Kunst-am-Bau-Wettbewerb für den Eingangsbereich der Villa Liegnitz

Online-Präsentation der fünf bestplatzierten Beiträge

Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) saniert seit 2021 im Rahmen des Sonderinvestitionsprogramms 2 (SIP2) die im Potsdamer Park Sanssouci gelegene Villa Liegnitz samt Garten. Die Maßnahme wird voraussichtlich 2025 abgeschlossen. Nach Abschluss der Arbeiten wird der Gebäudekomplex von der SPSG als Verwaltungssitz genutzt.

Aufgabe der SPSG ist nicht nur der Erhalt, sondern auch die Erforschung und Vermittlung der von ihr betreuten Bau- und Gartendenkmale samt der Ausstattungen. Die Planungen der Sanierungsmaßnahmen begleiteten deshalb vertiefte inhaltliche Auseinandersetzungen mit der komplexen Bau- und Nutzungsgeschichte der Villa Liegnitz. Diese Einordnung aus zeitlicher Distanz soll künftig ein Kunstwerk im repräsentativen Haupteingangsbereich abbilden. Zu diesem Zweck wurde im Sommer 2023 ein Kunst-am-Bau-Wettbewerb ausgelobt, der als offener, anonymer und zweiphasiger Realisierungswettbewerb durchgeführt wurde. Die Aufgabe war es, ein Kunstwerk zu erschaffen, das eine eigenständige, kritische Beschäftigung mit dem Ort erkennen lässt und sowohl historische Brüche wie auch Kontinuitäten in der vielschichtigen Bau- und Nutzungsgeschichte herausarbeiten, als auch Bezüge zur Gegenwart herstellen sollte. Bewusst offen gehalten war das Genre des Kunstwerks. Insofern waren die Einreichungen nicht nur inhaltlich, sondern auch formal sehr unterschiedlich.

Gemäß Votum des 7-köpfigen, interdisziplinär wie international besetzen Preisgerichts, welches im Dezember 2023 zu einer ersten Sitzung zusammentraf, qualifizierten sich fünf Entwürfe für die zweite Wettbewerbsphase, in der die Beiträge von den Teilnehmenden überarbeitet und konkretisiert wurden. Am 16.04.2024 trat die Jury erneut zusammen und prämierte drei Arbeiten. Für den ersten Platz wurde eine Realisierungsempfehlung ausgesprochen.

Diese Online-Präsentation zeigt im Folgenden die fünf Entwürfe aus der zweiten Wettbewerbsphase.

1. Platz: „Gespinst – ein virtueller Raum“ von Ute Vorkoeper, Hamburg

Tarnzahl 1048, Kennzahl 367324
 

Im Vestibül der Villa Liegnitz werden die Besucher:innen der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg in ein changierendes „Gespinst“ vor schwarzem Grund gezogen, aus dem Prinz August Wilhelm von Preußen beim sogenannten Hitlergruß gespenstisch hervorscheint.

Beim Eintritt in den Raum bleibt unentscheidbar, ob die hellen Weben den Prinzen sichtbar machen oder ob sie den Grüßenden verschlucken. Außerdem zerfallen die Linien in der Nahsicht in Pixel, sie wirken digital, diskontinuierlich und brüchig, schimmern farbig im Licht, verweisen auf Gegenwart und Zukunft. August Wilhelm von Preußen ist sichtbar nicht als Abbild gegeben, sondern zwischen Erscheinen und Verschwinden gehalten, angedeutet aus wenigen Informationsbausteinen.

Die Bildinformationen stammen von einer Fotopostkarte, die den Prinzen bei der mustergültigen Performance des sogenannten Hitlergrußes festhält. Er ist erkennbar, aber austauschbar und steht paradigmatisch für die gewaltige Zahl der Deutschen, die für den Nationalsozialismus einstanden und am „Dritten Reich“ mitgewirkt haben.

