„Sei Solo“Johann Sebastian Bachs Sonaten und Partiten für Violine solo
Die historische Aufführungspraxis hatte sich ja zum Ziel gesetzt, Musik so zu interpretieren, dass sie möglichst so klingt wie zur Zeit ihrer Entstehung. Dafür wurden die Beschaffenheit der Instrumente, ihre Spieltechnik und nahezu alle Aspekte der Interpretation in Frage gestellt und neu diskutiert. Inzwischen ist das Musizieren nach den Vorgaben der historischen Aufführungspraxis fest etabliert, namentlich für Musik des 17. und 18. Jahrhunderts, auch die Hörerwartung hat sich entsprechend gewandelt.
Bei Interpretationen der Solo-Sonaten für Violine von J. S. Bach allerdings sind diese Vorgaben und Erkenntnisse bisher in vieler Hinsicht nicht zum Tragen gekommen. Das mag an der mangelnden Bereitschaft liegen, die in diesem Fall besonders intensiv empfundenen traditionellen Hörgewohnheiten zu enttäuschen, an dem geradezu sakralen Stellenwert besonders einzelner Sätze, oder auch an dem violintechnischen Aufwand, der einer Neuorientierung im Wege steht.
Nehmen wir als Beispiel den vielleicht prominentesten Satz der Sammlung, die berühmte Chaconne aus der d-moll-Partita. Auch Interpreten mit historisch informierter Herangehensweise machen gemeinhin aus diesem Stück ein Largo. Dadurch wird zwar noch 32teln zu unbeabsichtigter Individualität verholfen, metrische Muster, wie sie für einen Dreiertakt und namentlich für eine Chaconne typisch und charakteristisch sind, gehen dagegen verloren. Man nimmt das in Kauf, weil es sich ja um die Chaconne handelt, deren Interpretations-Tradition offenbar ungebrochen weiterhin als gültig erachtet wird, obwohl keinerlei Grund zur Annahme besteht, Bach könnte in diesem besonderen Fall mit "Ciaccona" etwas anderes gemeint haben als was bei ihm selbst und seinem Umfeld sonst üblich war.
Ziel ist also, "die" Chaconne als "eine" Chaconne zu Gehör zu bringen, es zu wagen, auch in diesem so bekannten Werkzyklus Interpretationskriterien umzusetzen, die man heute jeder Triosonate von Händel doch auch zu Grunde legt. Dadurch entsteht eine Transparenz und Übersichtlichkeit, die dem Hörer die Orientierung in diesem bisweilen schwierigen Gelände sehr erleichtert. Der Verzicht auf Pathos fördert dann Dramatik und Brisanz zutage, gefährliche Herausforderungen für Spieler und Hörer.
Christoph Timpe
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