Ein ganz besonderes Gemälde, ein sogenanntes „Panorama“ ist seit kurzem im Neuen Flügel des Schlosses Charlottenburg, in der Wohnung König Friedrich Wilhelms III. von Preußen zu entdecken.
Dr. Alexandra Nina Engel, Gemäldekustodin der Stiftung beschreibt das Gemälde, seine Entstehung und seinen berühmten Maler.
Das „Panorama Berlins vom Dach der Friedrichswerderschen Kirche gesehen“ nimmt seine Betrachter:innen mit auf eine Zeitreise ins biedermeierliche Berlin des Jahres 1834. Dabei gibt es hier weit mehr von der Stadt und ihren Bewohnern zu entdecken, als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Vordergründig ist es die Architektur der Stadt, die in ihren Bann zieht: Das Dach der erst 1831 geweihten und in der historischen Mitte Berlins gelegenen Kirche bot dabei einen vorzüglichen Standort für die Illusion eines 360° Rundumblicks über die Wohn- und Prachtbauten der Stadt. Bereits Stadtführer der 1830er Jahre empfehlen einen Besuch des Ortes als Höhepunkt eines Stadtbesuchs. So liegen einem sowohl die barocken als auch die friderizianischen Paläste, Kirchen und Wohnhäuser zu Füßen: das Berliner Schloss, die Nikolaikirche, der Deutsche und der Französische Dom auf dem Gendarmenmarkt, das Zeughaus, die Hedwigskirche, das Königliche Operngebäude und die Königliche Bibliothek am Forum Fridericianum, das ehemalige Palais des Prinzen Heinrich (seit 1809 Universität). Aber auch die modernen, nach Plänen des Architekten Karl Friedrich Schinkel (1781–1841) geschaffenen, Bauten Berlins werden im Bild in Szene gesetzt. Neben der Friedrichswerderschen Kirche selbst erkennt man von den Schinckelschen Bauten unter anderem die gerade in direkter Nachbarschaft im Entstehen begriffene Bauakademie und das Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Gegenüber des Berliner Schlosses erstrahlt in hellem Licht das 1830 eröffnete Königliche Museum am Lustgarten. Der Blick zum Horizont lässt bereits den Stadtrand erkennen und verdeutlicht auf anschauliche Weise auch heutigen Betrachter:innen die damalige Größe Berlins.
Der Maler des Panoramas – Eduard Gaertner (1801–1877) – versetzt uns in die Stimmung eines sonnigen Sommernachmittags im Jahr 1834: Die Architektur ist in warme Farben getaucht, während die Nachmittagssonne von Westen aus lange Schatten auf das Dach der Kirche wirft. Ein leichter Wind erfasst den dünnen Rauch der Schornsteine und die Wimpel auf den Dächern der Stadt, während man fast meint, leise Alltagsgeräusche der Stadt wahrzunehmen: Das Schlagen der Hufe während Pferdekutschen den Prachtboulevard Unter den Linden entlang rollen; den Klang der Ziegel, mit denen das Dach eines benachbarten Wohnhauses gedeckt wird; das peitschende Geräusch einer Rute, mit der eine Berlinerin auf einen Dachvorsprung Kissen und Bettdecken ausklopft und das Quietschen von Seilwinden, mit deren Hilfe Arbeiter das Baugerüst der in unmittelbarer Nähe gelegenen Bauakademie erhöhen. Es sind anekdotische Beobachtungen des alltäglichen Lebens wie diese, mit denen der Maler seine Ansichten Berlins lebendig gestaltete.