Der virtuelle Raum erinnert damit nicht nur an die Verstrickungen und Hirngespinste des Prinzen, die er in der Villa Liegnitz ausgelebt hat. Er wird darüber hinaus zur Allegorie für die Verstrickungen seiner Zeitgenoss:innen sowie die unlösbare Verflechtung der nachgeborenen Generationen mit der NS-Zeit. Das „Gespinst“ umkreist und erfasst die Besucher:innen und warnt vor Wiederholungen.

Digitale Radierung und virtueller Raum

Das „Gespinst“ entsteht durch digitale Radierung: Das Liniengeflecht wird aus einer schwarzen Bildebene radiert, der die Postkarte von August Wilhelm unterlegt ist. Das Foto wird allein in den radierten Linien sichtbar. Die extreme Skalierung verleiht der negativen Zeichnung Präsenz, betont dabei ihre digitale Herstellung und Fraktalität.

Zudem überschreitet „Gespinst“ die zweidimensionale Bildfläche. Es erfasst den gesamten Empfangsraum und entsteht als ebenso konkretes wie virtuelles Panorama, das weder Abbildung noch Nachbildung von Wirklichkeit ist.

Immaterialität

Die Virtualität wird durch immaterielle Materialisierung pointiert: „Gespinst“ wird auf einer silbernen, hochglänzenden Vliestapete ausgedruckt. Die Farbabstufungen der Pixellinien sind abhängig von der Transparenz bzw. Dichte des Schwarzpigments, die den spektral changierenden Hintergrund durchscheinen oder erstrahlen lässt. Bei der Bewegung durch den Raum wandert die Lichtreflexion mit und der Bildraum ändert seine Anmutung.

Das schillernde Farbspektrum des Hintergrunds gibt dem Vestibül zudem etwas Luxuriöses, eine gewisse Frivolität, die auf die Feste anspielt, die August Wilhelm zu Ehren seiner Nazi-Gäste arrangierte. Es korrespondiert auch mit den Dekorationen und spielt auf die herrschaftliche Geschichte der Villa Liegnitz an.

Realisierung

Das Projekt wird zusammen mit einem Spezialisten für Tapetendruck nach den exakten Raummaßen auf 53 cm breit laufender Vliestapete für die glatten Wandflächen umgesetzt. Ein Malermeisterbetrieb übernimmt die präzise Montage vor Ort. Die Tapete ist lichtecht und wird mit lichtechtem Pigment bedruckt. Der Hersteller garantiert eine Mindesthaltbarkeit von 20 Jahren bei sachgerechter Verarbeitung. Das gesamte Projekt wird digital archiviert, so können bei Beschädigungen einzelne Bahnen nachgedruckt werden. Ob im Empfangsraum eine erläuternde Tafel mit dem Ausdruck der Postkarte und erläuterndem Text angebracht wird, ist mit der Auftraggeberin zu erwägen.

Das Werk „Gespinst“ überzieht das ehemalige Einschreibezimmer der Villa Liegnitz mit einem engen, unregelmäßigen Netz von hellen Linien. Auf einem silbernen Grund werden verpixelt Grau- und Schwarztöne aufgetragen, die die Linien des Gespinstes erscheinen lassen. Die architektonischen Elemente des Raumes werden hell gefasst. In der unteren, rechten Ecke der Südwand ergeben die Linien eine Konstellation, in der die Figur des Prinzen August Wilhelm, den sogenannten Hitlergruß ausführend, von einer Aufnahme der 1930er Jahre aufscheint. Diese Konstellation ist im Vergleich mit dem Foto eindeutig interpretierbar, bleibt bei einer ersten Betrachtung des Werkes jedoch Teil des Liniengefüges.

Das Werk evoziert auf eindrucksvolle Weise die Rolle der Villa im Machtgefüge des Nationalsozialismus und die enge Kooperation des Prinzen August Wilhelm mit dem Regime. Die Form des „Gespinstes“ überträgt die Verflechtungen, aus denen sich der Prinz, wie die meisten Deutschen, nicht befreien wollte. Das Aufscheinen des historischen sogenannten Hitlergrußes im unteren Wandbereich verortet den Prinzen zwischen dienender Position und Überzeugung. Die gestalterische Umsetzung dieser politischen Konstellation in einem beeindruckenden Raum überzeugte die Jury.

