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Des Königs neue Sexualität

07. April 2025 Von Alexander Reich

„[Ich kümmere mich] nicht darum, was Besessene über meine Person schreiben, 
solange das Wohl meines Staates nicht darunter leidet.“

– Friedrich II.
mag keine Labels

 

Die Grundannahme, dass der Mensch heterosexuell ist, steht einer differenzierten Betrachtung historischer Personen im Wege. Ein voreingenommener Blick kann nicht nur zu Fehlinterpretationen führen, sondern stellt auch die Lebensrealitäten und die historische Existenz von queeren Personen in Frage. In der Forschung kommt das durchaus häufig vor. Es ist wichtig zu differenzieren. Vieles können wir aufgrund der ungenügenden Quellenlage nicht rekonstruieren, manches lässt sich vermuten, aber weniges beweisen. Das gleiche trifft auf Preußens berühmtesten König zu:

Friedrich wurde 1733 noch als Kronprinz mit Elisabeth Christine von Braunschweig-Bevern aus politischen Gründen verheiratet. Die Ehe verlief unglücklich und endete kinderlos mit dem Tod Friedrichs im Jahr 1786. Dass die spätere Abneigung gegen seine Frau nicht unerwartet kam und wahrscheinlich auch nicht ihrem Charakter oder ihrem Äußeren geschuldet war, geht bereits aus einem Brief von 1731 hervor: „[…] ich fühle in mir [nicht] genug […] Liebe zum weiblichen Geschlecht, […] der bloße Gedanke an meine [zukünftige] Frau ist mir […] eine verhasste Sache […].“

Friedrich werden zwar Affären mit Frauen nachgesagt, diese fanden jedoch in seinen Jugendjahren vor allem am Dresdener Hof und später auch in Berlin statt. Genauso gibt es viele unbewiesene Überlieferungen über Verhältnisse mit Männern: Im Alter von 18 Jahren hatte Friedrich z. B. eine enge – angeblich an ein Liebespaar erinnernde – Freundschaft zu Hans Hermann von Katte. Ein mögliches Interesse an Männern zeigt sich auch in einem Brief: Friedrich beschreibt die „Schönheit“ und den „Liebreiz“ des Johann Friedrich von der Marwitz, dem Liebhaber seines offen homosexuellen Bruders Heinrich. Viele Dokumente und Briefe sind erhalten, nicht alle sind erforscht. Um mit Bestimmtheit sagen zu können, ob Friedrich schwul war, fehlt ein Brief der sagt „Ich bin sexuell nur an Männern interessiert.“ Dieser existiert nicht. Vielleicht hat er sich nie schriftlich dazu geäußert, oder alle Dokumente wurden verbrannt oder versteckt. Dementsprechend bleibt alles bloße Spekulation.

Ein wichtiger Aspekt für eine offen gelebte Sexualität ist neben einem sicheren Umfeld die psychische Verfassung; Selbsthass und Verdrängung könnten in Friedrichs Leben eine große Rolle gespielt haben: Seine Kindheit und Jugendjahre waren von schweren Auseinandersetzungen mit seinem Vater, dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., geprägt. Regelmäßig bezeichnete der Vater ihn als „verweichlichten, weibischen Kerl“, als „Sodomiten“* und schlug ihn. So machte er seinem „zu femininen“ Sohn Friedrich das Leben zur Hölle und dürfte seine Psyche nachhaltig geschädigt haben. Aus heutiger Sicht würde man die Demütigungen und körperlichen Angriffe, denen sich Friedrich stellen musste, homophob verurteilen. Es ist allerdings wichtig zu erwähnen, dass es das heutige Konzept von Homosexualität zu dieser Zeit nicht gab. Außerdem ist es schwierig unsere Moral- und Wertevorstellungen auf die Vergangenheit anzuwenden.

Bereits zu Friedrichs Jugendjahren wurde von seinem Vater und anderen Menschen am Hof über seine Sexualität spekuliert. Auch in Europa kursierten später Gerüchte: In London erschien ein Text über die angeblich homosexuellen Neigungen des Preußischen Königs.

Ob Friedrich der Große nun schwul, bisexuell, heterosexuell, pansexuell, oder ob seine Sexualität vielleicht sogar fließend war, ist nicht zu beweisen. Denn: Solche Definitionen gab zu dieser Zeit nicht und Friedrich mochte auch gar keine Labels: Er hat die vielen Gerüchte über seine Sexualität weder bestätigt noch abgestritten!

