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Das „Warum“ ist schwer zu erklären

25. August 2023 Von Carlo Paulus

Kathrin Lange, Chefrestauratorin der SPSG, über den zunehmenden Vandalismus in den Parkanlagen und seine Folgen
 

Liebe Frau Lange, wir sitzen hier genau am Ort des Geschehens, dem Marlygarten im Park Sanssouci, wo im April die Skulptur „Flora“ von ihrem Sockel gestoßen wurde. Aber auch an anderen Orten wurde die SPSG in den letzten Monaten von furchtbaren Vandalismusvorfällen heimgesucht. Können Sie noch einmal die schwersten Fälle umreißen?

Ja, es stimmt tatsächlich, dass wir gerade in diesem Jahr von sehr schmerzhaften Schäden betroffen sind. Das fing mit der Neptungrotte an: Dort sind im Februar unbekannte Personen auf die Bekrönung geklettert, haben dem Neptun seinen Dreizack entwendet und dabei auch seine Hand zerstört. Dann wurde im März am Schloss Charlottenhof die Bronzeplastik „Apoll“ vom Sockel gestoßen, dementsprechend also auch stark demoliert. Ein weiterer Vorfall war Ende März an der Bildergalerie von Sanssouci, auch wieder oben auf dem Dach. Dort haben Unbekannte den Sandsteinfiguren die Finger abgebrochen und Kleinteile entwendet. Und die „Flora“ im Marlygarten, wo wir gerade sitzen – eine Marmorfigur, die von ihrem Sockel gestoßen worden ist. Dabei ist es gar nicht mal so leicht, eine Marmorfigur dieser Größe einfach runterzukippen. Man sieht sogar noch den Vierkantübel. Hier muss also mit Absicht und auch mit wirklich brachialer Gewalt vorgegangen sein.
 

Können Sie sich erklären, woher diese Gewalt kommt, dass man sich auch an so großen Objekten vergeht? Warum machen Menschen so etwas?

Das „Warum“ ist schwer zu erklären, wahrscheinlich kann man das auch gar nicht richtig. Übermut? Demonstration von Stärke? Es gibt immer Wellen, das ist schon historisch so gewesen; politische Aktionen, gesellschaftliche Stimmungen. Dann finden Aggressionen, die gerade in der Bevölkerung oder in der Gesellschaft zu finden sind, auch hier ihren Ausdruck.

Wir beobachten aber schon, dass der Vandalismus in den letzten Jahren zunimmt. Ich denke, dass da sehr vieles zusammenkommt. Man spürt geradezu, dass in der Gesellschaft Unzufriedenheit, Ängste und damit eine gewisse aggressive Stimmung herrscht. Hier müssen wir aus meiner Sicht wieder dahin kommen, das Miteinander mehr wertzuschätzen und in unserem konkreten Fall auch das Genießen und Bewahren solch einzigartiger Parkanlagen. Denn die fehlende Wertschätzung gegenüber unseren Anlagen spielt natürlich auch bei all diesen Vandalismusfällen mit rein. Eine Parkanlage wie Sanssouci, der Neue Garten oder Babelsberg ist keine Sport- und Spielstätte, sondern ist als ein Gesamtkunstwerk zu betrachten und dementsprechend zu behandeln. Die Wertschätzung, das Bewusstsein gegenüber den Kunstwerken, die wir hier haben, muss man immer wieder aufs Neue hervorbringen und betonen.
 

Was kosten die Zerstörungen die Stiftung jährlich?

Das ist nicht einfach zu definieren, weil sich der Schaden ja aus verschiedenen Faktoren zusammensetzt: Zunächst aus dem, was wir, auch finanziell, aufbringen müssen, um das Beschädigte zu restaurieren, zu reparieren oder zu reinigen. Dann ist es der Einsatz der Mitarbeiter:Innen, die sich nicht nur mit der Schadensaufnahme und -wiedergutmachung beschäftigen müssen, sondern bei derartigen Tätigkeiten im Grunde genommen von ihren eigentlichen Aufgaben abgehalten werden. Und wir haben es hier mit Kunstwerken zu tun. Deren Wert lässt sich nicht so eindeutig definieren. Sie haben Jahrhunderte überdauert und sind von berühmten Bildhauern, Künstlern und Architekten geschaffen worden, erfahren dann zwar Veränderungen, behalten aber ihren Wert im Gesamtkunstwerk. Mit der Beschädigung und Zerstörung verringert sich allerdings auch dieser Wert. In der Summe beziffert sich der Schaden im Jahr auf eine mittlere sechsstellige Summe.
 

Sie sind die Chefrestauratorin der SPSG. Inwieweit ist Ihre Abteilung bei Schadensfällen involviert?