Die Materialität des Werkes mit seinem reflektierenden, silbernen Untergrund nimmt den Reichtum der Oberflächen in den königlichen Residenzen in einer kompromisslos zeitgenössischen Form auf. Diese Verbindung wurde von der Jury hervorgehoben. Die Frage, inwieweit das Material auch als ungebrochene Eleganz gelesen werden kann, wurde diskutiert und sollte begleitend zur Ausführung des Werkes weiterverfolgt werden.

2. Platz: „Bildstörung“ von Andrea Knobloch, Düsseldorf

Tarnzahl 1065, Kennzahl 713264
 

Der Haupteingang der Villa Liegnitz führt die Besucher:innen über eine gerade Treppe in das Piano Nobile. In den verspiegelten Blendarkaden rechterhand und im anschließenden Gang zeigt sich ihnen nach und nach die Südwand des angrenzenden Empfangsraums: Zur Gänze eingenommen von den lichten Blautönen einer Illusionsmalerei, die einen strahlend wolkenlosen Himmel vorstellt, scheint sich der Raum ins Unendliche zu weiten – wären da nicht die vielen Flecken und Kratzer, die einen braunrötlich-dunklen Untergrund freilegen und die schöne Aussicht verstören.

Hintergrund

Der Entwurf „Bildstörung“ erscheint an signifikanter Stelle: Im vormaligen „Einschreibzimmer“, das seiner baugeschichtlich belegten Bestimmung als Empfangsraum neuerlich zugeführt werden soll, öffnet er gleichsam die in der Südwand vermauerten und damit aussichtslos gewordenen Fenster auf ein imaginäres „Sanssouci“. Die in der Namensgebung von Schloss und umgebenden Landschaftspark anklingende Sehnsucht nach Rückzug in die Idylle einer Ideallandschaft spiegelt sich im reinen Blauverlauf der Wandmalerei. Das Motiv der durchbrechenden Flecken und Kratzer ist aus der Ansicht einer Reihe mit weißer Folie verklebten Fensterscheiben eines Schulgebäudes entwickelt. Die verschlossene Aussicht wurde durch insistierendes Freikratzen und Beschriften nach und nach aufgelöst. Der Durchblick auf die Realität des Außen war wiedereröffnet. Das Eintragen von Botschaften als Zeugnis der eigenen Existenz ist ein menschliches Bedürfnis, das sich nicht nur als Tagging auf den Mauern der Großstädte zeigt. Russische Soldaten ritzten nach der Eroberung Potsdams im Jahr 1945 Freudenbekundungen in die Wände der Neuen Kammern von Sanssouci. Zutiefst erschütternd sind die eingekratzten Ritzungen in den Wänden des Konzentrationslagers Auschwitz, die Menschen in höchster Not und aussichtsloser Lage dort hinterließen.

Die Instandsetzung der Villa Liegnitz wird den vielgestaltigen Baukörper in eine neue Unversehrtheit versetzen, die Spuren ihrer zwiespältigen Vergangenheit werden getilgt. Die „Bildstörung“ irritiert diese Erneuerung, in dem sie in die ungreifbare Ferne des Himmelblaus Spuren menschlicher Sinnsuche einschreibt. Der aufgerissene Himmel verweist auf die Bürde und die Verantwortung, die allen auf das Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus folgenden Generationen aufgegeben sind: Der Himmel über Deutschland ist und bleibt das „Grab in den Wolken“, von dem Paul Celan in seiner Todesfuge spricht. Die „Bildstörung“ ist ein Menetekel, das vor verklärender Erinnerung und trügerischen Gewissheiten warnt und sich gegen das Vergessen wendet.

