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Ein Obelisk für den 11. März

11. März 2022 Von Pauline Oelsner

In unserer Reihe der versteckten oder kuriosen Orte in den Gebäuden und Gärten der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg widmen wir uns heute einem sonderbaren Obelisken im Schlossgarten Charlottenburg. Er trägt die Inschrift des heutigen Tages – 11. März – aber ohne Jahreszahl. Für diesen Beitrag haben wir uns auf die Suche nach des Rätsels Lösung begeben.

„11. März. Dieses könnte ein Tag von historischer Bedeutung sein.“
Diese Inschrift ist in vier Sprachen – Deutsch, Englisch, Französisch und Serbokroatisch – auf einem Obelisken aus italienischem Carrara-Marmor im Schlossgarten Charlottenburg eingraviert. Ein bisschen versteckt steht er am nördlichen Rand des Parks – und verwirrt seit seiner Aufstellung die Besucher:innen.

Obelisken errichtete man im alten Ägypten zu spirituellen Zwecken. Später sollten sie auch an besondere Ereignisse und bedeutsame Personen erinnern oder man stellte sie beispielsweise als architektonische Schmuckelemente in Gärten auf. Der Obelisk im Schlossgarten Charlottenburg aber wirft Fragen auf. In dem weißen Marmor ist nur ein Datum – der 11. März – gemeißelt. Und nicht mal ein vollständiges, denn nur Tag und Monat sind angegeben. Handelt es sich hier vielleicht um ein Rätsel, was es zu lösen gilt? Gerade im Barock spielten Künstler:innen und Herrscher:innen bekanntlich gerne mit geheimnisvollen Sinnbildern und Doppeldeutigkeiten.

Um das Rätsel und seine Bedeutung zu lösen, muss man ein wenig zurückblicken. Der Park spiegelt, wie auch das Schloss selbst, mehr als dreihundert Jahre facettenreiche Architektur- und Gartengeschichte wider. Inspiriert von der französischen Gartenkunst André Le Nôtres und von der Kurfürstin Sophie Charlotte (1668-1705; ab 1701 Königin) in Auftrag gegeben, wurde er durch Siméon Godeau – einem Schüler Le Nôtres – ab 1695 angelegt. Im 19. Jahrhundert wurde er durch Peter Joseph Lenné zu einem Landschaftsgarten umgestaltet und so entstand über Jahrhunderte hinweg ein grünes Paradies. Aufgrund massiver Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg musste der Park in den Nachkriegsjahrzehnten aufwendig wiederhergestellt werden. Neben den Kriegszerstörungen war der Bau eines hohen Bahndamms an der Nordseite des Parks einer der gravierendsten Eingriffe, der die große Perspektivachse des Parks nach Norden vernichtete. Laut Martin Sperlich, Direktor der (West-Berliner) Schlösserverwaltung von 1969-1984 „[…] mußte man froh sein, daß die hohen Baumgruppen des Landschaftsgartens diesen Damm verdeckten. Auch mit Wiederherstellung der barocken Partien konnte diese Sicht nicht mehr gewonnen werden.“ Die verlorene Sichtachse sollte nun durch einen point de vue wiederhergestellt werden. Das zu errichtende Objekt sollte verhindern, dass sich der Blick in der Ferne verliert oder von einem nicht zum Garten gehörenden Objekt – wie dem Bahndamm –  abgelenkt wird.
 

