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„Don’t ask – don’t tell“ – war Friedrich der Große schwul?

29. Juni 2022 Von Reinhard Alings

Das Leben Friedrichs des Großen (1712–1786) liefert zahlreiche Indizien, die sich nicht anders deuten lassen, als dass er dem männlichen Geschlecht, auch sexuell, sehr zugetan war. Daran ändern auch einige kolportierte sexuelle Beziehungen zu Damen nichts. Seine engen Vertrauten waren, mit Ausnahme seiner älteren Schwester Wilhelmine (1709–1758), durchweg Männer, seine engste tägliche Umgebung war fast ausschließlich männlich.

Die freizügigen Feste in Rheinsberg, sein geradezu bösartig eifersüchtiges Verhalten seinem Bruder Heinrich (1726–1802) und den gemeinsamen Geliebten gegenüber, die innig ausgelebte Abneigung gegenüber seiner zwangsweise angetrauten Elisabeth Christine (1715–1797), wie Frauen gegenüber allgemein, aber auch seine bis heute schimmernden „Verhältnisse“ zu Hans Hermann von Katte (1704–1730) und Peter Karl Christoph von Keith (1711–1756), Eingeweihte seines Fluchtversuchs, das zu seinem Kammerdiener Michael Gabriel Fredersdorf (1708–1758) oder zu Dietrich von Keyserlingk (1713–1793), Kosename „Caesarion“, befördert vom Stallmeister zum Generaladjutanten, oder zu Friedrich Rudolf von Rothenburg (1710–1751), sorgten dafür, dass sich für die Zeitgenossen die besagte Frage, jenseits ihres Wahrheitsgehaltes, bestenfalls als willkommenes Futter eines klatschsüchtigen, Gerüchten gewogenen 18. Jahrhunderts darstellte. Eindeutige sexuelle Kontakte lassen sich daraus jedoch nicht ohne Weiteres ableiten. Ob Friedrich diese mit den Genannten neben vertrauter Zuneigung jemals hatte, bleibt rätselhaft.
 

Freundschaftskult und (Homo-)sexualität im 18. Jahrhundert

Aus heutiger Sicht kommt hinzu, dass jene Briefe und Notizen, die von inniger Liebe und Zuneigung, von Schmerz und Sehnsucht gerade zum gleichen Geschlecht berichten, ganz und gar der Tradition des Freundschaftskultes des 18. Jahrhunderts entsprachen: Eine Zeit der beinahe kultischen Verehrung der „Freundschaft“ zwischen gleichen Geschlechtern, das Feiern einer postulierten Verwandtschaft der Seelen, die nur das gleiche Geschlecht gewährleiste. „Liebe“ galt zwar auch als erotisch, sie gab sich öffentlich und literarisch aber eher schwärmerisch, asexuell, eben platonisch. Sexualität dagegen wurde im 18. Jahrhundert in einer Freizügigkeit praktiziert, die uns heute überraschen mag. Auch spielte die Unterscheidung in Hetero-, Homo- oder Bisexualität hier nicht die Rolle, die ihr seit dem 19. Jahrhundert zukommen sollte. Sexuelle Kontakte zwischen Älteren und sehr viel Jüngeren waren üblich und entsprachen gängigen Verhaltensweisen, zumindest in adligen Kreisen, Promiskuität war an der Tagesordnung. Die Bildende und Darstellende Kunst der Zeit spiegelt dies wider, aber auch die überkommenen Schriften bis hin zu pornographischen Darstellungen lassen keine Wünsche offen.

Berühmte Persönlichkeiten der höchsten Adelskreise, von Prinz Eugen von Savoyen (1663 – 1736) bis zum eigenen Bruder Heinrich, von Philipp von Orleans (1640–1701), dem Bruder Ludwigs XIV. aus dem verehrten Frankreich, ganz zu schweigen, lebten ihre Homosexualität mehr oder weniger unverhohlen aus. Sie waren im Gespräch, wie vieles andere auch, ihre Lebensweise aber tat ihrer Reputation keinen Abbruch. Die „Knabenliebe“, antikisches Ideal, befördert durch die Wiederentdeckung antiker Statuen, die dem jungen, schönen Knabenkörper huldigten, spiegelte sich ihrerseits in der zeitgenössischen Kunst der „fête galante“ eines Antoine Watteau (1684–1721) beispielsweise wider, die Friedrich zahlreich um sich versammelte.
 