Umsetzung

„Bildstörung“ ist als Wandmalerei angelegt, die die Südwand des Einschreibzimmers vollständig bedeckt. Der Farbauftrag erfolgt in Schichten. Auf dem bauseits gestellten Untergrund wird vorbehaltlich der Absprachen mit dem Denkmalschutz eine Dispersions-Grundierung im Farbton Caput Mortuum angelegt. Nach dem Abkleben des Motivs wird die Wand vollflächig mit dem Farbton Cadmium-Orange hell (Pigment, gebunden mit Acrylbinder matt) beschichtet. Nach dem Abkleben der Versatzkante wird der abschließende Blauverlauf (ebenfalls Pigment mit Acrylbinder matt) aufgetragen. Durch das Entfernen der sich überlagernden Klebebandschichten wird das vielgestaltige Motiv mit seinen hellorangenen Rändern freigelegt. Die farblich akzentuierten, gerissenen Schichtkanten treten als tastbares Mikrorelief vibrierend hervor.

Der Beitrag schlägt ein Wandbild als Mikrorelief mit einem wolkenlosen, blauen Himmel vor. Mit Kratzern und Ritzungen soll auf die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus und die gesellschaftlichen Brüche hingewiesen werden. Aus Sicht des/der Verfasser:in soll dies als Menetekel verstanden werden und sich gegen das Vergessen wenden.

Der Beitrag überzeugt durch die klare Konzeption, die für die Aufgabe sehr angemessen erscheint. Der Kontrast zwischen dem wolkenlosen, perfekten Himmel und der darunterliegenden, aufgekratzten Ebene ist grundsätzlich auch ästhetisch überzeugend.

Die Vielschichtigkeit der Entwurfskonzeption findet sich allerdings nur bedingt in der konkreten Umsetzung wieder. Anhand der eingereichten Materialproben schafft es die vorgeschlagene Ausführung nicht, das Bild des „Aufkratzens“ sichtbar zu machen und eine vollständig überzeugende Umsetzung des Konzepts erwarten zu lassen.

3. Platz: „Ein deutsches Spiegelkabinett“ von Heinke Haberland, Düsseldorf

Tarnzahl 1036, Kennzahl 029107
 

Vis-à-vis der Spiegelflächen des Treppenhauses werden drei Spiegel an der Südwand des Empfangsraumes installiert.

1908 wurden die Arkadenbögen geöffnet und Spiegelflächen ins Treppenhaus eingesetzt. Diese werden nun ihrerseits gespiegelt auf die Südwand projiziert. So wird nun auch die gegenüberliegende Wand geöffnet, wenngleich illusionär. Der Ausblick durch die ehemaligen Fenster wird durch Spiegel ersetzt. Diese eröffnen einen neuen Blick – jedoch nach innen.

Parallel gegenüberliegende Spiegel lassen einen virtuellen Unendlichkeitskorridor entstehen. Ein Raumkontinuum der Reflektionen, das auch sinnbildhaft verstanden werden soll, als Reflexion im Sinne kontemplativer Introspektion und Selbstbespiegelung. Doch die Spiegel im Entrée dieser deutschen Villa sind zerbrochen. Wer hineinschaut, wird auch sich, sein Bild, zersplittert finden. Gespalten. Fragil. Zwiespältig. Dissonant. Die Brüche deutscher Geschichte, die sich in der Biographie der Villa widerspiegeln, finden in ihrem Empfangsraum ihren Widerhall. Die Reflektion ist zerbrochen. Das geschichtliche Kontinuum gerissen, die Perspektiven verschoben.

Es ist ein Spiel mit echten und metaphorischen Passagen. Die Arkaden des überdachten Eingangs führen durch die sich wiederholenden Bögen des Treppenhauses ins Innere. Dies setzt sich im Empfangsraum durch die zusätzlichen Spiegel weiter fort, in nunmehr imaginäre Räume. Die zerbrochenen Bilder, die entstehen, reflektieren Realität und Repräsentation, Wirklichkeit und Schein, materiellen und immateriellen Raum.

Ein transitorischer Raum entsteht: die Arkaden bilden eine Art theatralische Fassung für den Empfangsraum, auf dessen verspiegelter Bühne die Besucher nicht nur selbst auftreten, sondern gleichzeitig als Zuschauer ihren eigenen Auftritt verfolgen können. Die Szenerie spielt mit einer multiplizierten Identität des Besuchers, der gleichermaßen zum Akteur, Beobachter und Beobachteten wird.

