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Wilhelmine von Lichtenau holt Italien nach Potsdam Teil I

10. September 2019 Von Julian Wacker

Teil I: Wie Wilhelmine wurde, was sie war

Wilhelmine von Lichtenau (1753-1820), auch bekannt unter Wilhelmine Enke, Madame Ritz oder Gräfin Lichtenau, war wohl die wichtigste Frau an der Seite Friedrich Wilhelms II. von Preußen (1744-1797). Sie war Vertraute, Begleiterin und Beraterin des Königs und gilt als wichtige Mäzenin im frühklassizistischen Preußen.
Eine besondere Beziehung hatte Wilhelmine zu Italien. Auf einer „Grand Tour“, einer Bildungs- und Kulturreise, die ursprünglich eher für den männlichen Nachwuchs des europäischen Adels vorgesehen war, bereiste sie Rom, Florenz und Neapel, besuchte die Uffizien und erwarb, ausgestattet mit einem fürstlichen Budget, Kunst und Einrichtungsgegenstände für den preußischen Hof. Wilhelmine holte somit – ganz im Zeichen des aktuellen Themenjahres – ein Stück Italien nach Potsdam.

1776 porträtierte Anna Dorothea von Therbusch Wilhelmine Enke, 1773 Kronprinz Friedrich Wilhelm.

Wilhelmine Gräfin von Lichtenau kommt am 29. Dezember 1753 als Wilhelmine Enke zur Welt. Im Alter von 13 Jahren wird sie von Kronprinz Friedrich Wilhelm, dem späteren Friedrich Wilhelm II., an den preußischen Hof geholt. Für Wilhelmine beginnt damit ein Leben, das geprägt ist von Höhen und Tiefen, von Rückschlägen und Erfolgserlebnissen.
Friedrich Wilhelm fördert Wilhelmine bereits in jungen Jahren und tritt dabei auch selbst als Lehrer in Erscheinung. Sie erhält eine langjährige und umfassende Bildung auf den Gebieten der Kunst, Kultur, Geschichte und Literatur.
Mit 15 Jahren, dem legalen Heiratsalter im Preußen des 18. Jahrhunderts, wird sie die Geliebte des Kronprinzen, mit 25 Jahren erkennt Friedrich der Große sie als Mätresse seines Nachfolgers an. Nach der Geburt der gemeinsamen Kinder wird die Bindung zwischen Wilhelmine und Friedrich Wilhelm enger, allerdings ergeben sich durch die Hinwendung des Königs an mystische Ideen neue Problemlagen: Um seinen von den Rosenkreuzern geformten moralisch-religiösen Vorstellungen gerecht zu werden, verheiratet Friedrich Wilhelm sie 1782 mit Johann Ritz, dem Sohn des preußischen Hofgärtners.
Als verheiratete Frau muss ‚Madame Ritz‘ sich den Zugang zu dem seit 1786 als Friedrich Wilhelm II. von Preußen regierenden König mit neuen Mitteln erkämpfen.

Elegische Stimmung am Heiligen See neben dem Marmorpalais: Die Gedenkurne für Alexander von der Mark, Sohn von Wilhelmine und Friedrich Wilhelm. Foto: Hans Bach

Nach dem Tod des gemeinsamen Sohnes Alexander von der Mark erkannte Wilhelmine die wachsende Einflussnahme der Rosenkreuzer auf die Gedankenwelt des Königs. Um ihren Einfluss zu behaupten, inszenierte Wilhelmine sich als Medium, das Kontakt mit dem verstorbenen Sohn herstellen konnte und erfand imaginäre Freunde, deren Ratschläge nur sie in der Lage war, an den König weiterzugeben.
Auch ihre einjährige Reise nach Italien, die sie 1795 antritt und die noch von Wichtigkeit sein wird, begründete Wilhelmine mit den erfundenen Freunden, die ihr zu eben dieser Reise rieten. Friedrich Wilhelm II. vertraute Wilhelmine in immer größerem Maße und machte ihr immer wieder das Angebot, sie zur Gräfin zu erheben. Auch mit dem Hintergedanken, die gemeinsame Tochter Marianne mit dem Sohn des englischen Adeligen Lord Bristol zu verheiraten, willigte Wilhelmine ein und wurde 1796 zur Gräfin von Lichtenau erhoben.
Während der langen Beziehung der beiden entwickelt sich Wilhelmine zu einer, wenn nicht der, Konstanten an Friedrich Wilhelms Seite. Auch nach dem Ende ihrer Liebesbeziehung bleibt sie Ansprechpartnerin, Freundin und Beraterin des Königs, insbesondere im Bereich von Kunst und Stilempfinden. Wilhelmines Aufstieg von der Bürgerlichen zur Gräfin sowie ihre Fähigkeit, dem König stets mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, zeigen deutlich, dass es sich bei ihr um eine außergewöhnliche und selbstbewusste Frau gehandelt haben muss, deren Einfluss auch heute noch sichtbar ist.

