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Willy Kurths Zivilcourage, bevor er nach Potsdam kam

15. März 2024 Von Klaus Büstrin

Werke der Moderne hat der Kunsthistoriker vor dem vernichtenden Zugriff der Nazis gerettet

An seinem Grab auf dem historischen Friedhof in Bornstedt gehen die meisten Besucher achtlos vorbei, bleiben nicht stehen, halten keine Zwiesprache mit dem, der seit Januar 1964, also seit sechzig Jahren, hier begraben ist. Im Vorbeigehen nimmt man vielleicht noch den Namen auf dem schlichten Gedenkstein wahr: Willy Kurth, Generaldirektor der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam Sanssouci. Dem Spaziergänger drängt es vor allem, den Grablegen der „Hofgärtner in Bataillonen“ (Theodor Fontane), die auf dem Friedhof ihre letzte Ruhestätte gefunden haben, einen Besuch abzustatten, so dem Königlichen Gartendirektor Peter Joseph Lenné, den Hofgärtnern Sello und Nietner. Auch dem Architekten und Schinkel-Schüler Ludwig Persius, der auf dem Familienfriedhof der Familie Sello bestattet wurde, ist die Aufmerksamkeit sicher. Doch in diesen Wochen sorgte Willy Kurth unerwartet für Gesprächsstoff. Ausgelöst wurde er durch die Ausstellung „Die gerettete Moderne – Meisterwerke von Kirchner bis Picasso“ im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin (2.2.-21.4.2024) sowie durch das dazu gehörende Begleitbuch mit dem Titel „Die Aktion ,Entartete Kunst‘ 1937 im Berliner Kupferstichkabinett“ von Anita Beloubek-Hammer.
 

Der am 21. November 1881 in Berlin Geborene und am 28. Dezember 1963 während eines Urlaubsaufenthalts im thüringischen Oberhof verstorbene Willy Kurth wünschte sich, dass auf seinem Gedenkstein die Worte „Auf mein Grab schreibt einmal nicht, was ich getan, sondern was ich verhindert habe“ stehen mögen. Doch über seine couragierte Kunst-Rettungsaktion in der nationalsozialistischen Zeit muss er wohl selbst kaum gesprochen haben. Er nahm die damaligen Geschehnisse mit ins Bornstedter Grab. Anita Beloubek-Hammer, langjährige Kuratorin der Moderne am Berliner Kupferstichkabinett, hat sie nun in der spannenden Publikation des Lukas Verlags erstmals umfassend aufgearbeitet.
 

Der Kunsthistoriker Willy Kurth, der in den zwanziger Jahren Kunst-Vorträge im Palast Barberini in Potsdam hielt, war ab 1924 Kustos für die Neue (=moderne) Abteilung im Kupferstichkabinett Berlin. Bis zum Frühjahr 1937 erwarb Kurth von den Nationalsozialisten verfemte Meisterwerke der Moderne. Sein besonderes Interesse galt Künstlern wie Ernst Ludwig Kirchner, Edvard Munch, Pablo Picasso, Wassily Kandinski, Max Beckmann oder Käthe Kollwitz. Doch der Bildersturm sollte im Sommer jenes Jahres seinen Höhepunkt erreichen, denn im Vorfeld der Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“ wurden 800 Bilder im Kupferstichkabinett konfisziert. Doch Kurth fand mit unerschrockener List Wege, um den größten Teil der grafischen Blätter vor dem Zugriff der Nazis zu retten. Die Mitglieder der Beschlagnahmungskommission haben nur die Anzahl der auszuhändigenden Werke notiert, jedoch keine Künstlernamen oder Werktitel. So konnte Kurth nach Abzug der Kommission zur späteren Abholung ausgewählte Werke durch andere ersetzen, sei es durch Blätter, die mehrfach vorhanden waren, oder sei es durch Drucke weniger bedeutender Künstler.
 

Willy Kurth wohnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in der Nähe des Schlosses Charlottenhof im Park Sanssouci, in der Fasanerie. Das von Ludwig Persius erbaute Gebäude wurde seit den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts für Verlags- und Wohnzwecke benutzt. Der renommierte Müller & Kiepenheuer Verlag residierte in dem klassizistischen Gebäude, auch der weltberühmte Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, Wilhelm Furtwängler. Für ihn wurde sogar ein Luftschutzraum im Keller eingerichtet. Vom nahe gelegenen Bahnhof Wildpark fuhr der Dirigent oftmals mit dem Zug zu den Proben und Konzerten nach Berlin. Nach 1945 nahm Willy Kurth in dem Gebäude eine Wohnung. Ab 1946 wurde er Direktor der ehemaligen Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Potsdam-Sanssouci, 1956 zum Generaldirektor.
 

Trotz des umfangreichen und arbeitsintensiven Aufgabengebiets, die Schlösser und Gärten nach dem Zweiten Weltkrieg wieder für die Potsdamer und Touristen aus aller Welt besuchsfähig und erlebnisreich zu machen, hat Kurth mehrere Bücher verfasst. Im Potsdamer Verlag Stichnote erschienen 1947 eine Darstellung Max Liebermanns in der Reihe „Kunst der Gegenwart“, 1950/52 eine Auswahl der Briefe Vincent van Goghs in zwei Bänden mit einer lesenswerten Einleitung, die er zusammen mit seiner Frau Katharina (Käthe) verfasste. 1962 erschien „Sanssouci. Ein Beitrag zur Kunst des deutschen Rokoko“ (Henschel-Verlag). Besonders das Sanssouci-Buch war in Potsdam sehr begehrt. Man bekam es eigentlich nur „unter dem Ladentisch“. Es galt jahrelang als das Standardwerk. Der Kunsthistoriker Peter Feist sagte 1963 über Willy Kurth in einer Gedenkrede: „Er blieb bescheiden vor der Natur und aller Wirklichkeit, und genoss die Gnade auch im Auge naiv zu bleiben. Wie ein Kind konnte er sich freuen an den Blumen von Sanssouci. Und konnte zutiefst den Schnitter erleben, der im Wiegetakt des Mähens über die Parkwiesen schritt“.
 

Der Beitrag erschien zuerst in der Beilage „In Potsdam“ der PNN (Potsdamer Neueste Nachrichten).

 

 

 

 

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