Die Verschränkung von Architektur, Menschen und Spiegeln erzeugt eine Assemblage, in der die Besucher:innen selbst den skulpturalen Part der künstlerischen Inszenierung übernehmen. Die Bewegung ihrer Körper im Raum wird dabei essentiell für das Gesamtbild sein. Die Gespiegelten werden vervielfältigt und verewigt, verlieren sich gewissermaßen im imaginären Raum, verschmelzen mit ihm und verflüchtigen sich schließlich wie ephemere Gaukelbilder und lassen die Szene leer zurück. Doch was spiegelt sich in der Welt, wenn niemand hineinblickt?

Ausführung

Die geplanten Risse ziehen sich über alle drei Spiegel. In der Herstellung wird erst ein großer Spiegel bearbeitet, aus dem dann drei Spiegel herausgeschnitten werden. Die Bruchstücke werden hinter Glas montiert, um die Sicherheit zu gewährleisten. Die Scherben werden dabei leicht verkippt und so gegeneinander versetzt, dass der gespiegelte Raum als gebrochene Szene erscheint.

Die Spiegel werden „schwebend“ einige Zentimeter vor der Wand angebracht. In Absprache mit dem Denkmalschutz wird dazu eine unsichtbare Trägerstruktur aus transparenten Acrylplatten mit wenigen Dübeln befestigt, auf der die Spiegel dauerhaft verklebt werden.

Drei gebrochene Spiegelflächen in Form der gegenüberliegenden Arkadenbögen bilden eine Reihe Blindfenster. Sie korrespondieren nicht nur mit den Spiegeln in den Bögen auf der anderen Seite des Treppenhauses, bilden eine unendliche Spiegelung, sondern sie erweitern auch den schmalen Raum.

Das Bild der gebrochenen Spiegelflächen wird durch den Titel zu einer Betrachtung der deutschen Geschichte und der kritischen Auseinandersetzung mit den vielfältigen Zusammenhängen an diesem Ort. Dabei reflektiert der Spiegel in allegorischer Art und Weise Wesenszustände, Verluste und fragmentierte Wirklichkeit: „Wer hineinschaut, wird auch sich, sein Bild, zersplittert finden. Gespalten. Fragil. Zwiespältig. Dissonant.“ (Zitat Erläuterungsbericht).

Die Metapher des Spiegels bildet aber gerade an diesem Ort eine besondere Referenz aus. Der Spiegel war schon immer Teil der monarchischen Pracht und Hybris. Hier wird eines der zentralen Leitbilder von Prunk und Glanz zum Ausdruck von Scheitern. Ein Scherbenhaufen, den die politisch Mitverantwortlichen hinterlassen haben, als Sinnbild eines historischen Erbes.

Diese große Metapher wird allerdings kritisch diskutiert, da diese redundante Geste in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen Gültigkeit hat und in der Gefahr steht, unspezifisch zu werden. Eine konkretere inhaltliche Anbindung an den Ort bleibt in dieser Arbeit uneingelöst.

Kritisch werden einzelne Aspekte der technischen Machbarkeit diskutiert.

Weitere Arbeiten der 2. Wettbewerbsphase

„Liegnitz“ von Eva Schmeckenbecher, Stuttgart

Tarnzahl 1035, Kennzahl 770602
 

Herleitung, Begründung

Der folgende Ansatz findet sich im Leitbild der Stiftung wieder, dem gemäß „die Präsentation und Vermittlung“ kulturhistorischer Zeugnisse erfolgen soll und „die Narrative der Kulturgüter kontinuierlichen Abwägungs-, Interpretations- und Aufarbeitungsprozessen, beispielsweise Neubewertungen aus zeitlicher Distanz,“ unterliegen.

