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Die „Fliegende Viktoria“ landet wieder vor dem Orangerieschloss

25. Oktober 2024 Von Silke Kiesant

Seit diesem Herbst steht die „Fliegende Viktoria“ wieder auf ihrem Podest an der obersten Treppe, die zum Orangerieschloss im Park Sanssouci führt. Die Bronzeplastik ist der Abguss einer antiken Marmorstatue, die der Berliner Bildhauer Christian Daniel Rauch (1777-1857) restauriert und mit Flügeln ergänzt hatte. Die „Fliegende Viktoria“, die eher zu landen scheint, musste 2021 aus statischen Gründen entfernt werden. In der östlichen Pflanzenhalle der Orangerie wartete sie fast zwei Jahre auf ihre dringend notwendig gewordene Restaurierung. Ein Spenderpaar der Freunde der preußischen Schlösser und Gärten e.V. erbarmte sich der im schlechten Zustand befindlichen Bronze und finanzierte die Restaurierung.

Nicht nur ein Einschussloch an der linken Seite des Halses und ein Granatsplittereinschlag am linken Oberarm aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges beeinträchtigten das Erscheinungsbild der Göttin. Schwarze Krusten auf der Patina waren ebenfalls oberflächliche Schönheitsfehler. Viel dramatischer waren die Schäden durch die eindringende Feuchtigkeit, auch die Verankerung war nicht mehr gewährleistet. 

Lose Flügel

Im Oktober 2023 transportierte die Bildgießerei Seiler GmbH aus Schöneiche bei Berlin die Viktoria in ihre Werkstatt und begann mit der Restaurierung. Die während des Krieges entstandenen Löcher konnten geschlossen werden, die schwarzen Krusten wurden entfernt, vorsichtig, möglichst ohne Beeinträchtigung der originalen Patina. Beide Flügel mussten neu befestigt werden, und zur besseren Stabilität der Figur auf dem Sockel wurde sie von innen mit einem Montagerahmen gefestigt. Somit steht sie nun sicher wieder auf ihrem angestammten Platz.

Die Antike „beflügelte“ Christian Daniel Rauch

Die Entstehung des Bronze-Abgusses hat eine lange Vorgeschichte. Von 1824 bis 1826 war der Berliner Bildhauer Christian Daniel Rauch (1777-1857) mit der Restaurierung zweier antiker Viktorien aus dem 1. Viertel des 1. Jahrhunderts n. Chr. beschäftigt. Die beiden fast identischen Marmorfiguren bildeten in der Antike vermutlich Gegenstücke in der Dekoration einer architektonischen Anlage. Friedrich der Große erwarb die von Bartolomeo Cavaceppi in Rom restaurierten Originale von dem italienischen Sammler und Händler Giovanni Ludovici Bianconi. Seit vor 1772 standen sie im Halbrondell vor dem Neuen Palais im Park Sanssouci an den jeweils äußeren Positionen und rahmten andere antiken Statuen. Während der Napoleonischen Zeit wurden sie nach Paris gebracht und dort mit ergänzten Flügeln ausgestellt. 1815 kehrten sie nach Berlin zurück, wo sie König Friedrich Wilhelm III. später für das Königliche Museum (heute: Altes Museum) bestimmte. Sie stehen dort noch immer (allerdings ohne Flügel) in der Rotunde zu beiden Seiten einer Tür. 

Während des Restaurierungsprozesses ergänzte Rauch an den antiken Originalen noch einmal die Flügel in Bronze. Am 12. Februar 1825 schrieb er dem Hofrat Böttiger in Dresden: „(…) Die beiden großen [Victorien] sind bis auf einen Arm in griechischem Marmor säuberlich restaurirt und werden eine schöne aber auch originelle Zierde unseres Museums sein, und welche Zierde geben ihnen erst die in Metall getriebenen Flügel! Die schönste werde ich formen lassen und womöglich sauber in Metall gießen lassen.“

Tatsächlich führte Christoph Heinrich Fischer (um 1800-1868) 1836 diesen Bronzenachguss aus. Seine Signatur und das Datum befinden sich auf der Plinthe. 1855 ist diese Figur in der Bildergalerie von Sanssouci nachweisbar. Später schmückte man die beiden Treppenabgänge der obersten Terrasse des Orangerieschlosses mit der „Fliegenden Viktoria“ und ihrem Pendant, der „Sitzenden Viktoria“, ebenfalls nach einem Modell von Rauch, die von Fischer jedoch erst 1846 gegossen und vor zwei Jahren restauriert wurde.

Genau genommen fliegt Viktoria nicht, sondern ist im Begriff zu landen: Die imposanten Flügel sind in der Vorderansicht zu einem spitzen V geweitet, was die Bewegung nach unten verstärkt. Viktoria trägt einen engen ionischen Chiton (Unterkleid) mit zwei vor der Brust gekreuzten Bändern, auf denen Rosetten angebracht sind. Im Kreuzungspunkt befindet sich eine kleinen Scheibe mit dem Kopf der Gorgo Medusa, einer Schreckgestalt der griechischen Mythologie mit Schlangenhaaren, die jeden, der sie anblickt, zu Stein erstarren lassen. Um die Hüften und über dem linken Arm trägt Viktoria ein Himation, ein rechteckiges Manteltuch. Fragen werfen die beiden Gewandknöpfe an den Schultern auf. Vielleicht gehen sie auf ältere griechische Vorbilder aus dem 4. Jh. v. Chr. zurück, als sie eine echte Funktion besaßen. In der linken Hand hält Viktoria den Lorbeerkranz, in der rechten die Reste eines verlorenen Attributs.

Mitunter wird auch der griechische Name Nike für die Darstellung der Siegesgöttin verwendet. Der Dichter Hesiod hatte sie etwa 700 v. Chr. in der Mythologie als Göttin eingeführt. Als Tochter des Titanen Pallas und der Styx kam sie Zeus im Kampf gegen die Titanen zu Hilfe, besaß aber keinen individuellen Charakter. Anfangs drückte ihre bildliche Umsetzung nur den abstrakten Begriff des Sieges aus. Seit dem frühen Hellenismus verkündete sie militärische Erfolge siegreicher Feldherren, aber auch sportliche Siege. Im Römischen Reich wurde aus Nike Viktoria und damit die Schutzgöttin des römischen Kaisers. Als Siegessymbol trägt sie in ihrer Rechten den Lorbeerkranz.

Alle Fotos: Nicole Romberg

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