Bislang war die Identität der Dargestellten auf einer Zeichnung im Berliner Kupferstichkabinett nicht bekannt. Durch Vergleiche mit gesicherten Porträts kann sie nun jedoch als die italienische Primaballerina Barbara Campanini, genannt „Barbarina“, identifiziert werden. Der preußische Hofkupferstecher Georg Friedrich Schmidt hat die berühmte Künstlerin kurz nach ihrer Ankunft in Berlin um das Jahr 1745 gezeichnet. Auch der Hofmaler Antoine Pesne verewigte die junge Frau auf mehreren Porträts, eines davon hing sogar im Schreibzimmer Friedrichs II. („des Großen“) im Berliner Schloss – eine besondere Ehre für eine Künstlerin und Nichtadelige! Ein Porträt über eine außergewöhnliche Frau und ihre Bildnisse.
Die Dargestellte in Schmidts Zeichnung ist nach links gewandt; das scharfe Dreiviertelprofil lässt ihre rehartigen Gesichtszüge besonders zur Geltung kommen. Ihr schwarzes Haar ist am Ansatz weiß gepudert und zu einer kompakten Frisur geformt, die an der Seite in eine Locke mündet. Der Haarschmuck besteht aus blauen und roten Blüten; rechts außen sind kleinere fliederartige weiße Blüten erkennbar. Die Dargestellte trägt einen Mantel, der am Kragen mit einem hellen Pelz verbrämt ist. Im Hintergrund ist ein stattlicher Innenraum mit kannelierten Säulenpilastern erkennbar. Aufgrund des engen Bildausschnitts sowie der Seitenansicht wirkt die Zeichnung lebensnah und intim. Der zielgerichtete Blick der Dargestellten lässt es so erscheinen, als hätte Schmidt sie inmitten eines Gesprächs mit einer dritten Person eingefangen.
Obwohl Georg Friedrich Schmidt (1712–1775) vornehmlich für seine Stiche bekannt ist, war er auch ein begnadeter Zeichner (sowie Maler). Im Jahre 1737 schloss er seinen Wehrdienst ab und reiste von Berlin nach Paris, um dort seine Ausbildung zum Kupferstecher fortzusetzen. Dank einem Empfehlungsschreiben des preußischen Hofmalers Antoine Pesne wurde er von dem erfolgreichen Graphiker und Verleger Nicolas de Larmessin aufgenommen. 1742 gelang ihm mit einem Stich nach Hyacinthe Rigauds Porträt des Grafen d’Evreux der Durchbruch; 1744 wurde der protestantische Schmidt sogar mit einer Sondergenehmigung Ludwigs XV. in die renommierte Pariser Kunstakademie aufgenommen. Nun wurde Friedrich II. auf ihn aufmerksam und berief ihn noch im selben Jahre zurück nach Berlin. In der Folgezeit stach der Künstler unter anderem die Illustrationen für die vom König verfassten Œuvres du philosophe de Sans-Souci. Auf eine Einladung der Zarin Elisabeth hin verbrachte er die Jahre 1757–1762 in St. Petersburg, wo er bei dem Aufbau der Kunstakademie mithalf. Zurück in Berlin widmete er sich zunehmend der Herstellung von Radierungen in der beliebten Manier Rembrandts.
Die Tänzerin Barbara Campanini erblickte 1719 im italienischen Parma das Licht der Welt und wurde 1739 durch Vermittlung ihres Tanzmeisters Rinaldi Fossano über Nacht zu einem Star in Paris. Nach großen Erfolgen in London, Dublin und Venedig gelang es Friedrich II., sie mit einer wahrhaft fürstlichen Gage von 7.000 Talern für die kommende Opernsaison zu engagieren. Aufgrund einer Beziehung mit dem britischen Adeligen James Stuart Mackenzie suchte die Barbarina dieser Verpflichtung zu entkommen, wurde jedoch schließlich von einer militärischen Eskorte des Königs aus Venedig nach Berlin überführt. Hier bezog sie eine großzügige Unterkunft am westlichen Ende der Behrenstraße, nahe dem heutigen Pariser Platz. Am 13. Mai 1744 feierte sie ihr Debüt an der Königlichen Oper. Neben ihrer Schönheit bestaunte man vor allem ihre meistervolle Beherrschung des Entrechats, d. h. ihre Fähigkeit beim Sprung die Beine vielfach übereinander zu kreuzen. Besonders eindrücklich ist der Zauber der Barbarina im Reisebericht des Schaffhausener Kavaliers Johann Konrad Peyer erfahrbar, der im Frühjahr 1746 einige Monate in der preußischen Residenzstadt weilte und die Tänzerin mehrfach „live“ erlebte.