Vorgeschlagen wird ein Wandtableau aus skulptural bearbeiteten Fotografien. Historische Bildfragmente werden in Aufnahmen der gegenwärtigen Architektur „hineingewebt“. Die Chronologie ist durch Wiederholungen, Fragmentierungen und verschachtelte Übergänge aufgebrochen – auch das Gedächtnis verändert die Vergangenheit immer wieder. Die Arbeit ist ein Modell für das Prozesshafte von Erinnerungsvorgängen, ein(e) Ge-Schichte aus verflochtenen Zeitebenen, eine Konkretisierung der Vorstellung, die Vergangenheit bilde einen Teil der Gegenwart. Als Gegenstück zu traditionellen Bildwirkereien in herrschaftlichen Häusern zeigt das Fotowandtableau keine idealisierten Darstellungen, sondern Brüche und Verunklarungen, um zur Auseinandersetzung mit den Biographien der Villen-Bewohner:innen und vergangenen wie aktuellen Geschehnissen anzuregen. Es ist ein Memento: Wie gehen wir mit unserem historischen Erbe um? Wie differenziert sind unsere Ansichten? Wie wandelbar? Die zusätzliche Einarbeitung von (gemeinfreiem) Wikipedia-Bildmaterial bezieht sich auf die gängige Praxis, sich über Internetplattformen (kunst-)geschichtliches Wissen anzueignen und daraus eine Perspektive auf ein Thema zu konstruieren. Der Entwurf stellt insofern keine Illustration von Tatsachen dar, vielmehr einen Spiegel unserer Zeit.

Räumliche und inhaltliche Positionierung

Das Tableau ist eine kubistisch anmutende Transformation der gegenüberliegenden realen Architektur. Während diese selbst Klarheit und Ruhe ausstrahlt, wirkt die dargestellte Räumlichkeit widersprüchlich und zersplittert.

Die Fotopapiere werden ähnlich behandelt wie das abgebildete, mehreren (Um)Baumaßnahmen unterzogene Gebäude; sie werden überarbeitet und neu zusammengesetzt.

Die skulpturale Arbeitsweise ist eng verbunden mit dem inhaltlichen Anliegen. Das Kratzen am fotografischen Abbild des Hauses gleicht dem Versuch, seine Vergangenheit zu berühren, seine Geschichte(n) zu recherchieren, seine „Geister“ zu wecken. Ähnlich wie beim Erinnern werden Bilder früherer Geschehnisse aus ihren ursprünglichen Zusammenhängen gelöst und mit heutigen verbunden, Teile davon näher untersucht, vergrößert, wiederholt, weitergetragen, mit weiteren Bildfetzen vermischt, überdeckt oder gänzlich vergessen bzw. gelöscht.

Umsetzung

Das Tableau besteht aus lichtechten Fotopapierabzügen verschiedenen Formats, hergestellt nach klassischem Silberhalogenidverfahren und zur Stabilisierung auf Verbundplatten aufgezogen (4 mm). Schichtungen und Verklebungen erfolgen durch doppelseitige Klebefolie (Museumsqualität), weitere Überarbeitungen durch UV-beständige Tusche. Stellenweise werden Spiegelflächen montiert (voraussichtlich SK-Spiegelfolie). Teile der Bildoberfläche werden skulptural bearbeitet, z.B. mit dem Skalpell oder dem Bügeleisen. So entstehen geplatzte Brandblasen, Risse oder Stellen, an denen die weiße raue Trägerschicht des Fotopapiers freigelegt ist. Das Tableau weist somit sichtbare Arbeitsspuren und unterschiedliche haptische Qualitäten auf, es ist reliefartig.
Die Arbeit wird in sechs Teilen in das Gebäude eingebracht, diese werden bündig an der Wand montiert (Distanzhängung mittels rückseitiger U-Profile an Schraubhaken). Bei Bedarf erfolgt die Reinigung mittels eines Mikrofasertuchs / Staubpinsel. Die Arbeit wird nicht abgedeckt oder verglast. Die Oberfläche bleibt offen und potentiell veränderlich – vergleichbar mit Erinnerungen.