Als dann der jugoslawische Stipendiat des Deutsch Akademischen Austausch Dienstes (DAAD), Braco Dimitrijević (geb. 1948 in Sarajevo) die Idee hatte, in Berlin einen Obelisken zu errichten, ergab sich die Möglichkeit, dieses Projekt zu realisieren und dem Schlossgarten Charlottenburg den fehlenden point de vue zurückzugeben:

Dimitrijević kam 1977 als Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD nach Berlin und lebte und arbeitete hier für ein Jahr. Berlin, ein Ort voller historischer Verweise, inspirierte den jungen Künstler zu einer fotografischen Serie mit dem Titel „This Could be a Place of Historical Interests“ (dt.: „Dieses könnte ein Ort von historischer Bedeutung sein“), welche später auf der documenta 6 in Kassel gezeigt wurde. Paradoxerweise zeigen Dimitrijevićs Fotografien vollkommen unscheinbare Orte; Orte ohne jeglichen historischen Kontext und Bedeutung. Seine These ist daher, dass jeder noch so banale Ort ein Schauplatz von historischer Bedeutung sein könnte. Sein wohl außergewöhnlichstes, während seines Aufenthalts in Berlin konzipiertes Kunstwerk ist unser Obelisk im Garten des Schlosses Charlottenburg, der diese These weiterdenkt und in ein dreidimensionales Objekt überführt.
 

Auflösung des oben genannten Rätsels ist nämlich, dass der Obelisk eben keiner historischen Persönlichkeit, keinem historischen Ereignis, sondern einem vollkommen beliebigen Tag, nämlich dem 11. März, gewidmet ist. Dieser Tag ist, nach dem Willen des Künstlers, ein zufällig ausgewähltes Datum eines zufällig ausgewählten Passanten, den Dimitrijević in Berlin traf und nach seinem Geburtsdatum fragte. Der Künstler beabsichtigte, einem beliebig ausgewählten Tag ein Denkmal zu setzen, das zum Nachdenken über das Wesen historischer Bedeutungen anregen soll. Er hatte zudem das Problem des Gartens – den fehlenden point de vue und den unschönen Bahndamm – sogleich erkannt und lieferte der Schlösserverwaltung und der Stadt Berlin einen Entwurf, der mit Hilfe des Obelisken die fehlende Sichtachse wiederherstellte. Sein Entwurf erfuhr vollste Zustimmung.
 

„Der 11. März ist eine Imitation, die sich von der Realität nur dadurch unterscheidet, daß er einerseits nichts bestimmtes memoiren läßt, andererseits aber jede Zuordnung erlaubt. Mit diesem Datum setzt Dimitrijević Realität, denn von nun an ist der 11. März mit einem historischen Ereignis verknüpft, seiner Setzung durch die Auswahl aus den 365 möglichen Tagen und seiner bildnerischen Monumentalisierung.“
Thomas Deecke, damals Direktionsassistent beim Künstlerprogramm des DAAD.

Das Projekt wurde 1979 mit finanzieller Unterstützung des Berliner Senats, der Berliner Lottogesellschaft, des DAAD und der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin (West) umgesetzt und realisiert.
 

Der Obelisk ist ein kleiner Denkanstoß, mit wachem Blick durch die Gärten oder Orte zu laufen, denn alle Objekte, wie hier im Charlottenburger Schlossgarten, erzählen Geschichte(n) – und entgegen der weit verbreiteten Auffassung kann man auch zuweilen moderne Kunst in unseren Gärten entdecken. Und der Obelisk gibt zudem auch Anstoß, über die Bedeutung und Funktion von Denkmälern nachzudenken. Jede:r Besucher:in soll dazu inspiriert und eingeladen werden, seine oder ihre eigene Symbolik, ohne jeglichen historischen Hintergrund, mit dem Obelisken zu verbinden – oder vielleicht auch nicht. Sollte vielleicht der 11. März für Sie auch eine besondere Bedeutung haben, besuchen Sie den Obelisken, der symbolisch für Sie im Schlossgarten Charlottenburg steht.

 

Weitere Informationen zum Schlossgarten Charlottenburg


In einer früheren Version des Beitrags war zu lesen, die Inschrift auf dem Obelisk sei – neben Deutsch, Englisch und Französisch – auf Lateinisch eingraviert. Korrekt ist jedoch Serbokroatisch. Wir haben diesen Fehler korrigiert.


 

 

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