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„Mein Chef meinte: ,Sie machen das schon.‘“

24. Januar 2025 Von Michael Wolf

2025 jährt sich die Deutsche Einheit zum 35. und die Gründung der SPSG zum 30. Mal. Aus diesem Anlass blicken wir in einer Reihe auf die turbulenten Ereignisse der Wendejahre. Auch Wilma Otte kann viel aus dieser Zeit erzählen. Die heutige Sachbearbeiterin übernahm im Marmorpalais das Kommando von der NVA.

Die Übergabe war improvisiert, eine gewisse Feierlichkeit ließ sich der Oberst aber nicht nehmen. Seine Nachfolgerin Wilma Otte und Hans-Joachim Giersberg, Chef der Schlösserverwaltung, mussten zunächst an dem riesigen Schreibtisch im Vorzimmer vorbeiexerzieren, dann empfing der Offizier in seinem Büro, einem der prachtvollen hölzernen Kabinette. Der Rest des Schlosses war in deutlich schlechterem Zustand, das sollte Otte in der nächsten Zeit merken. „Ich habe in meinem Leben nie so einen großen Schwammpilz gesehen. Alles war schmutzig und schlecht gepflegt.“ Im früheren Arbeitszimmer Friedrich Wilhelms II. achtete man dagegen auf geordnete Verhältnisse. Neben einer riesigen Telefonanlage füllte der Oberst Schnapsgläser voll und reichte sie seinen Gästen. Später schenkte er Otte zum Abschied noch eine Wattejacke in Tarnfarben. „Die werden Sie hier brauchen.“ Und so wurde die 24-jährige Wilma Otte an einem Wintertag des Jahres 1989 Herrin über das Marmorpalais.

Wie war es hierzu gekommen?
Wie bei vielen Ereignisse in dieser besonderen Zeit lässt sich diese Frage entweder weltpolitisch oder biographisch erklären. Otte hatte nach ihrem Abitur im Jahr 1983 eine Stelle als Hilfsmuseumsassistentin bei der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci angetreten, also der DDR-Vorgängerin der SPSG. „Morgens haben wir im Neuen Palais mit riesigen Besen und grünen Ölspänen den Boden gefegt. Und dann haben wir natürlich die Besucher durch das Schloss geführt.“ Später hat sie auch Baupläne anderer Hohenzollernschlösser katalogisiert. „Ich weiß noch, dass ich mich um Schloss Stolzenfels kümmern musste. Das liegt bei Koblenz. Und ich dachte: Da komme ich ja nie hin. Was mache ich hier eigentlich?“ Ein paar Kilometer weiter betrieb die Nationale Volksarmee derweil im Marmorpalais ein Militärmuseum. Auf den Terrassen standen seit 1960 Panzer und Kampfflugzeuge, in den Ausstellungsräumen hatte man die prächtigen Wände mit Gipsplatten abgehängt. An den kunstsinnigen König Friedrich
Wilhelm II. erinnerte kaum noch etwas. Doch dann kam der 9. November 1989. Nach der Maueröffnung wollte die Armee ihr Museum so schnell wie möglich loswerden. „Die hatten kein Geld mehr“, erinnert sich Otte. „Und überhaupt wusste ja damals niemand, was werden wird. Das galt umso mehr für die NVA, denn das waren ja nun ganz klar die Verlierer der Geschichte.“

Sie selbst hatte inzwischen Museumskunde studiert und war seit Anfang 1989 wieder zurück bei der Schlösserverwaltung. Ihren Sommerurlaub verbrachte sie in Ungarn. Auf dem Zeltplatz habe es nur ein Thema gegeben. „Wir haben alle überlegt, ob wir bleiben oder zurückgehen sollen. Da ahnte ja niemand, was passieren würde.“ Otte ist schließlich wieder nach Hause gefahren, wo sie nach der Maueröffnung dann die unverhoffte Beförderung erwartete. „Mein Chef meinte zu mir: ,Sie machen das schon.‘“

Und sie machte. Otte räumte im Schloss auf, koordinierte zusammen mit dem zuständigen Architekten die Sanierungsarbeiten, recherchierte zur Geschichte des Hauses – und übte sich in Personalführung. „Die NVA hatte mir mit dem Schloss zwei Mitarbeiter übergeben: einen Hausmeister und einen Heizer. Das waren Soldaten und für die muss die Situation noch viel komischer gewesen sein. Dass sie ihre Ansagen jetzt von so Kunstmenschen wie uns bekommen.“ Doch auch für Otte selbst war es eine Zeit des Umbruchs. „Aufregend“, das Wort fällt oft, wenn sie auf die Wendejahre zurückblickt. Dass sie als Mitte Zwanzigjährige die Aufgabe erhielt, ein Militärmuseum wieder in ein Preußenschloss zu verwandeln, ist für sie ganz offenbar nur eine von vielen Verrücktheiten dieser Zeit. Heute ist Otte in der SPSG für Barrierefreiheit und Inklusion zuständig. Schloss Stolzenfels bei Koblenz hat sie längst besucht, es sei aber „nicht so beeindruckend“. Und das Marmorpalais? Ist bis heute eines ihrer liebsten Schlösser.
 

Der Beitrag ist zuerst erschienen im SPSG-Magazin SANS,SOUCI. 01.2025

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