Die Grundannahme, dass der Mensch heterosexuell ist, steht einer differenzierten Betrachtung historischer Personen im Wege. Ein voreingenommener Blick kann nicht nur zu Fehlinterpretationen führen, sondern stellt auch die Lebensrealitäten und die historische Existenz von queeren Personen in Frage. In der Forschung kommt das durchaus häufig vor. Es ist wichtig zu differenzieren. Vieles können wir aufgrund der ungenügenden Quellenlage nicht rekonstruieren, manches lässt sich vermuten, aber weniges beweisen. Das gleiche trifft auf Preußens berühmtesten König zu:
Friedrich wurde 1733 noch als Kronprinz mit Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern aus politischen Gründen verheiratet. Die Ehe verlief unglücklich und endete kinderlos mit dem Tod Friedrichs im Jahr 1786. Dass die spätere Abneigung gegen seine Frau nicht unerwartet kam und wahrscheinlich auch nicht ihrem Charakter oder ihrem Äußeren geschuldet war, geht bereits aus einem Brief von 1731 hervor: „[…] ich fühle in mir [nicht] genug […] Liebe zum weiblichen Geschlecht, […] der bloße Gedanke an meine [zukünftige] Frau ist mir […] eine verhasste Sache […].“
Friedrich werden zwar Affären mit Frauen nachgesagt, diese fanden jedoch in seinen Jugendjahren vor allem am Dresdener Hof und später auch in Berlin statt. Genauso gibt es viele unbewiesene Überlieferungen über Verhältnisse mit Männern: Im Alter von 18 Jahren hatte Friedrich z. B. eine enge – angeblich an ein Liebespaar erinnernde – Freundschaft zu Hans Hermann von Katte. Ein mögliches Interesse an Männern zeigt sich auch in einem Brief: Friedrich beschreibt die „Schönheit“ und den „Liebreiz“ des Johann Friedrich von der Marwitz, dem Liebhaber seines offen homosexuellen Bruders Heinrich. Viele Dokumente und Briefe sind erhalten, nicht alle sind erforscht. Um mit Bestimmtheit sagen zu können, ob Friedrich schwul war, fehlt ein Brief der sagt „Ich bin sexuell nur an Männern interessiert.“ Dieser existiert nicht. Vielleicht hat er sich nie schriftlich dazu geäußert, oder alle Dokumente wurden verbrannt oder versteckt. Dementsprechend bleibt alles bloße Spekulation.
Ein wichtiger Aspekt für eine offen gelebte Sexualität ist neben einem sicheren Umfeld die psychische Verfassung; Selbsthass und Verdrängung könnten in Friedrichs Leben eine große Rolle gespielt haben: Seine Kindheit und Jugendjahre waren von schweren Auseinandersetzungen mit seinem Vater, dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., geprägt. Regelmäßig bezeichnete der Vater ihn als „verweichlichten, weibischen Kerl“, als „Sodomiten“* und schlug ihn. So machte er seinem „zu femininen“ Sohn Friedrich das Leben zur Hölle und dürfte seine Psyche nachhaltig geschädigt haben. Aus heutiger Sicht würde man die Demütigungen und körperlichen Angriffe, denen sich Friedrich stellen musste, homophob verurteilen. Es ist allerdings wichtig zu erwähnen, dass es das heutige Konzept von Homosexualität zu dieser Zeit nicht gab. Außerdem ist es schwierig unsere Moral- und Wertevorstellungen auf die Vergangenheit anzuwenden.
Bereits zu Friedrichs Jugendjahren wurde von seinem Vater und anderen Menschen am Hof über seine Sexualität spekuliert. Auch in Europa kursierten später Gerüchte: In London erschien ein Text über die angeblich homosexuellen Neigungen des Preußischen Königs.
Ob Friedrich der Große nun schwul, bisexuell, heterosexuell, pansexuell, oder ob seine Sexualität vielleicht sogar fließend war, ist nicht zu beweisen. Denn: Solche Definitionen gab zu dieser Zeit nicht und Friedrich mochte auch gar keine Labels: Er hat die vielen Gerüchte über seine Sexualität weder bestätigt noch abgestritten!
„Was dieses verleumderische Büchlein angeht, worüber Sie mir berichten, dass Manuskripte davon in England in Umlauf sind, sage ich Ihnen, dass Sie sich damit nicht abgeben sollen, und Sie sollen sich weder offenbaren noch ein Wort darüber verlieren. […] Außerdem kümmere ich mich nicht darum, was Besessene über meine Person schreiben, solange das Wohl meines Staates nicht darunter leidet.“1
Damit knüpft er nahtlos an unsere heutigen Diskurse über Sexualität an. Einige Menschen definieren sich nicht anhand ihrer Sexualität, auch für die LGBTQIA+-Community** spielen Facettenreichtum, persönliche Interessen sowie Stärken und Schwächen eine größere Rolle als ihre Sexualität - auf die sie viel zu oft reduziert werden. Gleichzeitig können Labels aber auch Identitätsstiftend sein. Sie helfen dabei Anschluss zu finden und gehört zu werden. Besonders die Generation-Z nutzt eine Vielzahl von unterschiedlichen Labels, um sich und die eigene Sexualität zu definieren. Bei Friedrich jedenfalls bring es nichts, ihn eine Schublade zu stecken. Wir wissen es einfach nicht genau. Alle Quellen und Beschreibungen seines Lebens, sind jedoch nicht mit heteronormativen Vorstellungen vereinbar. Aus Mangel an eindeutigen Beweisen könnte Friedrich daher einfach höchstens als queer bezeichnet werden.
* Mit dem Begriff Sodomie wurde ab dem Mittelalter bis in die frühe Neuzeit jegliche sexuelle Handlung beschrieben, die nicht der Fortpflanzung dient. Somit auch sexuelle Handlungen unter Männern.
** Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual/Transgender, Queer, Intersexual und Asexual. Das + am Ende steht für „Allys“, also alle, die die Queer Community unterstützen.
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