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Dramatischer Entführungsakt

06. Dezember 2024 Von Silke Kiesant

Die Alabastergruppe „Pluto und Proserpina“ neu im Schloss Oranienburg

Schloss Oranienburg ist seit kurzem um ein kostbares Kunstwerk reicher: Die zierliche, nur 32 Zentimeter hohe Alabastergruppe „Raub der Proserpina“ steht nun auf einem Tisch im Vorzimmer des Königs gemeinsam mit der Feuerzeugweckuhr von Pierre Fromery und einem Vasensatz aus Japan, Edo-Zeit (Ende 17./Anfang 18. Jahrhundert) bestehend aus einem Deckelgefäß mit „Löwen-Knauf“ und zwei Flötenvasen mit Dekor im Imari-Stil. Diese Kombination aus Objekten verschiedener Sammlungen der SPSG erweckt den Eindruck eines Schautisches und gibt einen Einblick in die Welt der Künste und des fürstlichen Sammelns zu Beginn des 18. Jahrhunderts.

Die Skulpturengruppe aus gräulichem Alabaster zeigt den gewaltsamen Entführungsakt der Proserpina (in der griechischen Mythologie Persephone) durch Pluto (griechisch: Hades). Dabei zeigt das Bildwerk seine ganze Dramatik vor allem beim Betrachten der Vorderseite: Rechts umfasst der Gott der Unterwelt, dargestellt als bärtiger Mann in mittlerem Alter und mit einer Krone auf dem Kopf, mit seinem linken Arm die Hüfte der jungen Frau. Sein rechter Arm ist auf der Rückseite unter einem Tuch verborgen, mit seinem linken Bein geht er einen Schritt nach links, der rechte Fuß ist leicht verdreht auf dem Ballen aufgesetzt. Das Gesicht mit leicht geöffnetem Mund und einem zugleich angestrengten, aber auch erstauntem Ausdruck ist dem Betrachter zugewandt. Angesichts des Kraftaufwands, mit dem er das Mädchen hochhebt, zeichnet sich seine Rücken- und Oberarmmuskulatur deutlich angespannt ab. Dagegen hängt Proserpina eher schlaff über Plutos Unterarm, sie hat die Bodenhaftung zur Erde bereits verloren. Ihr Körper beschreibt einen Bogen weg von dem drängenden Gott hinunter zu der am Boden liegenden Frauengestalt. Diese Abwärtsbewegung wird noch unterstützt durch ihren erhobenen linken Arm und das Tuch, das sie über sich fortzuziehen scheint. Ihr verzweifelter Gesichtsausdruck wendet sich nach unten zu ihrer Mutter, die mit der Rechten die Hand ihrer Tochter greift und versucht, diese Plutos Griff zu entwinden.

Die Szene erzählt von der Entführung von Proserpina, Tochter von Göttervater Jupiter (Zeus) und Ceres (Demeter), Schwester und Frau des Jupiter sowie Göttin des Ackerbaus und der Ernte. Verschiedene Autoren der Antike beschäftigten sich mit dem Mythos, die älteste ausführliche Schilderung stammt von Homer in seiner „Hymne für Demeter“ (7./6. Jahrhundert v. Chr.), in Rom weit verbreitet wurde sie durch die „Metamorphosen“ von Ovid (1. Jahrhundert n. Chr.).

In einer idyllischen, ewig frühlingshaften Landschaft am See Pergusa auf Sizilien pflückte die schöne Proserpina, fast noch ein Kind, mit ihren Gefährtinnen Blumen. Dort sah und begehrte sie Pluto, der Gott der Unterwelt, der zuvor durch Amors Pfeil für die Liebe empfänglich geworden war. Pluto bat seinen Bruder Jupiter, ihm das Mädchen zur Frau zu geben. Jupiter blieb jedoch unentschieden, da Proserpina nicht freiwillig in die sonnenlose Unterwelt gegangen wäre. So raubte Pluto sie schließlich gewaltsam in seinem von unsterblichen Pferden gezogenen goldenen Wagen und nahm die sich sträubende Jungfrau mit in sein dunkles Reich. Ihre Hilferufe hörten weder Jupiter noch ihre Freundinnen. Auch Ceres nicht, doch sie suchte nun überall nach ihrer Tochter. Währenddessen ließ sie auf Sizilien die Saat und Feldfrüchte verdorren. Als sie erfuhr, dass Proserpina nun Königin der Unterwelt und Totengöttin sei, flehte sie Jupiter an, ihr die Tochter zurückzugeben. Der Göttervater urteilte daraufhin diplomatisch, um sowohl den Wünschen seines Bruders Pluto als auch seiner Schwester und Frau Ceres zu entsprechen: Proserpina hatte bei Pluto Granatapfelkerne gegessen und sich somit an ihn gebunden. Von nun an sollte sie die Hälfte des Jahres in der Unterwelt und die andere Hälfte bei der Mutter auf der Erde leben. Ceres war jedes Mal, wenn die Tochter wieder zu Pluto zog, so traurig, dass sie vergaß, der Natur ihre Segnungen zu schenken. So entstanden dieser Legende nach durch die zwischen Ober- und Unterwelt wandelnde Proserpina die Jahreszeiten.