Begleitet von zwei Fremdenführern besucht Wilhelmine 1796 die Neptungrotte bei Tivoli. Ein Gemälde dazu gibt sie im selben Jahr bei dem von ihr protegierten Maler Peter Gottlieb Müller in Auftrag.

Nach einem Aufenthalt im Fürstentum Anhalt-Dessau im Jahr 1783 berichtete Wilhelmine begeistert von Schloss Wörlitz, das als erster klassizistischer Schlossbau auf dem europäischen Festland gilt. Hier kam sie in Kontakt mit der neuen Architektursprache Friedrich Wilhelms von Erdmannsdorff und dem Konzept des Landschaftsgartens, einer neuen Art der Gartengestaltung, die im 18. Jahrhundert in England populär wurde und dann auch in Europa immer mehr Anhänger fand. Sie sammelte Inspirationen und Eindrücke, die sie nachdrücklich prägten und auf die sie später zurückgreifen sollte.
Ihr Wissen und ihre Fachkenntnis im Bereich von Kunst, Architektur und Innengestaltung vertiefte Wilhelmine auf ihrer „Grand Tour“ durch Italien, wo sie zahlreiche italienische Seidenstoffe, Tapeten und Gemälde erwarb. Doch Wilhelmines kultureller Anspruch ging darüber hinaus: Sie besuchte Theater- und Opernaufführungen und begab sich in die italienische Landschaft, die sie in vollen Zügen genoss und einen nachhaltigen Eindruck bei ihr hinterließ.
Das gilt wohl auch für das hier abgebildete Gemälde „Neptungrotte bei Tivoli“ von Peter Gottlieb Müller, auf dem vermutlich Wilhelmine selbst im linken Bildvordergrund mit zwei Fremdenführern bzw. Cicerones vor beeindruckender Kulisse zu sehen ist. In ihren Briefen an Friedrich Wilhelm II. berichtete sie über diese Erlebnisse und versuchte dabei gleichzeitig, eine historische und kulturelle Verortung ihrer Eindrücke vorzunehmen. Sie besichtigte auch die antiken Ausgrabungsstätten in Rom und Herculaneum und machte dabei Bekanntschaft mit dem Archäologen und Altertumsforscher Aloys Hirt, Künstlern und Künstlerinnen wie Angelika Kauffmann und Philipp Hackert, Lord und Lady Hamilton sowie weiteren Vertretern der englischen Aristokratie.

Bei Angelika Kauffmann bestellte Wilhelmine 1796 das Bild „Christus und die Samariterin am Brunnen“

1796 gab Wilhelmine das Gemälde „Christus und die Samariterin am Brunnen“ über das Gleichnis vom Wasser des Lebens bei Angelika Kauffmann in Auftrag. Die Landschaft im Hintergrund ähnelt der römischen Campagna in Latium; bei dem markant aufragenden Berg handelt es sich wohl um den Monte Soratte, der auch von Horaz und Vergil beschrieben wird. Mit der Auswahl der Landschaft sowie der Verbindung zur Antike beweist Wilhelmine, dass sie bei Fragen von Kunst, Geschmack und Bildmotiven auf der Höhe der Zeit ist. Auch mit diesem Werk, das sich heute im Marmorpalais befindet, bringt sie ein Stück Italien nach Potsdam.

 

Ein dreiteiliger Blog-Beitrag von Julian Wacker (Teil II, Teil III)

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