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Die Stiftung ist auf dem Weg, einen neuen Blick auf das koloniale Erbe zuzulassen

11. August 2023 Von SPSG

Patricia Vester ist Künstlerin, Illustratorin, Autorin, Diversity Trainerin und Aktivistin für BIPoC (Black, Indigenous People of Colour). Sie entwickelt künstlerisch-kreative Lehrmethoden und bietet Prozessbegleitung für Museen und Institutionen an. Für die Ausstellung „Schlösser. Preußen. Kolonial. Biografien und Sammlungen im Fokus“ hat sie eine künstlerische Intervention im Stile einer Graphic Novel gestaltet, deren Illustrationen raumgreifend zu sehen sind. Sie beschäftigt sich mit dem Leben der Bilillee Ajiamé Machbuba, einer jungen afrikanischen Frau, die im 19. Jahrhundert als 10jährige auf dem Sklavenmarkt gekauft, nach Europa gebracht und als Mätresse missbraucht wurde. Patricia Vester hinterfragt kritisch die museale Praxis aus der Perspektive einer Schwarzen Deutschen und fragt nach: Wem gehören Lebensgeschichten und wer darf sie wie erzählen? Im Rahmen der Ausstellung im Schloss Charlottenburg lädt sie zu rassismuskritischen Rundgängen und Workshops ein.
 

Frau Vester, Sie sind vielseitige Künstlerin und Aktivistin. Was hat Sie veranlasst, sich für rassismuskritische Bildung einzusetzen?

Ich bin Schwarze Deutsche und möchte mich nicht länger in Museen getriggert fühlen. Ich wünsche mir für alle Kinder und Jugendlichen eine Auseinandersetzung mit Rassismus in musealen Kontexten. Angefangen bei Beschriftungen und Darstellungen, über die Ansprache des Personals bis hin zum Inhalt des Museumsshops. Ich beschäftige mich mit kolonialem Erbe und allen damit zusammenhängenden aktuellen Notwendigkeiten, Unwägbarkeiten und Decolonize-Ansätzen. Hierzu gibt es in den Museen, insbesondere in der Bildungsarbeit viele offene Fragen, die kreative Lösungen brauchen.
 

Wie sind Sie zur SPSG, zur Mitarbeit an der Ausstellung gekommen?

Ausgangspunkt war mein Beitrag zu der Publikation „Das Museum dekolonisieren“, erschienen im transcript Verlag, woraufhin die Stiftung auf mich zukam. Mit Bettina Harz und Susanne Evers, Mitarbeiterinnen der Stiftung, konnte ich Ideen zur Sonderausstellung ausloten und meine Wünsche in Hinblick auf einen rassismuskritischen Wandel einbringen.

Und welche Erfahrung haben Sie in dieser Zusammenarbeit gemacht?

Ich bin sehr dankbar für die Offenheit, das Vertrauen und die Achtsamkeit beider Mitarbeiterinnen, im Umgang mit den von mir eingebrachten Geschichten, Nachlässen und Konzepten. Es hat sich gezeigt, dass die Stiftung in allen Ebenen auf dem Weg ist, einen neuen Blick auf ihre Sammlungen zuzulassen und diesen auch zu teilen. An dieser Stelle ist nun eine Verstetigung der gemeinsamen Arbeit das Wichtigste. Für kommende Generationen national und international muss mit rassismuskritischen Ansätzen umgegangen werden und mehr Museen müssen sich im Verlernen kolonialer Sprache und Vorgehensweisen in postkolonialen Ausstellungsentwicklungen üben.

Es ist dringend notwendig, sich auf diesem Weg von nicht mehr zeitgemäßen Ausstellungsansätzen und -konzepten bis hin zu Beschriftungen in unseren Schlössern und Gärten zu verabschieden beziehungsweise offen aufzuklären zum Beispiel über Raubgut oder Pflanzen und Objekte aus Unrechtkontexten. Die große Frage, wem letztlich das gesamte Konzept des mittelverschlingenden Entstaubens und immer wieder neu Vergoldens, des Sammelns und des Bewahrens dient – der Geschichtsvermittlung oder schlicht dem Machterhalt? Diese Frage bleibt!

Sie haben zur Ausstellung rassismuskritische Rundgänge und Workshops erarbeitet: Wen und was wollen Sie erreichen?

Mein Fokus liegt auf den bisher unerzählten Geschichten von Macht, Missbrauch und kultureller Aneignung im Museumskontext. Und hier können wir entgegen vorherrschender Meinung schon in der Unterstufe anfangen die Geschichten derer zu teilen, die ebenso als Kinder auf den Gemälden festgehalten sind und die nie wieder leise sein wollen. Es gibt keine Altersbeschränkung für diese Themen, es gibt nur Beschränkungen in der Herangehensweise der Vermittlung.
 

Was dürfen die Teilnehmer:innen erwarten?

Hier mappen Jugendliche sich skizzierend selbst, um herauszufinden, was das alles mit ihrem heutigen Leben zu tun hat, was in Schlössern rassistisch war und ist und warum die bloße Existenz dieser Schlösser ihre Zukunft bestimmt. Hier erzählen Kinder in Gemälden Kindern, die die Gemälde betrachten, aus ihrer Lebenswelt. Hier werden Rahmen verschoben und Szenen und Geschichten außerhalb der Gemälderahmen beleuchtet.

Hier verbinden wir Details aus Gemälden mit dem aktuellem Track von Celina Bostic „Nie wieder leise“, hinterfragen, wobei wir nie wieder leise sein wollen und steigen an Humboldt vorbei selbst auf den Berg, um zu sehen, wer schon vor ihm da war. Und nicht zuletzt versuchen wir, diese bisher unbeleuchteten Details auch inklusiv erlebbar zu machen.

 

Der Beitrag ist zuerst erschienen in der SANS,SOUCI. 03.2023

 

Nie wieder leise!
Rassismuskritischer Rundgang und Workshop mit Künstlerin und Vermittlerin Patricia Vester
Samstag, 09.09., 10.09., 16.09., 23.09. und 14.10.2023, jeweils 10:30 und 15 Uhr
8 Euro / ermäßigt 6 Euro
Tickets: https://spsg.reservix.de
Weitere Informationen

 

Schlösser. Preußen. Kolonial.
Biografien und Sammlungen im Fokus
Sonderausstellung
4. Juli – 31. Oktober 2023
Schloss Charlottenburg – Neuer Flügel, Spandauer Damm 10-22, 14059 Berlin
www.spsg.de/kolonial

 

 

 

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