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Der Gärtnerbrief von Zacharias Gottschalck

15. Dezember 2023 Von Gert Schurig

Ein besonderes Zeitdokument bereichert seit kurzem die Sammlung des Hofgärtnerarchivs im Schloss Glienicke: Der US-Amerikaner David Whitehill übergab einen in seinem Familienbesitz befindlichen Lehrbrief aus dem Jahr 1710 an das Museum. Über mehrere Generationen war das Pergament – Zeugnis der Ausbildung des Charlottenburger Gärtners Zacharias Gottschalck – von der Familie aufbewahrt worden und offenbar mit im Gepäck als David Whitehills Großmutter von Deutschland aus 1923 in die USA emigrierte. Nun kehrt das wertvolle Dokument nach Berlin zurück, als ältestes Sammlungsstück von Lehrbriefen im Schloss Glienicke.

Mehrere hundert Jahre lang war die Ausbildung zum Hofgärtner oder Gartengestalter in Deutschland nicht einheitlich geregelt. Sie lief aber in der Regel vergleichbar wie bei anderen anspruchsvollen handwerklichen Berufen ab. Nach abgeschlossener Schulausbildung mussten die angehenden Gärtner zunächst normalerweise eine dreijährige Lehrzeit absolvieren.

Grundvoraussetzungen für die Gärtnerausbildung waren unter anderem Kenntnisse im Schreiben, Rechnen, Latein, Botanik, Architekturzeichnen, Geometrie, Messkunde, Entwerfen und Meteorologie. Wünschenswert wegen der Benennung der Pflanzen und zum Lesen der Fachliteratur waren auch noch Sprachkenntnisse in Französisch, eventuell auch Italienisch, Holländisch und später dann Englisch. Soweit diese Fähigkeiten nicht durch die Schulbildung vorhanden waren, wurden sie während der Lehrzeit erworben oder während einer daran anschließenden Zeit als wandernder Geselle.

Um als Hofgärtner an einem großen, bedeutenden Hof angestellt zu werden, musste man „recht gelernt“ haben, das heißt, bei einem Gärtner eines mindestens ebenso hochrangigen Hofes. Vergleichbar den Zünften bei anderen Handwerksberufen vermittelten die Hofgärtner oft ihre Söhne zu einer derartigen Lehre an Verwandte oder gute Bekannte, so dass sich im Laufe der Jahre regelrechte Gärtnerdynastien herausbildeten.

Viele junge Gärtner schlossen an die Lehrzeit noch eine Gesellenzeit des Reisens und Wanderns an, um andere Länder und Gärten kennen zu lernen und um möglichst bei den aktuell besten und namhaftesten Pflanzenzüchtern oder anderen Spezialisten ihre Kenntnisse durch Praktika zu erweitern und damit ihre Bewerbungschancen zu erhöhen.

Innerhalb dieses gärtnerischen Bildungsweges haben Lehrbriefe eine große Bedeutung. Sie bescheinigen dem jungen Gärtner zum einen den erfolgreichen Abschluss, machen Aussagen zur Art der erworbenen Kenntnisse, zu seinem Benehmen und dienen zum anderen natürlich als Empfehlung an nachfolgend ausbildende Hofgärtner. Sie waren sehr aufwendig auf Pergament gestaltet und mussten vom Lehrling bezahlt werden. Oft wurden sie auch als Pfand während der Aufenthaltes bei einem fremden Hofgärtner in einer besonderen Truhe aufbewahrt. In der Regel wurden sie vom Lehrherren persönlich ausgefertigt, in den rahmenden bildlichen Darstellungen auch mit Darstellungen zu dessen Spezialgebieten kombiniert und mit schmuckvollen Bändern und dessen Dienstsiegel versehen. In einigen Fällen können auch hauptamtliche Kalligrafen wesentliche Teile der Urkunde gefertigt haben. Dass die Lehrlinge selbst damit beauftragt wurden, ist bisher nicht bekannt. Für den Transport konnten die wichtigen Dokumente gerollt, mit den Bändern verschlossen und zusätzlich noch in wertvollen Hüllen aus Metall, Holz oder Elfenbein geschützt werden.

Gliederung der Briefe

Den zentralen Bereich eines Lehrbriefes nimmt das Textfeld ein, das wiederum dreigeteilt ist. Ganz oben steht dort groß hervorgehoben der Name des jeweiligen Landesherrn oder Fürsten, gefolgt von einer Auflistung aller seiner Titel und Funktionen. Dazu gehört oben oder unten mittig dessen Wappen. Als nächstes folgt der Name und die Funktion des ausbildenden Hofgärtners. Den Abschluss und Hauptteil des Textes bildet die Namensnennung des Lehrlings, die Zeitspanne seiner Ausbildung, einige Anmerkungen dessen Bemühen und Verhalten, seltener zu den Lehrinhalten, dann noch die Weiterempfehlung mit der Bitte um weitere Unterstützung, abgeschlossen von Ort und Datum und Unterschrift des Ausstellenden.
Gerahmt wird der Textblock durch eine aufwendige künstlerische Darstellung, die aus Arabesken, Pflanzendarstellungen, Gartengeräten oder auch der Abbildung fiktiver oder realistischer Gartenveduten bestehen kann. Aus diesen Zeichnungen kann man sicher die Spezialstrecken und Vorlieben des ausstellenden Hofgärtners ablesen.

