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Katharina, die große Nymphomanin? Wenn Männer sich bedroht fühlen

11. April 2025 Von Alexander Reich

„Nichts scheinen Götter und Männer mehr zu fürchten als den Verlust der Kontrolle über Frauen.“

– Mary Daly in „Gyn/Ökologie“ 1981

 

Die russische Kaiserin Katharina II. hatte sich und ihre Position im eigenen Land gezielt in den unterschiedlichen Kunstgattungen als aufgeklärte, rechtschaffene und absolutistische Herrscherin inszeniert. Die Bildpropaganda ihrer Herrschaft nutzte unter anderem mythologische Anspielungen, wie die Darstellung der Kaiserin als Göttin Athena/Minerva – als kluge und strategische Kriegsführerin bringt sie Frieden und beschützt Wissen und Weisheit. 
Katharina selbst war sehr gebildet, sie studierte Literatur und Wissenschaft und wollte Russland ganz nach ihren Ideen verändern. Sie war von den Idealen der Aufklärung begeistert und wollte das Land ihren Prinzipien entsprechend modernisieren. Zentrale Aspekte der Aufklärung (Vernunft, Humanität und Toleranz) standen in krassem Widerspruch zur bisherigen russischen Staatsführung. Katharina strebte daher einschneidende Reformen an: Vor allem wollte sie die Willkür der russischen Bestrafungen und der Rechtsprechung beseitigen. Außerdem war es ihr Ziel, die Bürger:innen zu guten, gerechten und produktiven Menschen zu erziehen und einen besseren Zugang zu Bildung zu ermöglichen.

Katharina ließ jedoch die Leibeigenschaft – ein der Sklaverei ähnliches Gesellschaftssystem – nicht nur unangetastet sondern verschärfte sie sogar noch. Dafür erntete sie viel Kritik vom eigenen Volk, von Literaten, Philosophen und Herrschern aus dem Ausland. Ihre aufgeklärte Politik wurde als Trugbild entlarvt. 
Besondere Schwierigkeiten hatte sie damit, sich gegen die patriarchalen Strukturen des russischen Staatsapparates und der orthodoxen Kirche durchzusetzen. Auch im europäischen Ausland war der Blick auf eine Frau an der Spitze des Machtgefüges von Feindseligkeit und Vorurteilen geprägt. Es war schwer zu begreifen, dass Katharina sich „benahm wie ein Mann, ihre Freunde und Liebhaber frei wählte und politisches Kalkül und körperliche Freuden kombinierte. Ganz so als verlange sie gleiche Rechte für Frauen.“ 
Ihre männlichen Kritiker betrachteten Katharinas (weibliche) Eitelkeit als ihre größte Schwäche und versuchten diese gezielt auszunutzen. Vor allem in den zeitgenössischen politischen Karikaturen Englands und Frankreichs wurde Katharina negativ dargestellt: Die männlichen Karikaturisten bedienten sich dabei regelmäßig frauenfeindlicher Klischees, zeigten sie u. a. als machthungrige, widerspenstige und sexuell freizügige Frau.

Damit spielten sie auch auf Katharinas Umgang mit Männern an, die als ihre Favoriten engsten, auch sexuellen Kontakt zur Kaiserin hatten. Ihr wurde ein „zu“ großer sexueller Appetit unterstellt, was zu anhaltender frauenfeindlicher Kritik und Legendenbildung – auch im eigenen Land führte. 
Dieses sogenannte „Slutshaming“ war und ist auch heute gängige Praxis, um starke und unabhängige Frauen zu diskreditieren und sie herabzuwürdigen. Was genau einen „zu“ großen sexuellen Appetit ausmacht, unterscheidet sich sowohl damals als auch heute stark vom jeweiligen Geschlecht. Es sind in der Regel Frauen, die für einen „lockeren“ Umgang mit Sex verurteilt werden. 
Besonders weil das Favoritentum am Hof zur Normalität gehörte, zeigt sich der misogyne Doppelstandard: Die mächtigen Männer hatten sich immer schon mit Mätressen umgeben und auch erneut zu heiraten war völlig normal. Parallele sexuelle Beziehungen waren in dynastischen Verhältnissen jedoch den Männern vorbehalten. Für die Frauen galt es nämlich als unabdingbar, einen legitimen Thronfolger zu zeugen. Dass Katharina noch während ihrer Ehe zu Peter III. Affären hatte, führte dementsprechend zu Problemen und zu den späteren Verunglimpfungen ihres Charakters. Bis heute wird über die Vaterschaft ihres ersten Sohnes gerätselt. Er wurde letztendlich als legitimer Sohn Peters III. anerkannt und regierte später als Kaiser Paul I. über Russland. Auch für weitere Kinder der Kaiserin werden andere Väter angenommen. 
Die Verschwörungstheorien und Verunglimpfungen ihres Charakters aufgrund ihrer selbstbewusst ausgelebten Sexualität halten sich vehement und werden auch immer weiter reproduziert. Das wohl abscheulichste Gerücht über Katharinas angeblichen Verkehr mit einem Pferd wurde erst kürzlich wieder in der HBO-Produktion „The Great“ thematisiert – dort aber richtigerweise als völlig erfunden gekennzeichnet. 
Katharina die Große war ein Mensch und gleichzeitig eine absolutistische Herrscherin. Viele ihrer Handlungen waren kritikwürdig. Es ist jedoch wichtig einen genauen Blick auf die Art der Kritik zu werfen: Gezielt gestreute Gerüchte über ihr Sexualleben sind Symptome von Misogynie: Sie dienen dazu, um dem Ansehen einer starken Frau zu schaden. Daher geht es weniger darum zu hinterfragen, ob die beschuldigte Person wirklich „zu viele“ Sexualpartner hatte, sondern darum, ob das bei einem Mann ein ebenso großer Skandal gewesen wäre.