Auch ein Pompeo Batoni (1708–1787) wurde von Friedrich gern gekauft. Sein eigens in Auftrag gegebenes Bild „Die Vermählung Amors mit Psyche“ von 1756 begleitete ihn, so wird berichtet, den gesamten Siebenjährigen Krieg über und galt als eines seiner Lieblingsbilder. Auf den Bildern jedenfalls finden sich zahlreiche der lebensfrohen sogenannten „Mignons“ – „Liebchen“ –, die offenbar dem Geschmack des Königs an jungen, hübschen Pagen nahekamen.
 

Ein regierender König in Preußen mochte im Hinblick auf offen praktizierte Homosexualität noch mit anderen Maßstäben gemessen worden sein als Feldherren und Prinzen; umso mehr wird es Friedrich geradezu gefreut haben, wenn er auch hinsichtlich seiner sexuellen Vorlieben als eine in jeder Hinsicht geheimnisvoll schillernde Gestalt gesehen wurde. An der Tatsache selbst ändert dies freilich nichts. Wenige seiner Zeitgenossen dürfte das Thema wirklich empört haben, wenngleich es immer für die eine oder andere spitze Bemerkung gut war. Die moralisierende Frage, ob Friedrich der Große schwul war, resultiert vielmehr aus späteren Zeiten, zunächst der friderizianisch-preußischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts bis hinein in unsere Tage. Vor allem der Zweifel, ob das überhaupt sein könne, entspringt späterer Geschichtsschreibung. Erst der vehemente Widerspruch des 19. und 20. Jahrhunderts, so ist zu vermuten, hat der Frage nach Friedrichs (Homo-)sexualität überhaupt nachhaltig Auftrieb gegeben. Bis heute. Mit dem Ende der Hohenzollernmonarchie in Deutschland und einer kritischeren Geschichtsschreibung gab es weniger Gründe, das Thema zu tabuisieren.
 

Favoriten statt Mätressen

Unbekannter Künstler: Portrait Michael Gabriel Fredersdorf, ca. 1750
Unbekannter Künstler: Portrait Michael Gabriel Fredersdorf, ca. 1750 | gemeinfrei

Neben seinen männlichen Vertrauten, die er zahlreich um sich scharte, lässt sich ein immer wieder dokumentierter Hang zu hübschen, jungen Pagen seiner nächsten Umgebung zweifelsfrei feststellen. Friedrich hatte keine Kinder, nur wenig Kontakt zu seiner Ehefrau Elisabeth Christine, nicht einmal eine Mätresse, dafür aber zahllose Favoriten. Fielen ihm bei Musterungen oder Revuen besonders attraktive Männer auf, so wird berichtet, nahm er sie gern und in hoher Zahl in seinen persönlichen Dienst. Sie waren fortan seiner Gunst unterworfen. Ihnen ihrerseits war bei Strafe der Verbannung jeder Kontakt mit Damen am Hofe verboten. Einige, über lange Jahre hinweg, wurden in seiner Umgebung ausgesprochen einflussreich und wohlhabend, von anderen wird nach Fehlleistungen das Gegenteil berichtet. Es gab viele namenlose und einige namentlich bekannte Pagen. Vor allen anderen informieren uns die Quellen zu seinem langjährigen Kammerdiener und Faktotum am Hofe Michael Gabriel Fredersdorf – die innig väterlichen, auf Deutsch verfassten Briefe Friedrichs an ihn zeugen von einem fürsorglichen, ja liebevollen Umgang miteinander – weit entfernt vom Misanthropen.

Voltaire

Die Polemiken seiner Zeitgenossen, zuvorderst vom Meister der Indiskretion, Voltaire (eigentlich François-Marie Arouet, 1694–1778), sorgten immer wieder dafür, dass der Gesellschaft der Gesprächsstoff nicht ausging.  Voltaire schildert in seinen posthum überarbeiteten Memoiren süffisant einige immer wieder gern zitierte pikante Szenen, die sich angeblich am Hofe Friedrichs abgespielt haben sollen. So habe sich der König gern mit einem ausgewählten „jungen Kadetten“, dem er zuvor als Zeichen ein Taschentuch zugeworfen hatte, ein Viertelstündchen ins Hinterzimmer zurückgezogen. „Zum Äußersten“, so Voltaire, sei es dabei aber nicht gekommen. Als Kronzeuge kann Voltaire schon allein aufgrund seines späteren Zerwürfnisses mit dem König jedoch schwerlich dienen. Die eigentliche Quellenlage zum Thema bleibt ausgesprochen kritisch.
 