1749 fiel die Barbarina bei dem König in Ungnade, als sie gegen seinen Willen Carl Ludwig von Cocceji, den Sohn des Großkanzlers Samuel von Cocceji, heiratete. Um die Situation zu entschärfen, erwirkte der Großkanzler eine Versetzung der Frischvermählten in das schlesische Glogau (Głogów, Polen), wo Carl Ludwig rasch in der preußischen Verwaltung aufstieg. Die Karriere der Barbarina war jedoch beendet; auch dürfte sie nur noch selten nach Berlin zurückgekehrt sein. 1788 ließ sich das Paar scheiden. Die Barbarina gründete in Barschau, einem Gut zwischen Glogau und Liegnitz (Legnica, Polen), ein Stift zum Unterhalt verarmter Adelstöchter, welches bis zum Ersten Weltkrieg existierte. 1789 wurde das soziale Verdienst der ehemaligen Tänzerin vom Nachfolger Friedrichs II., König Friedrich Wilhelm II., anerkannt und sie erhielt den Titel einer Gräfin. 1799 verstarb sie in Barschau, das seitdem dem Kupferbau zum Opfer gefallen und geflutet worden ist.
Das Aussehen der Barbarina ist durch mehrere Porträts verbürgt. Das älteste bekannte Bildnis stammt von der berühmten venezianischen Pastellmalerin Rosalba Carriera (1673–1757), welche die Tänzerin wohl kurz vor ihrem internationalen Durchbruch in Italien porträtierte. Die tänzerische Pose mit den angewinkelten Armen, in den grazilen Händen ein fließendes Tuch, verweist auf das Metier der Dargestellten.
In Berlin fertigte der Hofmaler Antoine Pesne (1683–1757) mehrere Porträts an. Das bekannteste zeigt die tanzende Barbarina vor einer kulissenartigen Gartenarchitektur. Das Tamburin und die einem Leopardenfell ähnelnde Draperie über ihrem Rock legen nahe, dass hier die Rolle als Bacchantin (ein weibliches Mitglied aus dem Gefolge des Weingottes Bacchus) in Johann Gabriel Seyffarths Oper „Alessandro e Poro“ (Sommer 1744) verewigt wurde. Bemerkenswerterweise erhielt das Bildnis einen Ehrenplatz im Schreibzimmer Friedrichs II. im Berliner Schloss. Bislang waren lebensgroße ganzfigurige Bildnisse hochrangigen Persönlichkeiten vorbehalten. Die Darstellung einer Künstlerin in diesem Format, dazu noch in den Privaträumen des Königs, war ein Novum in Preußen und spiegelt die Hochachtung Friedrichs II. wider. Heute ist das Gemälde im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg zu besichtigen.
Um dieselbe Zeit malte Antoine Pesne für das Ovale Speisezimmer des Königs im Potsdamer Stadtschloss ein lebensgroßes Brustbild der Tänzerin. Erneut ist sie in einem mit Spitze und Tressen geschmückten Bühnenkostüm dargestellt und schlägt mit den Händen ein Tamburin.
Das Porträt hing über einem Kanapee und wurde von zwei fêtes galantes von Nicolas Lancret flankiert.
Heute werden die drei Gemälde in der Gelben Atlaskammer im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg präsentiert. Ein 1745 datiertes Wandbild von Pesne, das ebenfalls im Ovalen Speisezimmer hing, stellte wohl auch die Barbarina, mit einem Partner tanzend, dar. Dieses Werk, welches über dem Kamin hing, gilt als Kriegsverlust.