Mehr einer Installation denn einem gewöhnlichen Gemälde gleich, besteht das Panorama aus zwei Teilen, die in einigem Abstand winklig zueinander aufgestellt werden und so ein Sechseck von mehr als drei Metern Durchmesser ergeben. Betritt man das Innere dieses offenen Sechsecks, vermittelt das Panorama Berlins in sechs Einzelbildern die Illusion eines Rundumblicks über die Dächer der Stadt. Dabei war das Panorama Berlins wesentlich kleiner als die damals äußerst beliebten, öffentlich aufgestellten großen Panoramen, die meist in monumentalen Rundbauten gezeigt wurden. Von einer dunklen Plattform im Innern des Rundbaus aus, konnten Besucher:innen dort die speziell beleuchteten Darstellungen auf den zum Teil mehrere hundert Quadratmeter großen Leinwänden betrachten. Gezeigt wurden unter anderem Ansichten europäischer Städte (gerne, wie beim Panorama Berlins von einem erhöhten Standpunkt aus gesehen), geschichtliche Ereignisse oder geographische Besonderheiten. Sie erzeugten bei den Betrachtern die Illusion, wirklich am Ort des Geschehens zu sein und setzten auf den Effekt der Täuschung und der Überwältigung ihrer Besucher:innen. Erste Beispiele wurden im ausgehenden 18. Jahrhundert in England gezeigt – bereits um 1800 feierten sie jedoch bereits europaweit große Erfolge. Panoramen gab es in vielen europäischen Großstädten, teils in fest etablierten Bauten. Die Leinwanddarstellung selbst reisten häufig durch Europa und wurden nacheinander an vielen Orten präsentiert. So waren Panoramen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch in Berlin ein beliebtes Medium der volksnahen Wissensvermittlung. Über Jahrzehnte hinweg lockten monumentale Panoramen oder Dioramen, die zusätzlich mit bewegten Lichteffekten ausgestattet waren und beispielsweise Tagesabläufe darstellen konnten, in dem sie Sonnen- bzw. Mondaufgänge und -untergänge zeigten, ein großes Publikum an. Ihre kleinformatigen „Verwandten“, die so genannten „Zimmerreisen“ erfreuten sich ebenfalls großer Beliebtheit. Auch der königliche Hof erlag diesem Zauber der Illusion und besuchte die Veranstaltungen regelmäßig. König Friedrich Wilhelm III. erwarb zudem zahlreiche Gemälde, die Panoramen Berlins und seiner Umgebung darstellten, wie auch Stadtansichten Berlins.
Im Innern des Winkelpanoramas Berlins im Jahr 1834 stehend, werden die Betrachter:innen mit in das Geschehen einbezogen, als gehörten sie zu den Besuchern des Daches. Hier haben sich bedeutende Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur der Stadt versammelt: Unter ihnen erkennt man den königlichen Oberbaudirektor und Architekten Karl Friedrich Schinkel, der gemeinsam mit dem Geheimen Oberfinanzrat Peter Beuth (dem späteren Direktor der Bauakademie), das Entstehen der Bauakademie vom Dach der Kirche beobachtet. Auch der 65-jährige Naturwissenschaftler Alexander von Humboldt (1769–1859) ist neben einem Paar an einem Fernrohr zu erkennen. Humboldt war erst wenige Jahre vor Anfertigung des Panoramas aus Paris nach Berlin zurückgekehrt. Nach dem Ende seiner langjährigen Forschungsreisen wurde er 1829 als Wirklicher Geheimer Rat an den Hof Friedrich Wilhelms III. nach Berlin berufen. Seine Vorträge über naturwissenschaftliche Themen fanden sowohl bei Hofe, als auch an der Universität und der Sing-Akademie vor einem begeisterten Berliner Publikum statt. Mit Schinkel und Humboldt zeigt das Panorama damit zwei der bedeutendsten Vertreter der damaligen geistigen Elite Berlins. Das kulturelle und geistige Leben der Stadt wird zudem durch die Wiedergabe des Schauspielhauses, der Königlichen Oper und der königlichen Bibliothek, der Universität, des Museums und nicht zuletzt der Bauakademie im Bild verkörpert. In einem winzigen Detail erkennt man sogar die 1832 errichtete Station des Optischen Telegrafen auf dem Turm des alten Observatoriums (schräg hinter der Universität). Hieraus spricht deutlich der Stolz auf die Vielfalt und Errungenschaften der modernen Stadt, zu deren Neuerungen auch die Entwicklung der öffentlichen Panoramen gehörten.