Dieser Frauenraub-Mythos erfreute sich bis in das 18./19. Jahrhundert sowohl in der Literatur als auch in der bildnerischen Kunst großer Beliebtheit. Dabei boten sich den Künstlern unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten: erotisches Sinnbild, moralisierendes Beispiel oder die Interpretation vom Kreislauf der Natur, vom Absterben und Wiederaufleben in den Jahreszeiten. (Christiane Brehm: Der Raub der Proserpina. Studien zur Ikonographie und Ikonologie eines Ovidmythos von der Antike bis zur frühen Neuzeit. Dissertation. Münster (Westf.) 1996, S. 2. Online)

Im Dunkeln der Geschichte

Bei der vermutlich um 1700/20 entstandenen Alabastergruppe „Pluto und Proserpina“ handelt es sich nicht um alten Schlösserbesitz. Über ihre Herkunft ist wenig bekannt. Die Westberliner Schlösserverwaltung erwarb sie 1966 in einem Berliner Auktionshaus für Schloss Charlottenburg als ein Werk des Bildhauers Georg Franz Ebenhech(t) (um 1710–1757). Diese Zuschreibung kann aus stilistischen und Datierungsgründen kaum stimmen. Die künstlerische Darstellung ist mit Ebenhechts um 1750 gearbeiteten Parkskulpturen in Sanssouci, wie zum Beispiel eine Marmorgruppe mit gleichem Thema, nicht vergleichbar. Die Gliedmaßen und fein ausgearbeiteten Gesichter erinnern vielmehr an Werke des in Österreich und Schlesien wirkenden Bildhauers Matthias Steinle (1643/44–1727) und an dessen Elfenbeingruppe „Pluto und Proserpina“ (ca. 1695–1700, Privatbesitz). Auch in Böhmen tätige Künstler, wie Lazar Widmann (1699–1769) oder sein Umkreis, schufen kleine Skulpturengruppen in Elfenbein oder Alabaster.

Der unbekannte Bildhauer unserer Gruppe kannte sicher berühmte Vorbilder der Renaissance und des Barocks, die den antiken Mythos als Skulptur wiedergaben, wie Giambolognas (um 1524/29–1608) Meisterwerk „Raub der Sabinerinnen“ (1583, Florenz, Loggia dei Lanzi). Ebenso können die 1621/22 von Giovanni Lorenzo Bernini (1598–1680) geschaffene Marmorgruppe „Pluto und Proserpina“ in der Villa Borghese in Rom sowie François Girardons (vor 1628–1715) „Raub der Proserpina durch Pluto“ (1677–99) im Park von Versailles mit einer ähnlichen Komposition als Dreiergruppe mit der halb liegenden Ceres am Boden herangezogen werden.

Über die Restaurierung der „Pluto und Proserpina“-Gruppe vor der Aufstellung im Schloss Oranienburg schreibt die Skulturenrestauratorin der SPSG Alexandra Streich:
„Schon lange befand sich die Alabastergruppe im Depot. Sie war verschmutzt und war an einigen Stellen bereits gekittet, doch die Anbindung an den Stein war bereits verloren. Die Kittungen bestanden teilweise aus Gips, teilweise aus Polyesterharz, darunter lagen zum Teil alte Klebungen aus Schmelzkleber. Der linke Fuß der Proserpina hatte sich gelöst.“

Erst nach der feinen Reinigung der Skulptur mit Wattestäbchen war es möglich, den linken Fuß der Proserpina sowie den rechten Arm der Ceres als spätere Ergänzungen zu identifizieren. Der hierfür verwendete Alabaster besaß einen wärmeren Farbton als das originale Material. Für diese These sprach auch, dass der rechte Unterarm der Ceres etwas zu kurz war und im Vergleich zum Rest ihres Körpers und ihres linken Armes nicht proportional erschien.

Einige der alten Kittungen wiesen zu starke Schäden auf und mussten daher entfernt und neu angefertigt werden, dafür wurde ein Mörtel aus Marmormehl und einem Acrylklebstoff verwendet. Mit größter Vorsicht wurde der winzige gelockerte rechte Unterarm der Ceres sowie die rechte Hand der Proserpina abgenommen und mit Hilfe von Glasfaserstäben wieder verdübelt und erneut verklebt.

Der linke Fuß der Proserpina wurde auf die gleiche Weise wieder angesetzt. Auch hier wurde Marmormehl in Kombination mit einem Acrylharz verwendet, um die Risse zu schließen.

Die neu angefertigten Ergänzungen wurden mithilfe von Acrylfarben retuschiert und an den Alabaster angeglichen.

 

 

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