In dem Moment, wenn ein Kunstwerk, ein Schloss oder dessen Ausstattung Schaden genommen hat, werden wir unmittelbar informiert. Wir bekommen die Anzeige zeitnah von unseren Sicherheitsmitarbeiter:innen. Dann begeben sich die Kolleg:innen der entsprechenden Fachbereiche zur Begutachtung vor Ort – bei der „Flora“ die Kolleg:innen aus der Skulpturenrestaurierung – um sich den Schaden anzusehen. Im besten Fall ist der Bereich dann schon abgesperrt und die Polizei mit der Spurensicherung fertig, so dass der Abtransport vorbereitet wird – so eine Skulptur ist eben nicht so einfach unter den Arm zu nehmen! Transportgestell, Polstermaterial und Hebezeuge kommen zum Einsatz. Die Kolleg:innen kommen in der Regel bereits mit entsprechendem Equipment, damit das Objekt schnellstmöglich in die sichere Werkstatt – in diesem Fall den Skulpturenbereich – gebracht werden kann.
Die Frustration der Mitarbeiter:innen ist in solchen Momenten natürlich groß. Zu sehen, dass die eigene Arbeit zerstört wurde, kann äußerst entmutigend sein.

Die Abteilung Restaurierung ist ja keine Einsatztruppe, die nur dafür da ist, Schadensfälle aufzunehmen und zu beheben, sondern hat eigentlich Aufgaben, die in solchen Fällen hintenangestellt werden müssen.

Alle Mitarbeiter:innen aus der Abteilung Restaurierung haben ihre alltäglichen, weitestgehend geplanten Aufgaben. Sie arbeiten zum Beispiel an der Restaurierung von einzelnen Objekten oder sind in den Schlössern unterwegs, weil dort konservatorische Maßnahmen nötig sind. Sie sind in Besprechungen, um Ausstellungen und andere Projekte, wie beispielsweise große Baumaßnahmen mit entsprechend erforderlichen Maßnahmen, vorzubereiten. Es gibt also eine Vielzahl von Aufgaben, um den Erhalt der Substanz sicherzustellen. Durch Schadensfälle wird man sofort aus dem Arbeitsalltag herausgeworfen. Gewisse Dinge können dann zunächst nicht fertiggestellt werden, andere Maßnahmen verzögern sich. Dies betrifft auch die Handwerker:innen der Stiftung, die beispielsweise bei Schäden an Toren, Fassaden, Türen oder Fenstern gerufen werden. Sie werden in solchen Fällen genauso von ihren eigentlichen Aufgaben, die sie viel lieber erfüllen, abgehalten.
 

Oft wird gefordert, dass die SPSG die Kunstwerke, vor allem im Außenbereich, besser schützen müsste. Geht das?

Generell kann man sagen, dass, wenn der vorsätzliche Wille zur Zerstörung da ist, dies auch mit aller Gewalt in die Tat umgesetzt wird. Dies könnte man nur verhindern, indem man einen Wachmann oder Polizisten neben das Kunstwerk stellt oder das Objekt unter Strom setzt. Eine Kamera springt nicht von der Wand, um die Täter:innen aufzuhalten. Sie kann zwar dokumentieren, was die Ermittlungen anschließend vereinfacht, aber kann eben keine mutwilligen Zerstörungen verhindern.
Im Fall der „Flora“ werden wir uns bei der Wiederaufstellung überlegen, was wir tun können, um die Skulptur besser zu sichern. Allerdings ist die Plinthe, also der kleine Sockel, auf dem die Skulptur steht, nicht sehr hoch. Das heißt, wir können einen Dübel nicht 30 Zentimeter in die Skulptur einführen, weil die Substanz dafür fehlt. Insofern müssen wir immer schauen, was überhaupt möglich ist. Viele Skulpturen haben einen Kippschutz, auch gegen Vandalismus. Aber in erster Linie ist es ein Sichern gegen starke Windböen oder das ungewollte Umstoßen, zum Beispiel, wenn jemand rückwärts beim Fotografieren versehentlich dagegen stößt. Im Falle der Skulpturen, die auf Dächern stehen – wie bei der Neptungrotte und der Bildergalerie – begeben sich die Täter:innen zudem auch selbst und bewusst in absolut lebensgefährliche Situationen. Die bestehenden Barrieren werden überwunden, dort kann man nur sehr eingeschränkt zusätzlich sichern.

Sie sind von Haus aus Restauratorin und Steinbildhauerin. Erläutern Sie doch bitte kurz, was es konkret für Skulpturen aus Stein bedeutet, wenn diese angemalt, beschmiert, besprüht oder Teile von ihr abgebrochen werden?

Marmor und auch Sandstein haben einen Porenraum und sind damit offen für alles, was auf die Oberfläche gebracht wird. Graffiti zieht beispielsweise tief in das Gestein ein und es bedarf eines erheblichen Aufwandes, um solche Substanzen wieder zu entfernen. Teilweise lassen sie sich trotz intensiver Bemühungen nicht mehr herauslösen.
Ansonsten gilt: Marmor und generell Gesteine brechen spontan, das kündigt sich nicht an, wie bei anderen Materialien. Und Steinobjekte lassen sich auch nicht zurückformen, wie beispielsweise Metall. Ein Riss oder ein Bruch ist ein Dauerschaden, der eine erhöhte Angriffsfläche für Wasser, Regen oder Schnee bietet. Folgeschäden muss man demnach immer mitbedenken. Wenn die Brüche sehr kleinteilig sind, wie zum Beispiel bei den Fingern des Neptuns, sind auch die Flächen und Bruchstücke so klein, dass man sie nicht wieder zusammensetzen kann – dann ist es ein Verlust, den wir wieder ergänzen müssen. Das heißt: Modelle werden angefertigt, von Steinbildhauer:innen in Marmor oder Sandstein umgesetzt und wieder an die entsprechende Stelle angesetzt. Solche Maßnahmen sind sehr zeitaufwändig.

