Am Nachmittag des 27. Januar 1859 wurde im Berliner Kronprinzenpalais Unter den Linden der spätere Kaiser Wilhelm II. geboren. Der Thronerbe löste in der Berliner Bevölkerung Jubel und Begeisterung aus, doch war es eine schwierige Geburt. Schlossbereichsleiter Jörg Kirschstein berichtet, was geschah.
Am Nachmittag des 27. Januar 1859 wurde im Berliner Kronprinzenpalais Unter den Linden der spätere Kaiser Wilhelm II. geboren. Erst im Jahr zuvor hatten sich die Eltern des Neugeborenen, Prinzessin Victoria von Großbritannien und Prinz Friedrich Wilhelm von Preußen (der spätere Kaiser Friedrich III.), in London vermählt.
Die Geburt eines Thronerben der Hohenzollerndynastie hatte sowohl an den Königshöfen Europas als auch bei der Berliner Bevölkerung Begeisterung ausgelöst. Bereits eine Stunde nach der Geburt hatte die stolze Großmutter Prinzessin Augusta an Queen Victoria nach England geschrieben: „Das Volk versammelt sich vor dem Palais und alles jubelt“.
Die Zeitungen berichteten, wie Arbeiter und die Bevölkerung der umliegenden Dörfer zum Kronprinzenpalais eilten, um die von den Ärzten unterzeichneten Bulletins zu lesen. Als die abgefeuerten 101 Kanonenschüsse die Geburt eines Prinzen verkündeten – bei einer Prinzessin wären es nur 25 gewesen – wurde der Jubel beim 26. Schuss besonders lebhaft.
Die Presse berichtete indessen nichts über den dramatischen Ablauf der Geburt, bei dem der sehnlich erwartete Thronerbe beinahe gestorben wäre. Bei der Prinzessin hatten in der Nacht auf den 27. Januar die Wehen eingesetzt. Der Leibarzt des Prinzenpaares, Dr. August Wegner, stellte bei der Untersuchung der Gebärenden zufällig fest, dass die Lage des Kindes „nicht die normalmäßigste“ war. Dies teile der Vater des ungeborenen Kindes, der erstaunlicherweise bei der Entbindung anwesend war, später seinen Schwiegereltern nach England mit.
Daraufhin wurde beschlossen, den Direktor der Universitäts-Frauenklinik, Prof. Eduard Arnold Martin, hinzuzuziehen. Dieser stellte eine Steißlage des Kindes fest. Hieraus resultierten auch die starken Schmerzen der jungen Mutter. Ihr Ehemann schilderte eindrucksvoll, „dass es bei jeder Wehe förmlich Kämpfe zwischen mir und ihr gab, so dass ich noch zwei Tage nach der Entbindung meine Arme ganz erlahmt fühle.“
Zur Schmerzunterdrückung verordnete Dr. Martin „mäßige Chloroform-Inhalationen.“ In einer durch Chloroform herbeigeführten Vollnarkose wurde die Prinzessin schließlich von ihrem Kind entbunden. Nach dem Austritt des kindlichen Steißes fühlte Dr. Martin an der Nabelschnur nur noch unregelmäßigen Puls, so dass er sich vermutlich zu einer Extraktion entschloss, dabei war es zum Hochschlagen der Arme gekommen. Das Kind wurde offenbar für tot gehalten, bis die Hebamme Stahl es mit verschiedenen Maßnahmen bearbeitete, so dass das Neugeborene Lebenszeichen von sich gab.
Erst am 2. oder 3. Tag nach der Geburt war beim Baden des Kindes aufgefallen, dass der linke Arm „hilflos herunter hing“. Zunächst hatte man die Geburtshilfe von Dr. Martin gelobt, als sich aber ein Geburtsschaden beim Prinzen herausstellte, wurde insbesondere von Seiten der Mutter zunehmend Vorwürfe gegen den Arzt erhoben. Victoria empfand es als persönliches Versagen, keinen gesunden Thronfolger geboren zu haben. In den folgenden Monaten und Jahren wurden verschiedene Methoden angewandt, um die Entwicklung des gelähmten Armes zu fördern, die jedoch alle scheiterten. Wilhelm II. war durch die Lähmung kaum in der Lage, seinen linken verkürzten Arm zu benutzen. Dennoch lernte er durch strenge Erziehung mit diesem „Makel“ geschickt umzugehen.
Nach dreißigjähriger Regentschaft wurde Wilhelm II. nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg im November 1918 gestürzt. Die Ausstellung „Kaiserdämmerung“ im Neuen Palais von Sanssouci wird sich ab dem 16. Juni 2018 mit dieser politischen Zeitenwende beschäftigen. Dann ist es ein Jahrhundert her, dass dem Neuen Palais, dem ehemaligen Wohnsitz Wilhelms II., eine wichtige Rolle als Hauptschauplatz des Übergangs von der Monarchie zur Republik zukam.
0 Kommentare