Ein weiteres Porträt von Antoine Pesne, das 2015 auf dem Kunstmarkt angeboten wurde, zeigt die Tänzerin im Gärtnerinnenkostüm neben einem Dudelsackspieler. Womöglich handelt es sich bei dem etwas steif wirkenden Bildnis um das Werk (oder eine Kopie), welches der Reisende Peyer im Schloss Monbijou, der Residenz der Königinmutter Sophie Dorothea, sah: „Die Barberini im ganzen Stand, wie sie tanzt, als eine Gärtnerin, wobei sie ihren Schurz mit beiden Händen anfaßt. Sie ist vom Königl. Hofmaler Pesne gemalt und besser getroffen als die Kopie, die ich bei M[onsieu]r. Pesne gesehen habe.“
Der Vergleich mit den Pesne’schen Porträts, insbesondere dem ganzfigurigen Porträt als Bacchantin, belegt glaubhaft, dass es sich in Schmidts Zeichnung ebenfalls um die Barbarina handelt. Die Dargestellten weisen dieselben großen Augen, dasselbe Mündchen, dasselbe leichte Doppelkinn sowie dieselbe Frisur auf. Auch die Accessoires stimmen nahezu exakt überein: Die identische Anordnung der blauen nelkenartigen Blüten um eine zentrale rote Blüte deutet darauf hin, dass in beiden Bildnissen derselbe Haarschmuck abgebildet ist, wohl eine Art Haarreif. Auch der doldenartige Haarschmuck aus kleinen weißen Blüten erscheint an derselben Stelle. Tatsächlich ist die Verwendung künstlicher (also haltbarer) Blüten aus Seide, sogenannter „italienischer Blumen“, für die Kostüme der Barbarina durch eine Rechnung gesichert. Offenbar fand die Begegnung mit Schmidt während oder kurz nach einer Aufführung statt, als sich die Tänzerin ihres Kostüms erst teilweise entledigt, dafür aber einen wärmenden Mantel übergeworfen hatte.
Der Bühnenschmuck, welcher das Haar von Schmidts Barbarina ziert, legt eine Entstehung in den Jahren 1744–1748 nahe, als sie ihre Berliner Erfolge feierte. Aufgrund der besonderen Übereinstimmung mit dem Pesne’schen Porträt für das Schreibzimmer des Königs lässt sich der Entstehungszeitraum sogar noch genauer auf das Jahr 1745 eingrenzen. Als Schmidt im Herbst 1744 nach Berlin zurückkehrte, stand die Stadt regelrecht im Bann der Tänzerin. Es ist also nicht verwunderlich, dass auch der neue Hofkupferstecher, der mit 600 Talern übrigens weniger als ein Zehntel des Gehalts der Barbarina bezog, sich für die Tänzerin interessierte und sie zeichnete.
In mancher Hinsicht stellt Schmidts Zeichnung das schönste Porträt der Tänzerin dar. Rosalba Carrieras und Antoine Pesnes zahlreich überlieferte Bildnisse zeichnen sich meist durch eine gewisse Typenhaftigkeit aus. Auch in ihren Porträts der Barbarina tritt das Individuelle der Dargestellten hinter die erkennbare Handschrift der Künstlerin bzw. des Künstlers zurück. Schmidts Barbarina weist dagegen eine bemerkenswerte Lebendigkeit und Individualität auf. Besonders reizvoll ist zudem, dass die Zeichnung als einzige kein Rollenporträt darstellt. Vielmehr deutet sich im geselligen Entstehungskontext des Bildes die Bedeutung der Barbarina für das Berliner Gesellschaftsleben der 1740er-Jahre an. Für diese Zeit ist ihre Teilnahme an exklusiven gesellschaftlichen Ereignissen wie Empfängen und Banketten überliefert. Auch ihr eigenes Quartier in der Behrenstraße soll ein sozialer Hotspot gewesen sein.
Zum Vertiefen:
Reisebericht Johann Konrad Peyers, in Helmut Eckert: Von Oper und Schlössern in Berlin und Charlottenburg 1746. Berichte eines Besuchers, in: Festschrift der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg zu ihrem hundertjährigen Bestehen, 1884–1984, Berlin 1984, S. 213–226.
Rita Unfer Lukoschik: Italienerinnen und Italiener am Hofe Friedrichs II., Berlin 2008.
Franziska Windt: Friedrichs Bühne, in: Friederisiko – Friedrich der Große, Bd. I: Die Ausstellung, München 2012, S. 344–361.
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