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Goldnarben

08. September 2023 Von Birgit Morgenroth

Ukrainische Kunst im Exil in Schloss Schönhausen

von Birgit Morgenroth

Was nehme ich mit, wenn die Bomben fallen und ich mein Haus, meine Familie, meine Freunde, meine Heimat verlassen muss? Ist es ein Schachbrett? Anna Petrova, Kuratorin der Ausstellung „Goldnarben“ hat ein Schachbrett mitgenommen. Nun liegt es in einer Vitrine im Schloss Schönhausen, wie ein vergessenes Urlaubsutensil. Es ist Teil der Ausstellung und ein Zeichen des Schockzustands, in den die junge Frau geriet, als der Krieg in der Ukraine ausbrach.
Gleich daneben ist eine Vitrine mit einem zerborstenen Glasbild, die idyllische Darstellung eines schönen Sommertages im Grünen lässt sich erahnen. Sofiia Holubeva hat es mit einem Hammer zerschmettert. Am 2. April, dem Tag, als die ersten Videos veröffentlicht wurden, die zeigten, was nach dem Rückzug der russischen Besatzungstruppen in der Region Kiew passiert war, war sie in Wien. Im Wiener Burggarten spielten die Kinder, die Menschen lachten und picknickten auf der Wiese. Die Aufnahmen aus Kiew zeigten grausame Bilder von getöteten Zivilisten, von Massengräbern und Leichen. Wie kann es sein, dass Menschen in Wien lachen und leben, als ob nichts passiert sei, fragte sie sich und hat dieses Bild, das sich ihr ins Gedächtnis eingebrannt hat, gemalt und dann ihre Wut mit dem Hammer ausgedrückt. Wenn der Krieg vorbei ist, wird sie die Stücke wieder verbinden, mit einem roten Band, wie das Blut, das geflossen ist.
 

Die Ausstellung in Schönhausen ist eine künstlerische Verarbeitung des ukrainischen Kriegstraumas und gleichzeitig eine selbstbewusste Schau zeitgenössischer ukrainischer Kunst. 22 junge Kunstschaffende, die in Berlin Asyl gefunden haben, haben Ihre Ängste, Emotionen und Wünsche Gestalt werden lassen. Überraschend und bewegend führen ihre Gemälde und Installationen durch die Räume des Schlosses, das ebenso bewegende Zeiten hinter sich hat. Rechts neben dem Eingang zum großen Festsaal hängt das Bild „CAT“ von Daryna Smolkina, bunt und unerwartet in einem ehrwürdigen Schloss und vor dem ehemaligen Staatsgästeappartement der DDR-Regierung steht ein Feldbett.
 

Ein harter Kontrast zu der plüschigen 70er Jahre Einrichtung nach dem Geschmack von Erich Honecker und ein weiterer Gedankensprung für die Besucher:innen. Das Kunstwerk mit dem Titel „Ein Ort der Heilung für den permanent obdachlosen Körper“ ist für Polina Scherbyna eine Erinnerung. Eine Erinnerung an eine Kindheit, in der jede ukrainische Familie ein sowjetisches Metallbett mit Plane hatte und das von den Hausbesitzern benutzt wurde, wenn ein Gast zu spät kam und über Nacht blieb. Es ist für sie ein Symbol für einen vorübergehenden Unterschlupf, einen Ort der Erholung, der aber nun unter bestimmten Umständen dauerhaft werden kann. Das harte Bett ist auch ein Bild der Hoffnung, denn selbst in den schwierigsten Zeiten gibt es in der Ukraine den Glauben, dass jeder einen solchen Ort der Geborgenheit finden oder schaffen kann.
 

Und dann ist da noch das Kunstwerk „Die Ruinen“. Es ist eine Puppe mit einem Loch im Brustkorb. Für Kateryna Oshchepkova ist dieses Nichts im Inneren der Skulptur ein Sinnbild für die tragischen Auswirkungen des Krieges, selbst hier im Exil in Berlin. Das Gefühl der Zukunft war weg, das Gefühl der Sicherheit.  Warum dieses Loch quadratisch ist und am Rand seltsame Streben hat? Viele Ukrainer:innen kennen das Bild eines zerstörten Hauses in Borodyanka, einer kleinen Stadt in der Region Kyiw, dass in den ersten Tagen des Krieges in den sozialen Medien auftauchte. Eine Bombe traf es genau in der Mitte und es ist dieses Loch, das sich in der Puppe wiederfindet. Ein schreckliches Sinnbild.
 

Die zweite Figur mit einem Kranz aus blauen Rosen und einer Sonnenblume auf der Brust verkörpert dagegen die kulturelle Renaissance der Ukraine, die sich trotz oder sogar wegen dem Krieg entwickelt. Der Krieg hat die ukrainische Gemeinschaft zusammengeschweißt und es gibt Solidarität auf der ganzen Welt. Die Aufmerksamkeit der künstlerischen und politischen Institutionen der Welt richten sich auf das ukrainische Erbe. Die Phrase „Dank des Krieges ist diese kulturelle Blüte möglich geworden“ ist unausgesprochen vorhanden. Doch der Preis dafür ist hoch – zu hoch. Der Preis ist das Nichts.
 

 

Die Ausstellung ist noch bis zum 31. Oktober im Schloss Schönhausen zu sehen.

 

Goldnarben
Künstler:innen der Ukrainian Cultural Community zu Gast im Schloss Schönhausen
Schloss Schönhausen
12 Mai bis 31. Oktober 2023
Di–So 10–17:30 Uhr
8 €, ermäßigt 6 €
barierefrei
www.spsg.de/goldnarben

 

 

 

 

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