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Ein neuer Arm aus Glas

30. Oktober 2024 Von Verena Wasmuth

Wiederherstellung des Kronleuchters im Rittersaal von Schloss Rheinsberg 

Glas ist ein fragiler Werkstoff, der auch ohne äußere Einwirkung zerbrechen kann. Seine Moleküle sind nicht in einem Kristallgitter symmetrisch angeordnet, sondern chaotisch, zufällig verteilt wie bei einer Flüssigkeit in erstarrtem Zustand. Damit wird ihre Beweglichkeit zwar sehr stark reduziert, doch sie können sich noch minimal gegeneinander verschieben. Auslöser dafür sind meist ungünstige oder schwankende klimatische Bedingungen. Diese Beschaffenheit führt gerade bei historischen Glasobjekten häufig zu unerwünschten Alterungsprozessen, denn in der frühen Neuzeit verwendete man heute nicht mehr gebräuchliche Rezepturen. Bei brandenburgischen Glasprodukten des ausgehenden 17. und des 18. Jahrhunderts ist Korrosion bzw. die Glaskrankheit gut dokumentiert. Auch thermische Spannungen, die Sprünge hervorrufen, kommen immer wieder vor. Altes Glas kann also ohne erkennbaren Auslöser plötzlich bersten.

So lag im Rittersaal von Schloss Rheinsberg im Spätsommer 2023 einer der zwölf Glasarme des Kronleuchters in unzählige Teile zerbrochen auf dem Fußboden. (Abb. 1) Bei dem Leuchter handelt es sich um den einzigen historischen Glasarmkronleuchter aus der Zechliner Glashütte – seit 1737 königliche Hofglasmanufaktur und nur rund acht Kilometer nördlich von Rheinsberg gelegen – im Schloss aus dem Bestand der Stiftung.

Schnell war klar, dass eine Restaurierung durch Klebung ausgeschlossen war. Der Arm musste in Handarbeit rekonstruiert werden. Erfreulicherweise hat uns dabei das LWL-Industriemuseum Glashütte Gernheim in Nordrhein-Westfalen unterstützt. Die manuelle Glasfertigung, wie sie in dieser traditionsreichen Glashütte in Petershagen bei Minden noch heute praktiziert wird, steht seit Ende letzten Jahres als Immaterielles Kulturerbe der Menschheit auf der UNESCO-Liste. (Abb. 2) Das Restaurierungsprojekt würde also grundsätzlich auf dem Einsatz historischer Methoden beruhen. Wir hofften, gleichlaufend neue Erkenntnisse über die technischen Verfahren zur Herstellung derartiger Kronleuchter zu gewinnen, die nicht nur in Schloss Rheinsberg, sondern auch in zahlreichen anderen preußischen Schlössern hingen.

Wenn etwas unwiederbringlich verloren ist, braucht es eine Vorlage für die Rekonstruktion. Zum Zweck der Abformung eines der noch intakten Glasarme musste daher zunächst ein Ortstermin anberaumt werden. Nach Rheinsberg reisten der leitende Glasmacher Korbinian Stöckle und Museumsdirektorin Dr. Katrin Holthaus; von Seiten der SPSG waren die Fachbereichsleiterin für Glas, Ine Schuurmans und ich als zuständige Kustodin dabei. Mit viel Ruhe und Fingerspitzengefühl entnahm unsere Restauratorin einen der Glasarme. (Abb. 3)

Ganz analog, mit Papier und Bleistift, zeichnete Stöckle daraufhin eine Schablone. Mit präzisen Maßen versehen sollte sie als Grundlage für die 1:1-Replik dienen. (Abb. 4) Der intakte Arm wurde anschließend wieder eingesetzt.