Misogynie/Frauenfeindlichkeit ist die treibende Kraft dieser Charakterangriffe.

Der Artikel ist Teil der Online-Ausstellung „Volker Hermes: Portrait & Mensch“.

Catherine the Great Nymphomaniac? When men feel threatened

„Gods and men seem to fear nothing more than the loss of control over women.“

– Mary Daly in „Gyn/Ökologie“ 1981

The Russian Empress Catherine II deliberately staged herself and her position in her own country as an enlightened, righteous and absolutist ruler in various artistic genres. The pictorial propaganda of her reign made use of mythological allusions, such as the depiction of the empress as the goddess Athena/Minerva – as a clever and strategic war leader, she brings peace and protects knowledge and wisdom.

Catherine herself was highly educated, she studied literature and science and wanted to change Russia entirely according to her ideas. She was enthusiastic about the ideals of the Enlightenment and wanted to modernize the country according to its principles. Central aspects of the Enlightenment (reason, humanity and tolerance) stood in stark contrast to the previous Russian state leadership. Catherine therefore sought far-reaching reforms: Above all, she wanted to eliminate the arbitrariness of Russian punishments and the administration of justice. She also aimed to educate citizens to become good, just and productive people and to provide better access to education. 

However, Catherine not only left serfdom - a social system similar to slavery - untouched, but even made it more severe. This earned her much criticism from her own people, from literary figures, philosophers and rulers from abroad. Her enlightened policy was exposed as a mirage. 

She found it particularly difficult to assert herself against the patriarchal structures of the Russian state apparatus and the Orthodox Church. Even in other European countries, the view of a woman at the top of the power structure was characterized by hostility and prejudice. It was difficult to comprehend that Catherine “behaved like a man, chose her friends and lovers freely and combined political calculation with physical pleasures. It was as if she demanded equal rights for women.“ 

Her male critics regarded Catherine's (female) vanity as her greatest weakness and tried to exploit it deliberately. Catherine was portrayed negatively, particularly in contemporary political caricatures in England and France: The male caricaturists regularly used misogynistic clichés, depicting her as a power-hungry, unruly and sexually promiscuous woman, among other things.

They also alluded to Catherine's dealings with men who, as her favorites, had the closest, including sexual, contact with the empress. She was accused of having “too” great a sexual appetite, which led to persistent misogynistic criticism and the creation of legends – even in her own country. 

This so-called “slutshaming” was and still is common practice today to discredit and belittle strong and independent women. What exactly constitutes a “too” large sexual appetite differs greatly by gender, both then and now. It is usually women who are condemned for a “loose” approach to sex. 

The misogynistic double standard is particularly evident because favoritism was the norm at court: the powerful men had always surrounded themselves with mistresses and remarrying was also completely normal. However, parallel sexual relationships were reserved for men in dynastic circles. For women, it was considered essential to produce a legitimate heir to the throne. The fact that Catherine had affairs with Peter III during her marriage led to problems and later disparagement of her character. The paternity of her first son is still a matter of debate today.  He was ultimately recognized as the legitimate son of Peter III and later reigned over Russia as Emperor Paul I. Other fathers are also assumed for the empress' other children.

The conspiracy theories and denigration of her character due to her self-confident sexuality persist vehemently and continue to be reproduced. Probably the most outrageous rumor about Catherine's alleged intercourse with a horse was only recently brought up again in the HBO production “The Great” – but there it was correctly marked as completely invented. 

Catherine the Great was both a human being and an absolutist ruler. Many of her actions were and are open to criticism. However, it is important to take a close look at the nature of the criticism: Purposefully spread rumors about her sex life are symptoms of misogyny: they serve to damage the reputation of a strong woman. Therefore, it is less about questioning whether the accused person really had “too many” sexual partners, but whether it would have been just as scandalous for a man. misogyny is the driving force behind these character attacks.
 

This blog article is part of the online exhibition ‘Volker Hermes: Portrait & Person’.

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