Tatsächliche Augenzeugen oder Beteiligte gibt es gar nicht. „Vertrauliche Briefe“ oder Notizen, die sich bislang gedruckt oder handschriftlich in den Akten fanden, können als Quelle nur unter größten Vorbehalten dienen. Sie beziehen sich in aller Regel auf Gerüchte, auf Hörensagen sowie den beliebten Hoftratsch und dienten in einem Jahrhundert, in dem delikate Angelegenheiten jeder Art zur allgemeinen Unterhaltung beitrugen, nicht selten auch übergeordneten politischen Zwecken. Friedrich selbst äußerte sich nie eindeutig, sondern ließ das Thema ganz bewusst im Rätselhaften.

Nachweise, die sich auf Fakten stützen, gibt es nicht. Indizien aber sind nicht zu ignorieren, und gerade ihre Fülle spricht eine eindeutige Sprache. In keinem Falle ist Friedrich zudem gegen die Verbreitung von Nachrichten über seine Homosexualität eingeschritten, ja hat sogar seinem Beauftragten in London, Mitchell, ausdrücklich untersagt, etwas zu unternehmen, als 1753 die anonyme Schrift „Vie privée du roi de Prusse“ oder „Idée de la personne, de la manière de vivre et de la cour du roi de Prusse Frederic II.“ von – vermutlich – keinem Geringeren als wiederum Voltaire mit entsprechend delikaten Andeutungen auftauchte. Der zeitgenössische Verweis auf Friedrichs sexuelle Vorlieben hätte seinem Ruhm und dem des Staates keinen Abbruch getan. Er selbst äußerte sich zu Gerüchten dieser Art in einem Brief an Mitchell auch ganz entspannt: „Was dieses verleumderische Büchlein angeht, worüber Sie mir berichten, dass Manuskripte davon in England in Umlauf sind, sage ich Ihnen, dass Sie sich damit nicht abgeben sollen, und Sie sollen sich weder offenbaren noch ein Wort darüber verlieren. […] Außerdem kümmere ich mich nicht darum, was Besessene über meine Person schreiben, solange das Wohl meines Staates nicht darunter leidet.“

Don’t ask – don’t tell

„Don’t ask, don’t tell“ – diese langjährige Leitschnur im amerikanischen Militär – bekenne Dich zu nichts: bleibt alles im Ungefähren, ist alles in Ordnung – könnte schon für den König von Preußen eine Leitschnur gewesen sein. Derartige Geschichten konnten den berühmten Preußenkönig im Zweifelsfalle nur noch interessanter machen. Warum also hätten sich die Zeitgenossen, neben dem unbestrittenen Unterhaltungswert, soviel Mühe geben sollen, permanent völlig aus der Luft gegriffene Gerüchte zu streuen? Friedrichs gescheiterte Flucht am 5. August 1730 war der Versuch, der Tyrannei des Vaters – der drastischen Gegenwelt zu seinen eigenen Lebensvorstellungen – ein Fanal entgegenzusetzen oder ihr sogar tatsächlich zu entkommen. Sein Leidensdruck dürfte nicht zuletzt aufgrund der tumb-heterosexuell geschilderten Atmosphäre nahezu existenziell gewesen sein. Stattdessen ergab er sich schließlich scheinbar dem Vater und 1733 auch der Heirat mit Elisabeth Christine, die er standesgemäß, aber bekanntermaßen wenig liebevoll behandelte und seit seiner Thronbesteigung nur noch selten sah. Vielmehr konnte er damit seinen persönlichen Freiraum erweitern und machte aus diesem Motiv auch gar keinen Hehl.

Bis zum Tod des Vaters lebten Friedrich und seine Gemahlin gemeinsam in Rheinsberg, das er in diesen Jahren in einen lebenslustigen und feinsinnigen Musenhof mit zahlreichen – männlichen wie weiblichen – Vertrauten verwandelte, junge, hübsche Pagen inklusive. Danach lebte die Königin in Schönhausen und repräsentierte – erfolgreich und anerkannt – in Berlin. Sanssouci blieb für sie tabu. Seit der Thronbesteigung 1740 und dem Kriegsbeginn im selben Jahr passt das tradierte Klischee vom rücksichts- und selbstlosen Feldherrn und Politiker bis hin zum Alten Fritz scheinbar nicht mehr zur ebenso klischeehaften Vorstellung von einem schwulen Monarchen. Was Kindheit und Jugend aus Friedrichs Seele und Gefühlen gemacht haben mögen, können wir uns heute nicht mehr annähernd vorstellen. Viele von den zeitgenössisch und später kolportierten „Geschichten“ eignen sich bestens für eine jeweils interessengeleitete Projektion, mal von Friedrich selbst, mal von seinen Gegnern, mal von seinen Apologeten oder seinen Kritikern. Was davon gelebte Praxis war, bleibt im Dunkel, so auch, welche Rolle Sexualität in welchem Lebensabschnitt Friedrichs überhaupt spielte. Seinen Vorlieben blieb er dennoch zeitlebens treu.
 