Für die Glasmacher:innen der Glashütte Gernheim stellte sich nun die Aufgabe, eine hitzebeständige Schiene oder Vorlagenform zu entwickeln. Damit würden sie eine am Ofen aus dem zähflüssigen Glas gezogene Stange mit identischen Kurven versehen. (Abb. 5) Wie hatte die Zechliner Hütte dieses Problem gelöst? Bei Untersuchung des intakten Arms fielen uns punktuelle Einbuchtungen an den Wendepunkten der Bögen auf. Wir fanden dieselben Spuren auch auf den Armen anderer Kronleuchter im Schloss. Sie legen den Schluss nahe, dass man im 18. Jahrhundert wohl lediglich Nägel zu diesem Zweck verwendet hatte, die mit den gewünschten Abständen in ein Brett geschlagen waren. 

Am Ofen wurden als nächstes drei Ösen angesetzt. (Abb. 6) Sie sollten jeweils einen gläsernen Behang mittels Verdrahtung tragen. Eines der originalen Behangteile hatte den Sturz im Rittersaal überstanden, die beiden zerbrochenen Traubenbehänge konnten aus dem historischen Bestand ergänzt werden. Glücklicherweise verwahrt die SPSG eine umfangreiche Sammlung mit Kronleuchter-Ersatzteilen, darunter originale Zechliner Produkte, jedoch keine Arme.

Die zuletzt anzusetzende Kerzentülle entstand separat. (Abb. 7) 

Zahlreiche Anläufe waren nötig, um ein Ergebnis zu erzielen, das in den Proportionen mit der Vorgabe exakt übereinstimmte. Dieses wurde schließlich erneut erhitzt und mit einem kleinen Posten Glas auf den fertigen Arm geschmolzen, der zuvor auf dieselbe Temperatur gebracht werden musste. Nur langjährige Erfahrung befähigt zu einem solchen Kunststück. (Abb. 8)

Weil es immer wieder zu Fehlversuchen kam, fertigten die Glasmacher:innen alle Elemente des Arms in mehrfacher Ausführung, bevor sie sie miteinander zu einem Ganzen verbanden. Immer wieder überprüften sie alle Arbeitsschritte. (Abb. 9) 

Eine besondere Schwierigkeit stellte die Neuanfertigung eines Tropftellers dar. Im Hüttenbestand existierte keine geeignete Holzform zum Ausblasen. Stöckle entwickelte also ein digitales „Model“ am Rechner. In Eigenleistung beauftragte das Museum dann einen Drechsler mit der Anfertigung dieser zweiteiligen Form, die nach einigen Wochen mit der Post kam. Erneut kehrten die Glasmacher:innen an den Ofen zurück. Zunächst drückten sie den heißen, leicht vorgeblasenen Glasposten mit der Pfeife in eine offene Holzform mit Rippenstruktur. Die so vorstrukturierte Glasmasse, wurde in das neue Model eingeblasen und somit in die gewünschte Form gebracht. (Abb. 10 und 11) Abschließend wurde die geschlossene obere Hälfte abgetrennt und der Rand nach dem Auskühlen von Heikko Schulze Höing in der Museumswerkstatt plangeschliffen. Der erfahrene Veredler widmete sich gleichfalls dem Ansatz des runden Glasarms, den er für das Einstecken vierkantig zuschleifen musste. 

Was in der Theorie bereits bekannt war, bestätigte dieses schöne Kooperationsprojekt: Glasarmkronleuchter wurden im 18. Jahrhundert keinesfalls Stück für Stück mit enorm großem Aufwand, sondern vorindustriell in Serie produziert. Ihre Konstruktion beruhte auf dem Baukastenprinzip. Alles andere wäre unwirtschaftlich gewesen. Sicherlich hat die Zechliner Glashütte damals Dutzende nahezu identischer Arme eines Typs fortlaufend von Hand hergestellt, ebenso alle anderen Bestandteile, so die hohlgeblasenen Schaftkugeln und den unterschiedlichen Behang. Danach mussten sie nur noch zusammengefügt werden.

