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Ein anderer Blick: Schüler führen Schüler im Schloss Charlottenburg

11. Januar 2017 Von Anja Fielauf

Seit zwei Jahren kooperiert die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) mit der Schule am Schloss in Berlin-Charlottenburg, um Schülerinnen und Schülern einen anderen Zugang zum Schloss Charlottenburg zu ermöglichen. Mit dem Ende des Schuljahres 2015/16 wurde der zweite Durchgang erfolgreich abgeschlossen, der dritte startet in Kürze.

Ein Beitrag von Anja Fielauf, Schlossassistentin Charlottenburg und Projektkoordinatorin

Die wichtigsten Akteure in diesem Kooperationsprojekt sind ausnahmsweise einmal nicht die Erwachsenen: Im Mittelpunkt stehen jeweils die Schülerinnen und Schüler einer neunten Klasse der Schule am Schloss. Ab dem Frühjahr nutzen sie ihren wöchentlichen Projekttag im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, um sich mit der Geschichte des Schlosses zu beschäftigen, das ihrem Stadtteil den Namen gegeben hat. Ihr neu erworbenes Wissen geben sie an fünfte Klassen umliegender Grundschulen weiter, die sie jeweils in den letzten Wochen des Schuljahres zu einer Führung im Neuen Flügel des Schlosses Charlottenburg und einem anschließenden Workshop in der Schule am Schloss einladen.

Die Aufgaben, die dabei zu bewältigen sind, wären auch für jeden Erwachsenen eine echte Herausforderung: Informationen recherchieren und für die Vermittlung aufbereiten, sich Methoden und Herangehensweisen überlegen, vor einer Gruppe referieren und das gemeinsame Gespräch moderieren, die kreative Arbeit der Jüngeren anleiten, Materialien und Pausensnacks organisieren, über das Projekt und die Ergebnisse berichten. All dies geschieht in Arbeitsteilung, unter Anleitung einer erfahrenen Museumspädagogin und mit Unterstützung von Lehrpersonal der Schule am Schloss. Es erfüllt die Zielstellung der Schule, die Stärken ihrer Schüler und Schülerinnen zu fördern und sie Verantwortung übernehmen zu lassen.

Die Inhalte der Führung im Neuen Flügel beschränken sich dabei nicht auf die Vermittlung historischer Daten und Namen: Fragend und spielerisch werden die Eindrücke und Ideen der Fünftklässler einbezogen. So fällt der Blick etwa bei der großformatigen Darstellung einer Parade Unter den Linden von Franz Krüger eben nicht zuerst auf die Gebäude oder die große Menschengruppe auf der Straße, sondern auf einen dunkelhäutigen Diener, der vorn aus dem Bild zu laufen scheint.

Dem mit seiner Braut porträtierten Markgraf Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Schwedt wird das Attribut „selbstverliebt“ zugeordnet. Seine Schwägerin Philippine Charlotte an der Wand gegenüber wirkt dagegen „herzlich“ auf die Kinder, weil sie ihre Hand zum Herzen geführt hat.

Selbst die Jungen lassen ihren Taillenumfang messen, nachdem sie gehört haben, wie eng die Damen damals geschnürt wurden.

Die Darstellungen der vier Elemente in der Stuckdekoration der Goldenen Galerie entschlüsseln die Kinder mühelos, weil sie die einzelnen Gegenstände erkennen und sogar Dreizack und Zweizack zuordnen können. Hier, in dem wohl prächtigsten Raum des Schlosses, finden sie die typische Ornamentik des Rokoko wieder, die sie bereits in der Versilberten Kammer studiert haben. 

Beim Workshop in der Schule am Schloss werden sie später aus Knetmasse einen Buchstaben in Rokokoformen nachbilden und vergolden.

Die spielerischen Methoden kommen gut an – bei den Grundschülern ebenso wie bei ihren Lehrern. Gemeinsam Motive zu suchen und Bedeutungen zu erraten oder „Ich sehe was, was Du nicht siehst“ vor einem Bild zu spielen, ist eben etwas anderes als der normale Unterricht in der Schule. Besonders beeindruckend finden die Kinder die ungewöhnlichen Materialen, die sie im Schloss sehen: das viele Gold und Silber, die wertvollen Ausstattungsstücke, die Seidenstoffe auf Möbeln und Wänden. Letztere können sie mit Hilfe von Stoffproben sogar haptisch erkunden, was jedes Mal sichtlich Wirkung zeigt.

Von der Leistung der nur wenige Jahre älteren Guides sind die Kinder beeindruckt: nicht jeder würde sich diese Tätigkeit zutrauen.

Das Projekt ist ein voller Erfolg – auch für unsere Stiftung. Die Kooperation mit der Schule am Schloss ergänzt, ebenso wie die schon seit mehreren Jahren laufende Kooperation mit der Jugendkunstschule Charlottenburg-Wilmersdorf, die Kulturelle Bildung am Standort Schloss Charlottenburg. Während der Schwerpunkt der Jugendkunstschule auf der künstlerisch-kreativen Arbeit liegt, steht bei dem neueren Projekt „Schüler führen Schüler…“ eher die Geschichtsvermittlung im Vordergrund. Beide Kooperationen unterstützen uns bei einem wichtigen Ziel: Jedes Kind, das in der Umgebung des Schlosses Charlottenburg aufwächst, sollte einmal hier gewesen sein!

Weil Erfolg mutig macht, führen wir das Projekt weiter: Die erfahrenen Schülerinnen und Schüler des letzten Durchgangs laden jeweils zu Familienführungen im Neuen Flügel ein! Familien und Kinder im Alter von 8 bis 12 Jahren können das Schloss erkunden und sich Geschichte und Geschichten von den jugendlichen Guides erzählen lassen – aber auch fragen, beobachten und selbst aktiv sein.

Wir freuen uns, wenn Sie dabei sind!


Zum Weiterlesen:

Zwei Schüler-Guides des Schuljahrs 2015/16 berichten, wie sie das Projekt erlebt haben und welcher Raum im Schloss ihnen besonders gefallen hat. – Lesen Sie ihren Erfahrungsbericht in unserem Magazin sans,souci. Ausgabe 4.2016 (PDF, 4 MB) auf Seite 13.

Fotos: Christiane Schrübbers

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