Das Preisgericht lobte am vorliegenden Entwurf das gut durchdachte Konzept, welche als fragmentierte Collage mit historischen Fotografien alle Zeiten des Gebäudes in den Blick nimmt. Das „Fotowandtableau“ zeigt Schichten der Sanierung, der Architektur und seiner Bewohner:innen in unterschiedlichen Facetten. Die Zerrissenheit im Rückblick auf die ambivalente Geschichte der Villa Liegnitz wird in der Schichtung der bearbeiteten Fotografien sichtbar gemacht. Die Collage legt so inhaltlich wie durch die skulptural bearbeiteten Oberflächen auch formal selbst Zeugnis einer angekratzten Historie des Ortes ab. Die Betrachtenden werden eingeladen, eigene Bezüge mit ihrer geschichtlichen Kenntnis herzustellen. Der sensible Umgang mit dem Raum wurde besonders hervorgehoben, da die Arbeit diesen betont.

Kontrovers diskutiert und kritisch gesehen wurde eine mögliche Überfrachtung durch zu viele Bildelemente und eine fehlende Fokussierung.

Die Langlebigkeit der Installation wurde in Frage gestellt – vielmehr wird eine zeitnahe Veränderung des Werks vermutet, weil sich Klebstoffe lösen, Schmutz eindringen und die Collage zum Mitwirken und Eingreifen einladen könnte. Die Jury betonte jedoch besonders, dass diese Arbeit hervorragende Qualitäten für eine temporäre Installation habe.

„Palimpsest“ von Stefan Sous, Düsseldorf

Tarnzahl 1044, Kennzahl 308144
 

Ein großformatiges Wandbild nutzt die bauseitig vorgesehene Hängevorrichtung der südlichen Wand. Der Hinterglasdruck zeigt eine camouflageartige Farbstruktur, die zwar künstlerisch-abstrakt wirkt, aber auf der wissenschaftlich-bautechnischen Untersuchung der tatsächlich dahinterliegenden Wand basiert.
Historie trifft auf Hightech. Der ursprüngliche, mögliche Ausblick durch die nun vermauerten Fenster wird im Übertragen zum „Röntgenblick“ durch die Geschichte dieses Bauwerks, dessen Grundstruktur mehrfach Umbauten und Erweiterungen erlebte.
Exemplarisch und symbolisch würdigt dieses Wandbild die Baugeschichte und den denkmalpflegerischen Prozess der heutigen, umfassenden Sanierungsarbeiten – aber zugleich die Prämisse der Bauherrin: die behutsame Erhaltung der Gebäudesubstanz.
Ohne die Wand auch nur geringfügig zu zerstören, entsteht das Bildmotiv als Forschungsprojekt gemeinsam mit Studierenden der RWTH Aachen, die sich als sehr engagierte Partnerin gezeigt hat, und der Nutzung deren Potenzialfeld-Messtechnik und Thermografie u.a. zur Untersuchung der Gebäudesubstanz. Die ehemaligen Fensteröffnungen, die strukturellen Veränderungen des Mauerwerks im Laufe der Zeit, Bewehrungen und Reparaturen, die Überschreibung der Historie, werden über den digital-technischen Prozess zu farblich und grafisch dokumentierten Zeitzeugen. Die fünf zurückliegend historischen und in der Auslobung explizit erwähnten Bauphasen, aber auch die aktuellen Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten werden in Szene gesetzt. Symbolisch repräsentiert diese Analyse der Südwand die Wandlung der Villa Liegnitz im Laufe ihrer Zeit.

Um die geschichtsrelevanten Bauphasen für Mitarbeiter:innen und Besucher:innen nachvollziehbar zu machen, soll mit Unterstützung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg ein Informations-Dokument entstehen. Dieses soll die Bildereiche datieren und in den direkten Kontext zu den Baumaßnahmen stellen und datieren – inklusive der Zeit des Nationalsozialismus.

Das Entwurfsmotiv ist in der zweiten Phase als Alibi-Abbildung beibehalten worden. Vielmehr sind Beispiel-Bilder aus der Forschung hinzugefügt, welche das zu erwartende Ergebnis vorstellbarer machen. So wird die Wärmbild-Fotografie die tatsächliche Mauerwerksstruktur inklusive der Verschließung der einstigen Fensteröffnungen aufdecken. Kombiniert mit den Daten der Potenzialfeldmessung und digital nachbearbeitet, wird ein bauphysikalisches Abbild genau dieser Wand generiert. „Palimpsest“ ist eine absolut ortsabhängige Bildkomposition. Ein Bild, das auf abstrakt bis popartige Weise die Architektur und auf subtile Weise ihre Geschichte durchscheinen lässt.