Als statische „Seele“ diente der eiserne, meist versilberte und dadurch den Glanz des Glases reflektierende Schaft. Auf ihm waren Hohlglaskugeln und -baluster aufgereiht. Dazwischen befanden sich – je nach Größe des Kronleuchters – zwei bis drei hölzerne Schalen, umschlossen von einer versilberten oder vergoldeten Glasschüssel. Diese Schalen werden als Holzkuchen bezeichnet. Sie waren aus mehreren Stücken zusammengeleimt, um die im Holz vorhandenen Spannungen langfristig auszugleichen. In symmetrisch angeordnete, eckige Löcher auf der Oberseite steckte man die Arme ein. (Abb. 12) 

Wenn ihnen wie dargestellt kleine gläserne Ösen angeschmolzen waren, konnten die Arme überaus dekorativen Behang tragen. Im Ganzen entwickelten Glasarmkronleuchter dank ihrer hohen Lichtbrechung und der optischen Reflexe eine besonders effektvolle Wirkung. Mit ihrer Transparenz fügten sie sich zudem wunderbar in jedes Interieur ein. Daher ist die Beliebtheit der Glasarmkronen am preußischen Hof wenig erstaunlich. Allein in Schloss Rheinsberg, das der spätere König Friedrich II. (1713–1780) in seiner Kronprinzenzeit zwischen 1736 und 1740 als Residenz ausstatten ließ, hingen elf „Cristallene Kronen“, davon allein vier mit je 8 Armen im „Marmor Sahl“. Dass diese Erwerbungen Kronleuchter ganz aus Glas waren und aus der königlichen Hofglasmanufaktur stammten, ist aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft zur erst kurz vorher gegründeten Zechliner Hütte naheliegend. Nicht ganz ohne Belang für das kronprinzliche Budget wird ihr, gegenüber Kronleuchtern mit Metallgestell und Bergkristall- oder Glasbehang, weitaus erschwinglicherer Preis gewesen sein. Durch die geographische Nähe zum Hersteller, blieben Reparaturen überdies mittels vorhandener Ersatzteile unkompliziert und bezahlbar. Friedrichs Schatullrechnungen dokumentieren derartige Maßnahmen bereits für die Jahre unmittelbar nach ihrer Hängung. So stellte der Pächter der Glashütte Johann George Stropp (1742–1772) die Reparatur eines stark "zerbroch. Cronenleuchters" sowie die Ergänzung neuer Arme und „Zierathen“ am 11. Dezember 1748 für insgesamt 78 Reichstaler in Rechnung. Dieser Kronleuchtertyp bedurfte also schon immer besonderer Aufmerksamkeit. (Abb. 13)

Nachdem Friedrich II. das Schloss Rheinsberg seinem jüngeren Bruder Prinz Heinrich (1726–1802) schenkte, ließ dieser, insbesondere ab 1763, umfangreiche Veränderungen an der Ausstattung und sogar den Grundrissen vornehmen. Obgleich nur fünf Räume erhalten blieben, scheint er doch alle Zechliner Glasarmkronleuchter behalten zu haben: Bei Heinrichs Tod wurden noch immer dreizehn „Glaskronen“ im Schloss bestätigt. Der Empfindlichkeit des Werkstoffs ist geschuldet, dass leider nur ein sehr kleiner Teil dieser frühen, preußischen Leuchter erhalten blieb.

Den fertig rekonstruierten Glasarm und seinen Tropfteller konnten wir unlängst aus der Gernheimer Hütte abholen und zurück nach Rheinsberg bringen. Dort wurde er durch SPSG-Restaurator Benjamin Glasberger zunächst wieder mit Behang ergänzt. Mit großer Freude setzte Ine Schuurmans ihn schließlich wieder an den verwaisten Platz. (Abb. 14) Endlich ist der fragile, wunderschön funkelnde und überaus kostbare Kronleuchter im Rittersaal wieder komplett.

Die mit dem Restaurierungsprojekt verbundenen Reisekosten konnten dank der eingeworbenen Spenden anlässlich eines von Dr. Sibylle Badstübner-Gröger für den Freundeskreis Schlösser und Gärten der Mark initiierten Benefizkonzerts am Pfingstmontag in Schloss Rheinsberg gedeckt werden. 

Dr. Verena Wasmuth ist Kustodin für Kronleuchter und Beleuchtungskörper, Glaskunst sowie Metallkunst bei der SPSG.

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