Auch der 33-jährige Künstler stellte sich selbst, seine Ehefrau Henriette und die 1830 und 1832 geborenen Söhne Reinhold und Gustav als Teil der Berliner Gesellschaft dar. Förmlich in Gehrock und Zylinder gekleidet, erkennt man ihn vor der steinernen Brüstung des Dachs, neben ihm eine grüne Zeichenmappe mit Erläuterungen zum Künstler und der Datierung des Panoramas. Gerade hat er seine Zeichentätigkeit beendet, ist von seinem Sitz aufgestanden und läuft seiner Ehefrau und dem jüngsten Sohn entgegen, um sie auf dem Dach zu begrüßen. Zeichenstift und Zeichenheft hält er dabei noch in der Hand, während auf dem Boden liegende Zeichengeräte und ein Winkel darauf hinweisen, dass er seine Beschäftigung jäh unterbrochen hat. Der älteste Sohn Gaertners hat das Dach wie einen feindlichen Hügel erstürmt und hält einen Stock wie eine Stichwaffe in die Luft gereckt. Sein Blick geht in Richtung des Kreuzbergs mit seinem 1818-1821 nach Plänen Schinkels errichteten gusseisernen Nationaldenkmal für die Befreiungskriege. Am 30. März 1821, dem Jahrestag der Erstürmung des Montmartre, wurde es feierlich eingeweiht. Eine Inschrift, die im Auftrag des Königs angebracht worden war, erläuterte seine Widmung „[...] Den Gefallenen zum Gedächtniß, den Lebenden zur Anerkennung, den künftigen Geschlechtern zur Nacheiferung“. So scheint Gaertner das Motto der Nacheiferung durch die jüngeren Generationen im Panorama bildlich umzusetzen, indem er seinen vierjährigen Sohn fast zwanzig Jahre nach dem Ende der Befreiungskriege, beim spielerischen Nachempfinden des patriotischen Ereignisses darstellt.
Ein ganzes Jahr – von Januar bis Dezember 1834 – arbeitete der Künstler fast täglich an dem Panorama Berlins. Durch seinen Schreibkalender sind wir gut über seinen Tagesablauf in diesem Jahr unterrichtet. Hier notierte er in Kurzform, an welchem Kunstwerk er arbeitete und welche familiären Ereignisse, Besuche und Abendveranstaltungen stattfanden. Ein schlichtes „Pg“ [Panorama gemalt] verweist an den meisten Tagen des Jahres auf seine Arbeit am Panorama. Ruhetage gönnte sich der Künstler zumindest 1834 nur wenige, auch Samstag wurde regelmäßig und Sonntag häufig gearbeitet. So wissen wir, dass er am 4. Januar 1834 mit den Unterzeichnungen der Bilder begann, mit denen er sieben Wochen beschäftigt war. Anschließend fertigte er die Untermalungen für das Bild an. Ende März schließlich konnte er sich der eigentlichen Darstellung widmen und begann zunächst, die Partien des Himmels, den er als „Luft“ bezeichnete, auch in Ölfarbe auszuführen. Von Juni an (bis September) begann eine neue Phase, in der er vor Ort – auf dem Dach der Kirche – in einer Art „Bude“ malte. Fast täglich konnte man ihn hier im Sommer des Jahres 1834, vor 188 Jahren, antreffen, nur von wenigen Ausnahmetagen abgesehen. Zu diesen gehörte definitiv die Geburt der Tochter Pauline am 19. August. Bereits am nächsten Tag verließ er das Haus jedoch schon wieder, um auf dem Dach der Friedrichwerderschen Kirche zu arbeiten. Die Zeit drängte, das Panorama sollte bereits im September 1834 auf der Ausstellung der Berliner Akademie der Künste gezeigt werden – was zumindest für einen der beiden Teile des Panoramas mit einer kleinen Verspätung gelang. Einen der wenigen weiteren Höhepunkte des Sommers scheint für Eduard Gaertner ein gemeinsamer Ausflug mit den befreundeten Künstlern Friedrich Drake (1805–1882) und Eduard Meyerheim (1808–1879) am 1. Juli zur Pfaueninsel gewesen zu sein, der mit einem Essen im „Russischen Hause“ endete, wobei man den „Tag köstlich verlebt[e]“.