Ist aus Ihrer Sicht auch ein anderes Bewusstsein der Besucher:innen notwendig? Es handelt sich bei unseren Parkanlagen eben nicht um simple Volksparks, es sind Freilichtmuseen, es ist echte Kunst, die hier steht. Ist diese Tatsache vielleicht zu wenig verankert?

So wie ich in ein Museum gehe, um mir Gemälde, Skulpturen und dergleichen anzusehen, ist auch dieser Park voller Kunstwerke, es ist ein Zusammenspiel aus gestalteter Natur, Architektur und Kunst. Man wird bei einem Besuch inspiriert und nimmt etwas mit, neben dem reinen Erholungseffekt. Dass dies wertgeschätzt wird und auch an die nächste Generation weitergegeben wird, ist eine enorme Aufgabe. Ich kann mir vorstellen, dass es eine zusätzliche Herausforderung ist, dies in einer zunehmend multikulturellen Gesellschaft zu vermitteln. In vielen Ländern gibt es derartige, frei zugängliche Parkanlagen nicht, wo dann auch noch Kunstwerke draußen stehen. Das ist schon etwas sehr Einzigartiges, was wir hier haben. Ein Besuch unserer Parks ist etwas anderes, als der Besuch eines gewöhnlichen Erholungsparks mit Spiel- und Sportbereichen– ganz richtig, es ist eben ein Freilichtmuseum; beim Eintritt betrete ich ein Kunstwerk.

Es kommt ja häufig vor, dass Gäste die Skulpturen anfassen oder sogar beispielsweise ihre Jacken daran aufhängen, mit der Meinung, da passiert ja nichts. Ist das wirklich so harmlos?

Es ist einfach traurig zu sehen, dass diese Kunstwerke zuweilen einem Spielgerät gleichgesetzt werden. Es waren berühmte Bildhauer ihrer Zeit, die diese Skulpturen geschaffen haben, ganz abgesehen von dem Aufwand und dem Wert, der in solchen Objekten steckt. Vielen Menschen fehlt die Vorstellung, dass Stein auch bei leichtem Druck schon brechen kann; dass sich dies, wie bereits erwähnt, eben auch nicht ankündigt. Gerade kleine Details, die mühsam aus dem Stein gehauen worden sind, brechen sehr schnell. Im besten Fall wird das abgebrochene Stücke noch gefunden oder abgegeben, aber der Schaden ist dennoch da. Kunstwerke in Parkanlagen, egal ob aus Bronze oder Stein, egal ob moderne Kunst, zeitgenössische oder antike Kunst – in ihnen steckt immer ganz viel Wert: ideeller Wert, künstlerischer Wert, Ensemblewert, Geschichtswert. Und dementsprechend sollten diese Kunstwerke auch behandelt werden. Es ist ja Konsens, dass Kunstwerke, die im Inneren eines Museums stehen oder hängen, auch nicht berührt oder als Kleiderablage missbraucht werden. Und so würde ich mir das auch für Kunstwerke im Außenraum wünschen.
 

Wie können Besucher:innen die SPSG dabei unterstützen, um derartige Fälle zukünftig zu vermeiden oder – wenn sie denn eingetreten sind – zu reagieren?

Im Grunde genommen ist es eine Frage der Zivilcourage, inwieweit ich mich selber verantwortlich und in der Lage fühle, Menschen anzusprechen, so etwas nicht zu tun. Aber natürlich soll sich auch keiner in Gefahr bringen.
Wenn man merkt, dass wirklich eine Straftat passiert, kann man sofort die 110 anrufen. Nach den Vorfällen in diesem Jahr hat sich unser Sicherheitsreferat mit der Polizei und den örtlichen Sicherheitskräften über eine Verbesserung der gegenseitigen Information und der Abläufe verständigt.  
Also: Aufmerksam durch die Parkanlagen gehen und die Leute freundlich ansprechen, wenn man über etwas Seltsames stößt. Vielleicht helfen einige der eben besprochenen Argumente. Und wenn es die Situation nicht zulässt, dann sollte man die Polizei anrufen oder Anzeige erstatten. Berichte von Augenzeugen und Fotos mit dem Handy geben wichtige Hinweise für die Ermittlungen durch die Polizei.  

Liebe Frau Lange, ich danke Ihnen für das Gespräch.
 

Das Interview führte Carlo Paulus, Mitarbeiter der Öffentlichkeitsarbeit der SPSG.

 

 

 

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