten würde, wird durch Symbole der Idealisierung und Vergöttlichung ersetzt. Neben dem vergrößerten Diadem, das nun einem Heiligenschein gleicht, trägt sie eine „Mondscheibe“ als Anspielung auf die Göttin Juno, die im antiken Rom als Muttergöttin und Symbol für Fruchtbarkeit, den Himmel und den Mond verehrt wurde.
Volker Hermes
Christian Daniel Rauch
Marmor, Skulpt.slg. 1015
Berlin, Mausoleum Charlottenburg
Königin Luise ist bis heute die bekannteste und beliebteste der preußischen Herrscherinnen. Schön und nahbar soll sie gewesen sein. Mit ihrem Ehemann, Friedrich Wilhelm III., hatte sie zehn gemeinsame Kinder. In ihren Jugendjahren hatte sie noch die Unsicherheit gespürt, die sich seit der französischen Revolution in fürstlichen Kreisen ausgebreitet hatte. Später musste sie mit ihrer Familie vor Napoléon Bonaparte fliehen. Vom Volk wurde sie stets verehrt. Besonders nach dem Sieg über Napoléon stand sie ganz besonders hoch in der Gunst ihres Volkes. Als sie dann ganz plötzlich mit nur 34 Jahren starb, war die Erschütterung im ganzen Land groß. Es entstand ein regelrechter Personenkult um die zu jung verstorbene Luise.
Ein Vorläufer für die vielen idealisierten Porträts der Königin nach ihrem Tod ist diese überlebensgroße Büste von Christian Daniel Rauch. Er schuf sie in Anlehnung an den Kopf der Juno Ludovisi in Rom zwischen 1805 und 1806. Fertiggestellt wurde sie 1810, kurz nachdem ihn die Nachricht vom plötzlichen Tod der Königin erreicht hatte. Das Verhältnis zwischen Luise und Rauch war vertraut, denn der Bildhauer hatte bereits 1797 seinen verstobenen Bruder ersetzt und wurde Kammerdiener der Königin.
Juno war als Königin der Götter und als Frau von Jupiter eine der bedeutendsten Gestalten der antikrömischen Mythologie. Im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert gelangte die kolossale Kopfbüste der Juno Ludovisi – eine Skulptur aus dem 1. Jahrhundert vor Christus – wegen ihrer Schönheit und monumentalen Dimensionen zu Berühmtheit und inspirierte nicht nur Dichter, sondern auch bildende Künstler wie Christian Daniel Rauch.
Alexander Reich