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Eine „galante Szene“ von Antoine Pesne

29. Mai 2016 Von Franziska Windt

Vor 333 Jahren, am 29. Mai 1683, wurde der Maler Antoine Pesne in Paris geboren. Fast alle Schlösser der Stiftung bewahren Arbeiten des einstigen preußischen Hofmalers; die Gemäldesammlung der SPSG umfasst rund 200 seiner Werke. Sammlungskustodin Dr. Franziska Windt über ein besonderes Kleinod.

Dr. Franziska Windt ist Kustodin der Gemäldesammlung der SPSG 

Wir wissen nicht genau, wann und für wen Antoine Pesne, der am 29. Mai 1683 – vor 333 Jahren also – in Paris geboren wurde, dieses kleine erotische Bild gemalt hat. Allein dass er es malte, ist sicher. Dies lässt sich an der typischen Malweise mit locker gesetzten Lichtern erkennen und daran, wie die Figuren gestaltet sind. Dagegen ist das Thema in seiner drastischen Darstellung, soweit heute bekannt ist, einzigartig in seinem Werk.

Pesne, der schon 1711 als Hofmaler König Friedrichs I. nach Berlin kam, war bei diesem und unter seinem Sohn, Friedrich Wilhelm I., vor allem wegen der Porträts beliebt, die er von der königlichen Familie und anderen Personen am Hof anfertigte. Kronprinz Friedrich (II.) aber wünschte sich auch andere Sujets von Pesne: 1737 forderte er ihn in einem Gedicht auf, statt Heiliger lieber Nymphen und halbnackte Grazien zu malen. Friedrich erinnerte Pesne, dass seine charmante Kunst ihre Daseinsberechtigung allein der Liebe verdanke.

Pesne malte fortan denn auch mythologische Themen, die durchaus erotischen Charakter haben konnten. So lieferte er 1747 für König Friedrichs Konzertzimmer im Schloss Sanssouci Verwandlungsthemen nach Ovids „Metamorphosen“, wie diese „Diana im Bade“:

Dort sind zahlreiche „halbnackte Grazien“ dargestellt. Allerdings haben diese Gemälde alle die Abwehr erotischer Annäherungsversuche oder die Verteidigung der Keuschheit zum Thema.

Für das Palais von Friedrichs Bruder, Prinz August Wilhelm – heute bekannt als Kronprinzenpalais Unter den Linden in Berlin – malte Pesne eine Badeszene, die ebenfalls freizügig erscheint: Eine Gruppe von erkennbar zeitgenössischen Frauen hat sich am Ufer eines Gewässers versammelt, um zu baden. Die nackt badenden oder auch halb- und vollständig bekleideten Frauen sind eingebettet in die in idyllisches Abendlicht getauchte Landschaft. Die Natürlichkeit dieser Szene (zu besichtigen ist sie im Neuen Flügel von Schloss Charlottenburg, Obergeschoss, Zweite Wohnung Friedrichs des Großen) vermeidet alle Anzüglichkeit:

Doch zurück zu unserem ersten Bild, das ebenfalls im Neuen Flügel des Schlosses Charlottenburg (Obergeschoss, Erste Wohnung Friedrichs des Großen) hängt.

Das Ungewöhnliche der kleinen „Galanten Szene“ ist ihre auf erotische Wirkung zielende Direktheit. Einerseits schildert Pesne mit einer nackt auf einem Bett liegenden Frau und einem jungen bekleideten Mann, der sie an der Brust berührt, eine sehr intime Situation. Die Intimität wird gesteigert durch die Darstellung des Spiegels direkt neben dem Bett. Andererseits wird sie aufgehoben durch den zurückgeschlagenen Vorhang vor dem Bett und den zweiten Spiegel im Hintergrund.

Der neben dem Bett aufgestellte Spiegel ermöglicht es dem Maler, den schönen weiblichen Körper sowohl von vorn als auch von hinten zu zeigen. Außerdem erlaubt der Spiegel ihm, mit dem Gestus des Mannes zu spielen.
Bei den bekannten früheren Darstellungen liegender nackter Frauen, meist als „Venus“ betitelt, wie etwa die „schlummernde Venus“ von Giorgione in der Dresdner Gemäldegalerie Alte Meister (um 1508/10) oder die „Venus mit dem Spiegel“ von Diego Velázquez in der Londoner National Gallery (1650), hatten sich die Maler für eine Ansicht entscheiden müssen. Wie in Velázquez’ Gemälde wurde der Spiegel eingesetzt, um das Gesicht der Frau zu reflektieren.

Der andere Spiegel in Pesnes Bild zeigt die schemenhaften Umrisse eines Mannes, der die Szene betrachtet. Durch die Präsenz eines Betrachters wird die intime Zweisamkeit der beiden Hauptpersonen aufgehoben. Es scheint, als würden die Vorzüge der Frau diesem Dritten präsentiert. Die schemenhafte Reflexion des Betrachters ist so platziert, dass sie einen im Bild Anwesenden zeigen könnte – oder aber den Betrachter des Gemäldes, der sich hier spiegelt. Die Szene verliert so ihre erotische „Unschuld“ und der Betrachter wird zum Voyeur.

Es wäre interessant zu wissen, wo dieses Bild aufgehängt war, ob es für den König oder seine Familie entstanden ist. Einen Hinweis darauf gibt Ernst Samuel Jacob Borchward in der Beschreibung seiner Reise 1749 nach Potsdam: Im Potsdamer Stadtschloss sah er in einem kleinen Raum – offenbar in der Wohnung Friedrichs II. – „ein trefflich Gemählde aus der Ecole des Filles [,] welches aber züchtige Augen starck beleidigte“ (Quelle). Borchward meinte in dem Gemälde also eine Illustration des erstmals 1655 in Paris erschienenen aufklärerisch-erotischen Buchs „Die Mädchenschule oder die Philosophie der Damen“ („L’Escole des Filles ou la Philosophie des Dames“) zu erkennen. Dort ermuntert eine junge Frau ihre Cousine, erste sexuelle Erfahrungen zu machen und davon zu berichten.

Es könnte sich durchaus um unser kleines Bild gehandelt haben, denn auch ein anderer Besucher, Julius August Friedrich Freiherr von der Horst, berichtet 1789, er habe im Jahre 1747 in dem gleichen Raum „ein kleines Gemälde von Vatteau [gesehen], das stärkste in der Art das ich jemals gesehen habe. Es war eine ausgestreckt liegende völlig nackte Weibsperson, der sich ein nackter Jüngling näherte; das Bild war vorzüglich schön.“  
Eine Verwechslung von Watteau und Pesne wäre verständlich, denn Pesne orientierte sich in der Art der Malerei, besonders aber mit dem Sujet, stark an Antoine Watteau. Dessen Gemälde „Das Heilmittel“, heute in der Stiftung Norton Simon in Pasadena (USA), zeigt eine Frau in ähnlicher Stellung auf dem Bett liegend. Allerdings ist sie allein.

Der Vergleich zeigt, dass Pesnes Gemälde einen deutlich erotischeren Charakter hat. In dieser Deutlichkeit finden sich solche Darstellungen meist nur in der Graphik. Es scheint also, als sei Pesne der Aufforderung des Kronprinzen Friedrich (II.) gefolgt – und sei dabei sogar noch weiter gegangen, als in dessen Gedicht beschrieben.


Die Gemäldesammlung der SPSG umfasst rund 200 Werke Antoine Pesnes. Fast alle Schlösser der Stiftung bewahren Arbeiten des einstigen preußischen Hofmalers.




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