Die Jury lobte ausdrücklich den konkret-ortsbezogenen Ansatz der Arbeit „Palimpsest“. Dabei wurde die Idee der Überschneidung von künstlerischer Gestaltung und wissenschaftlich-bautechnischer Untersuchungen hervorgehoben. Die angestrebte Beschäftigung mit den historischen Dimensionen des Gebäudes wurde als ein angemessener Ansatz für die künftige Funktion des Raumes und insgesamt für die Bedarfe der Stiftung angesehen.

Der partizipative Ansatz der Zusammenarbeit mit Studierenden der RWTH-Aachen wurde ebenso gewürdigt. Darüber hinaus ist besonders der Vermittlungsansatz mit den Spezialist:innen der SPSG positiv wahrgenommen worden.

Weiterhin wurde der zurückhaltende Ansatz einer Anbringung des Kunstwerkes unter Nutzung der vorhandenen Hängevorrichtung als positiv gesehen, der den historischen Innenraum zurückhaltend ergänzt.
 
Kontrovers diskutiert wurde das tatsächlich anwendbare Bildgebungsverfahren hinsichtlich verwertbarer Ergebnisse. In Zweifel gezogen wurde das konkrete Potential der vorgeschlagenen, historischen Wandfläche für das vorgeschlagene Konzept. Die bauphysikalischen Messungen der Bausubstanz wurden auf ihre Wirksamkeit hin diskutiert.

Nach langer Diskussion konnte die Jury keine Empfehlung zur Realisierung geben.

Verfahren

Der Wettbewerb wurde in Anlehnung an die aktuelle Fassung der Richtlinie für Planungswettbewerbe (RPW) sowie an den Leitfaden für Kunst am Bau des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen als offener, zweistufiger, anonymisierter Realisierungswettbewerb durchgeführt.
Verfahrenssprache war Deutsch.

Jury

Das internationale, interdisziplinäre Preisgericht setzte sich aus unten genannten Personen zusammen:

Stimmberechtigte Preisrichter:innen

Prof. Dr. Hans-Jörg Czech, Direktor und Vorstand Stiftung Historische Museen Hamburg, Mitglied des Beirats Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg
Anna Hryniewiecka, Direktorin des Kulturzentrums „Zamek“, Poznań, Polen
Sven Johne, Bildender Künstler
Via Lewandowsky, Bildender Künstler
Dipl.-Ing. Haiko Türk, Dezernatsleiter Praktische Denkmalpflege, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum
Prof. Dr. Christoph Martin Vogtherr, Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg
Matthias Vollmer, Referatsleiter B I 7 im Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen

Stellvertretende Preisrichter:innen

Ayhan Ayrilmaz, Direktor der Abteilung Architektur, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg
Gregor Kollmorgen, Referatsleiter K 23 (Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Humboldt Forum)bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
Prof. Dr. Stefanie Middendorf, Professur für Neueste Geschichte/Zeitgeschichte, Friedrich-Schiller-Universität Jena, Mitglied des Beirats der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg
Annette Paul, Bildende Künstlerin
Heike Ponwitz, Bildende Künstlerin
Dr.-Ing. Andreas Salgo, Referatsleiter Baudenkmalpflege, Brandenburgisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologisches Landesmuseum
Zofia Starikiewicz, Stellvertretende Direktorin des Kulturzentrums „Zamek“, Poznań, Polen

Preisgelder

Die Platzierung der gezeigten Arbeiten ist gem. Auslobung bzw. Preisgerichtsentscheid mit folgenden Preisgeldern verbunden:

1. Platz: 4.000 Euro zzgl. max. 25.000 Euro Bearbeitungs- und Realisierungsbudget
2. Platz: 3.000 Euro
3. Platz: 2.500 Euro
für die beiden übrigen Einreichungen der 2. Wettbewerbsphase: je 1.500 Euro.


Alle weiteren Informationen entnehmen Sie bitte der Auslobungsseite.