„Was dieses verleumderische Büchlein angeht, worüber Sie mir berichten, dass Manuskripte davon in England in Umlauf sind, sage ich Ihnen, dass Sie sich damit nicht abgeben sollen, und Sie sollen sich weder offenbaren noch ein Wort darüber verlieren. […] Außerdem kümmere ich mich nicht darum, was Besessene über meine Person schreiben, solange das Wohl meines Staates nicht darunter leidet.“1

Damit knüpft er nahtlos an unsere heutigen Diskurse über Sexualität an. Einige Menschen definieren sich nicht anhand ihrer Sexualität, auch für die LGBTQIA+-Community** spielen Facettenreichtum, persönliche Interessen sowie Stärken und Schwächen eine größere Rolle als ihre Sexualität - auf die sie viel zu oft reduziert werden. Gleichzeitig können Labels aber auch Identitätsstiftend sein. Sie helfen dabei Anschluss zu finden und gehört zu werden. Besonders die Generation-Z nutzt eine Vielzahl von unterschiedlichen Labels, um sich und die eigene Sexualität zu definieren. Bei Friedrich jedenfalls bring es nichts, ihn eine Schublade zu stecken. Wir wissen es einfach nicht genau. Alle Quellen und Beschreibungen seines Lebens, sind jedoch nicht mit heteronormativen Vorstellungen vereinbar. Aus Mangel an eindeutigen Beweisen könnte Friedrich daher einfach höchstens als queer bezeichnet werden.

* Mit dem Begriff Sodomie wurde ab dem Mittelalter bis in die frühe Neuzeit jegliche sexuelle Handlung beschrieben, die nicht der Fortpflanzung dient. Somit auch sexuelle Handlungen unter Männern.  
** Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual/Transgender, Queer, Intersexual und Asexual. Das + am Ende steht für „Allys“, also alle, die die Queer Community unterstützen.

Der Artikel ist Teil der Online-Ausstellung „Volker Hermes: Portrait & Mensch“.

The Kings new Sexuality

“I do not care about what obsessives write about my person, 
as long as the welfare of my state does not suffer as a result.” 

– Frederick II. 
Does not like labels

The basic assumption that people are heterosexual stands in the way of a differentiated view of historical figures. A biased view can not only lead to misinterpretations, but also calls into question the realities of life and the historical existence of queer people. This happens quite frequently in scholarship. It is important to differentiate. We cannot reconstruct many things due to the inadequate sources, some things can be assumed, but few things can be proven. The same applies to Prussia's most famous king:

Frederick was married to Elisabeth Christine of Brunswick-Bevern while still crown prince in 1733 for political reasons. The marriage was unhappy and ended childless with Frederick's death in 1786. The fact that his later aversion to his wife was not unexpected and was probably not due to her character or appearance is already clear from a letter from 1731: “[...] I do not feel enough love for the female sex, [...] the mere thought of my [future] wife is [...] fills me with hate [...]”.

Although Frederick is said to have had affairs with women, these took place in his youth, mainly at the Dresden court and later in Berlin. There are also many unproven accounts about relationships with men: At the age of 18, for example, Friedrich had a close friendship - supposedly reminiscent of a couple - with Hans Hermann von Katte. A possible interest in men is also evident in one letter: Friedrich describes the “beauty” and “charm” of Johann Friedrich von der Marwitz, the male lover of his brother Heinrich. Many documents and letters have been preserved, but not all of them have been researched. In order to be able to say with certainty whether Friedrich was gay, a letter saying “I am only sexually interested in men” is missing. It does not currently exist. Perhaps he never made a written statement about it, or all the documents were burned or hidden. Accordingly, everything remains mere speculation.

In addition to a safe environment, an important aspect for an openly lived sexuality is the mental state; self-hatred and repression could have played a major role in Friedrich's life: His childhood and teenage years were characterized by serious disputes with his father, the soldier king Frederick William I. His father regularly called him an “effeminate fellow” or “sodomite ”* and beat him. He made life hell for his “too effeminate” son Friedrich and probably caused lasting damage to his psyche. From today's perspective, the humiliations and physical attacks that Friedrich had to endure would be condemned as homophobic.

However, it is important to mention that today's concept of homosexuality did not exist at that time. It is also difficult to apply our morals and values to the past.

Already in Frederick's youth, his father and other people at court speculated about his sexuality. Rumors also circulated later in Europe: A text appeared in London about the Prussian king's alleged homosexual tendencies.

Whether Frederick the Great was gay, bisexual, heterosexual, pansexual, or whether his sexuality was perhaps even fluid, cannot be proven. After all, there were no such definitions at the time and Frederick did not like labels: he neither confirmed nor denied the many rumors about his sexuality!

“As for this slanderous booklet, about which you tell me that manuscripts of it are circulating in England, I say to you that you should not concern yourself with it, and you should neither reveal yourself nor say a word about it. [...] Besides, I do not care what obsessives write about my person as long as the welfare of my state does not suffer.”

This ties in seamlessly with our current discourse on sexuality. Some people do not define themselves by their sexuality, and for the LGBTQIA+ community**, diversity, personal interests, strengths and weaknesses play a greater role than their sexuality - to which they are far too often reduced. At the same time, however, labels can also create identity. They help people to connect and be heard. Generation Z in particular uses a variety of different labels to define themselves and their own sexuality. In any case, there's no point in categorizing Frederick. We simply don't know exactly. However, all the sources and descriptions of his life are not compatible with heteronormative ideas. For lack of clear evidence, Frederick could therefore simply be described as queer at best.

This blog article is part of the online exhibition ‘Volker Hermes: Portrait & Person’.

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