Lehrbriefe in der SPSG

Aktuell verfügt die Stiftung in ihrem Planbestand über ein reichliches Dutzend interessanter Lehrbriefe aus der Zeit zwischen 1722 und 1828. Ein Teil davon kann in Form guter Reproduktionen im Hofgärtnermuseum in Glienicke besichtigt werden. Nach der von Lenné betriebenen Gründung der Königlichen Gärtnerlehranstalt 1824 gab es erstmals eine offizielle Ausbildungsstätte für Gartengestalter. Seit dieser Zeit fielen dann aber die Lehrbriefe schrittweise weg und wurden durch Abschlussurkunden ersetzt. Diese sind zwar immer noch kalligrafisch geschrieben und mit dem Siegel des Gartendirektors versehen. Aber auf das großformatigere Pergament und die aufwendigen Randillustrationen wurde in der Folge leider verzichtet.

Der konkrete Lehrbrief

Der jetzt an uns übergebene Lehrbrief wurde am 3. Februar 1710 vom Charlottenburger Hofgärtner Johann Lohmann für den Lehrling Zacharias Gottschalck ausgestellt. Diesem wird die erfolgreiche Absolvierung einer achtmonatigen Lehrzeit bescheinigt und bei Vorlage um Gewährung jeglicher Unterstützung auf dem weiteren beruflichen Weg gebeten. Oben mittig stehen die Initialen König Friedrichs I. in Preußen unter einer Krone und von zwei Adlern gehalten, die seitlich gerahmt werden von zwei kleinen, von Blumenranken umkränzten Kübelpflanzen-Veduten. Unten in der Mitte steht das ebenfalls bekrönte und von zwei sogenannten Wilden Männern präsentierte Landeswappen und der linke Rand wir durch stark vergrößerte und verzierte Initialen grafisch aufgewertet.

Der Lehrbrief hat leider im Lauf seiner langen Geschichte schon etwas gelitten und das ehemals dazu gehörende Siegel Lohmanns ist inzwischen zerbrochen und abgefallen. Zwei Risse an den ehemaligen Faltstellen sind durch Pergament-Duplizierung auf der Rückseite kaschiert worden. Das Trägermaterial ist recht wellig und die Schrift schon etwas ausgeblichen.

Johann Lohmann hatte erst zu Beginn des Jahres 1710 sein Hofgärtneramt in Charlottenburg angetreten, nachdem er vorher fünf Jahre im selben Garten als Planteur gearbeitet hatte, d.h. für die Pflanzung und Pflege von Bäumen verantwortlich war. Gottschalck muss also den größten Teil der ihm bescheinigten Lehrzeit noch unter dessen Vorgänger und LeNotre-Schüler Simeon Godeau gearbeitet haben.
 

Über den weiteren Lebensweg Zacharias Gottschalks war trotz umfangreicher Recherche keine restlose Klarheit zu gewinnen. Interessanterweise gibt es unter diesem Namen eine 330seitige „Flora Hortensis; oder Verzeichniß der Gartengewächse, so in den berühmtesten Garten zu Paris, London, Leyden, Amsterdam, Cöthen, Leipzig, Gottorf und anderen Oertern itziger Zeit sich befinden“, gedruckt in Köthen 1703 [!] [Drude/Wimmer in: Zandera 10(1995) Nr.1, S.3]. Es ist jedoch wenig wahrscheinlich, dass sich ein gestandener Gärtner von höherem Alter, der sieben Jahre vorher schon ein umfangreicheres Buch publiziert hatte, noch einmal acht Monate in der Fremde in die Lehre begibt.

Passender erscheint da der Hinweis von Bert Breitmann in seiner online-Geschichte der Gartenkunst Band IX/I „Anreger und Schöpfer formaler Gärten (Barock und Renaissance)“, dass im Jahr 1710 ein Blumengärtner Zacharias Gottschalk durch den Karlsruher Markgrafen Karl-Wilhelm von Gottorf nach Durlach geholt wurde. Da dieser Gärtner jünger war, könnte es sich dabei um den Inhaber „unseres Lehrbriefes“ gehandelt haben. Unter den Kindern des Köthener Gottschalck befindet sich kein gleichnamiger Sohn, so dass wir von einem Sproß gleichen Namens einer anderen Gottschalck-Familie ausgehen müssen, die mehr in Norddeutschland ansässig war. [Ganz herzlich gedankt sei an dieser Stelle dem mit der Familie Brinkama verwandten Herrn Manfred Merckens für die freundliche Überlassung seiner umfangreichen Rechercheergebnisse.]
Fest steht zumindest, dass über familiäre Verbindungen in Norddeutschland der bemerkenswerte Lehrbrief schon frühzeitig in die Hände der in Friesland und im Bremener Umfeld ansässigen und bedeutenden Bauern-und Windmüllerfamilie Brinkama gelangte und dort über mehrere Generationen aufbewahrt wurde. Herr David Whitehill, der uns den Lehrbrief freundlicherweise übergab, ist ein Enkel von Adele Brinkama, die 1923/24 mit ihrem Mann Johannes Müller in die USA emigrierte.
 

Der Lehrbrief reiht sich nun in eine Sammlung von fast zwei Dutzend derartiger Dokumente ein, die im Besitz der Stiftung sind und zum großen Teil auch schon in Form von Reproduktionen im Glienicker Hofgärtnermuseum besichtigt werden können. Seine Besonderheit ist, dass er mit seinem ausgesprochen frühen Ausstellungsdatum von 1710 nun der Senior in dieser Sammlung ist.


Weitere Informationen zum Hofgärtnermuseum Glienicke

 

 

 

 

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