Seit dem 27. Mai 2020 befindet sich in einem vertieften Rasenspiegel nordwestlich des Schlosses Cecilienhof wieder die anmutige Rehgruppe des fast vergessenen Tierbildhauers Hermann, genannt Harry, Christlieb (1886-1967).
Dr. Silke Kiesant ist Kustodin der Skulptrensammlung der SPSG
Sie stellt eine aufmerksam auf die Umgebung blickende Ricke und davor ihr äsendes Kitz dar. Vor 1938 erwarb Kronprinz Wilhelm die Bronzeplastik und ließ sie an diesem Ort platzieren. Zur Zeit der Potsdamer Konferenz war das Kunstwerk umlagert von internationalen Fotografen, die von dieser Position den besten Blick auf die drei Staatsmänner in ihren Korbsesseln für das berühmt gewordene Foto auf dieser Terrasse erhaschen wollten. 1983 entfernte man die Plastik aus Angst vor Vandalismus.
35 Jahre Asyl im Neuen Garten
Über 35 Jahre lang erhielt sie Asyl in der Parkgärtnerei im Neuen Garten. Nach den jüngsten Recherchen des Teams der neuen Sonderausstellung um Jürgen Luh und Matthias Simmich „Potsdamer Konferenz 1945 – Die Neuordnung der Welt“, die ab 23. Juni 2020 im Schloss Cecilienhof stattfindet, fanden sich bislang unbekannte Fotos und Filmausschnitte aus der Konferenzzeit. Sie zeigen immer wieder auch die Rehgruppe. Der Wunsch entstand, diese nicht nur als Teil der originalen Ausstattung, sondern quasi als Zeugen des Treffens der „großen Drei“ in Potsdam wiederaufzustellen.
Ein um 1938 entstandenes Foto der Potsdamer Fotografin Ursula Blau zeigt die Rehgruppe auf dem oben beschriebenen Platz. Während der Potsdamer Konferenz blieb das Kunstwerk (nahezu) unangetastet. Mit der Übernahme des Neuen Gartens durch die sowjetischen Besatzer Anfang der 1950er Jahre befanden sich die Rehe nicht mehr im Bereich des abgesenkten Rasenparterres. Später standen sie in einer Wiesensenke südöstlich des Schlosses, um in den 1970er Jahren noch einmal auf die völlig umgestaltete Terrasse des Hotelrestaurants, jedoch in veränderter Aufstellung (das Rehkitz wandte sich nun seiner Mutter zu) zurückzukehren.
Restaurierung und Rückkehr
Harry Christlieb – geschätzt für seine einfühlsamen Tierplastiken
Der 1886 in den USA geborene Bildhauer Hermann, genannt Harry, Christlieb verlor als Vierjähriger sein Gehör. Nach der Rückkehr der vormals ausgewanderten Familie nach Deutschland und dem Besuch einer Gehörlosenschule absolvierte Christlieb zunächst eine Stuckateurausbildung, trat dann in die Kunstgewerbeschule in Hamburg und später in die Münchner Kunstakademie ein. Ein Stipendium ermöglichte ihm eine Studienreise nach Italien. Neben menschlichen Figuren und charaktervollen Porträtbüsten schuf er zahlreiche einfühlsame Tierplastiken in unterschiedlichen Materialien und Größen, für die er hochgeschätzt wurde. 1916 ließ er sich in Berlin nieder, sein Atelier schlug er in Kleinmachnow auf. Besonders häufig hielt er sich zum Studium im Berliner Zoo auf. Es entstanden feinfühlig beobachtete Tiere, wie zwei der Ricke-Kitz-Gruppe ähnelnde Gazellen („Mutterglück“), ein Gorilla, Flamingos oder das Elchkalb (Tierpark Berlin). Christliebs Kunstwerke waren, wie die von August Gaul und Renée Sintenis, begehrt bei privaten Sammlern und öffentlichen Museen. 1945 flüchtete Christlieb nach Schleswig und ließ sich 1950 mit seiner Frau Alma in Amberg nieder, wo er weiterwirkte und 1967 verstarb.
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