Hadrian und Antinous

Bronzestatue eines jungen Mannes (sog. „Betender Knabe“), Ende 4./Anfang 3. Jh. v. Chr.
Bronzestatue eines jungen Mannes (sog. „Betender Knabe“), Ende 4./Anfang 3. Jh. v. Chr. © bpk / Antikensammlung, SMB / Johannes Laurentius

1747 kauft Friedrich dem in österreichischen Diensten stehenden Joseph Wenzel von Liechtenstein (1696–1772) für günstige 5.000 Taler die lebensgroße antike Bronzestatue des sogenannten „Betenden Knaben“ ab und platziert sie öffentlich an prominentester Stelle im Park, in Sichtweite seiner Bibliothek von Sanssouci, in der sein Schreibtisch stand. Der „Betende Knabe“, eine griechische Plastik aus Rhodos um 300 v. Chr., stand seinerzeit in einem direkten und für jeden ersichtlichen homoerotischen Kontext, mal als Antinous, dem vergötterten Geliebten Kaiser Hadrians, als den Friedrich ihn gesehen hat, mal als Ganymed, dem von Gottvater Zeus lustbegehrten Hirtenknaben oder auch schlicht als Adonis. Mit dem Kauf und der Wahl des herausgehobenen Aufstellungsortes hat Friedrich – von der Parallele mit Hadrian ganz abgesehen – sicher auch seinem sexuellen Ideal ein unmissverständliches Denkmal gesetzt.
 

War Friedrich schwul? Daran kann kein vernünftiger Zweifel bestehen. Er hätte seine Homosexualität darüber hinaus sicher gern lebenslang ausgelebt, wenn er nicht König und – wichtiger – zu halbwegs freier leidenschaftlicher Sexualität und tiefergehender emotionaler Beziehung überhaupt in der Lage gewesen wäre. Das war er scheinbar nicht. Friedrich lebte seine Homosexualität nicht aus, weil er seine Sexualität nicht auslebte, nicht ausleben konnte. „Es könnte durchaus sein“, schreibt Christopher Clark, „dass er nach seiner Thronbesteigung auf geschlechtlichen Verkehr mit wem auch immer verzichtet hat und möglicherweise schon davor“. Dies wohl weniger aufgrund „körperlicher“ Schwächen, wie immer wieder kolportiert wurde, sondern vornehmlich aufgrund seelischer Belastungen und Narben, die zeitlebens nicht verheilten und die ihn letztlich zu einem bedauernswerten selbsternannten Misanthropen machten. Auch hier spielte er seine Rolle: am Glück des Lebens verzweifelt. Friedrich riss den Schutzwall, den er nach seinem Fluchtversuch gegen das von seinem Vater verhängte grausame Regime errichtet hatte, niemals wieder ein. Als Sublimation dienten ihm, solange es ging, Flöte und Philosophie, Gesprächspartner und Gesellschaft, später, nachdem die engen Vertrauten verstorben oder geflüchtet waren, nur noch die überschwängliche Liebe zu seinen Hunden.

Johann Georg Ziesenis: Friedrich der Große
Johann Georg Ziesenis: Friedrich der Große © SPSG / Wolfgang Pfauder

Mag Homosexualität für das Werk eines Künstlers beispielsweise von ausschlaggebender Bedeutung sein, erschließt sich dies für Friedrich und sein Werk an keiner Stelle. Wäre er ein anderer geworden, hätte er die Frauen geliebt? Wohl kaum. Schon eher, hätte er überhaupt geliebt.

Der Beitrag ist eine gekürzte Version des Aufsatzes „Don’t ask – don’t tell – war Friedrich schwul?“ von Reinhard Alings aus dem Katalog zur Ausstellung „Friederisiko. Friedrich der Große“ (2012):

Reinhard Alings: Don’t ask – don’t tell – war Friedrich schwul? In: Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (hrsg.): Friederisiko. Friedrich der Große. Die Ausstellung. Katalogbuch zur Ausstellung im Neuen Palais, Potsdam, 28. April bis 28. Oktober 2012. München 2012. S. 238-247.

 

 

 

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