Im Oktober zeigte der König Interesse an dem Panorama, dessen eine Hälfte sich bereits in der Akademie der Künste befand. So wurde es von dort in das wenige Schritte entfernt gelegene Kronprinzenpalais geschafft, wo es schlussendlich die Zustimmung des Königs fand. Nach der Fertigstellung des zweiten Teils erwarb Friedrich Wilhelm III. beide Teile im Januar 1835. Vermutlich hatte Gaertner bereits von Anfang an den König als Käufer im Auge gehabt. Nicht zufällig ist das Panorama so konzipiert, dass neben den barocken und friderizianischen Teilen der Stadt auch die Errungenschaften Friedrich Wilhelms III. im Bild ins rechte Licht gerückt werden: Das Nationaldenkmal auf dem Kreuzberg, die königliche Universität, das Königliche Museum sowie die 1831 vor dem Museum platzierte monumentale Granitschale, die im Auftrag des Königs aus einem Brandenburger Findling herausgeschlagen wurde und als eines der technischen Wunderwerke ihrer Zeit galt. Das bevorzugte Palais des Königs Friedrich Wilhelm III. von Preußen (1770–1840) – das Königliche Palais Unter den Linden (Kronprinzenpalais) – und das benachbarte Prinzessinnenpalais werden von ihrer Rückseite, mit Blick in den Innenhof gezeigt und nehmen im Bild deutlich mehr Raum ein, als die traditionelle Residenz der Hohenzollern, das Berliner Schloss.
1836 wird eines der beiden Panoramenteile im Ovalen Saal des Schlosses Charlottenburg in einem vergoldeten Rahmen im neogotischen Stil aufgestellt. Scharniere ermöglichen es, den Winkel der einzelnen Bilder zueinander zu verändern. Später gelangte das Werk ins Dachgeschoss des Belvedere im Park von Charlottenburg und wurde seit 1970 im Schinkel-Pavillon (heute Neuer Pavillon) präsentiert und ab 2005 deponiert. 2021 fand es erneut eine würdige Aufstellung im Neuen Flügel des Schlosses Charlottenburg, in der Wohnung König Friedrich Wilhelms III. von Preußen. Hier wird es umgeben von weiteren Darstellungen Gaertners gezeigt, der mit seinen Stadtansichten als einer der herausragendsten Chronisten Berlins der Zeit um 1825–1860 gilt. So sind hier unter anderem Darstellungen der beiden Innenhöfe des Berliner Schlosses zu sehen, eine Ansicht von „Unter den Linden“, die berühmte Darstellung der „Schlossbrücke“ sowie kleiner Komplex zum Thema des Panoramas. Durch die Zusammenarbeit vieler Kolleg:innen der SPSG – aus den Abteilungen Architektur, Schlösser und Sammlungen, Restaurierung, Schlossmanagement, Bildung und Marketing, Baudenkmalpflege, und dem Schirrhof – konnte die Dauerpräsentation in der Wohnung Friedrich Wilhelms III. hiermit um zwei Räume erweitert werden. Sie waren seit den 1960er Jahren als Aufenthaltsräume für die Schlossaufsichten genutzt worden und konnten 2021 für die museale Nutzung umgebaut und neu ausgestattet werden.
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