Der Zweck dieses Textes ist es, die Arbeit des Kurator:innenteam der Ausstellung „Schlösser. Preußen. Kolonial. Biografien und Sammlungen im Fokus“ sowie Inhalte der Ausstellung selbst in den Kontext der Dekolonisierung der deutschen Geschichte, der Museen und des Kulturerbes einzuordnen. Das Kurator:innenteam, bestehend aus Carolin Alff, Hatem Hegab und Susanne Evers, setzte sich zunächst am 4. März 2022 zusammen, um Fragen und Themen im Zusammenhang mit der Positionierung, der Intention und dem Ziel der Kuration dieser Ausstellung zu diskutieren. Die Diskussion war gewinnbringend, doch wir waren uns darüber im Klaren, dass Antworten auf die hier gestellten Fragen vorläufig sind und regelmäßig überprüft und überarbeitet werden müssen. Im Folgenden beziehen wir uns auf unsere Diskussionen vom 4. März 2022 und 18. Jan 2023, sowie auf zahlreiche informelle Gespräche dazwischen, die notwendig waren, um den kuratorischen Prozess hinreichend zu gestalten. Dieser betraf vor allem die Herstellung von Transparenz für die Gestaltung der Ausstellung und die kontinuierliche Überprüfung und Anpassung der Fragestellungen im Hinblick auf den weiteren Prozess.
Prämissen
Bisher wurden die im Schloss Charlottenburg und in weiteren Schlössern ausgestellten Objekte meistens losgelöst von der deutschen Kolonialgeschichte behandelt. Die Kurator:innen des Ausstellungsprojekts nahmen einige ausgewählte Objekte, die geeignet schienen, um die koloniale Vergangenheit der Schlösser und der Sammlungen zu beleuchten, als Ausgangspunkt. Das Interesse, eine solche Ausstellung zu kuratieren, wird von einer Reihe von Mitarbeitenden der SPSG unterstützt, darunter der Generaldirektor, Prof. Dr. Christoph Martin Vogtherr, und der Direktor der Schlösser und Sammlungen, Dr. Samuel Wittwer. Darüber hinaus unterstützen zahlreiche Kolleg:innen organisatorisch und inhaltlich das Projekt in den jeweiligen Arbeitsbereichen. Die Ausstellung trug zunächst den Arbeitstitel "Koloniale Kontexte" und erhielt im Oktober 2022 einen neuen Titel: „Schlösser. Preußen. Kolonial. Biografien und Sammlungen im Fokus“. Bezüglich der Schlösser und deren Sammlungen stellte die Gruppe u.a. folgende Fragen: Was und wie erzählen die Schlösser in ihrer heutigen Gestalt von der kolonialen Vergangenheit Deutschlands, Preußens und Brandenburgs? Nach welchen kolonialen Praktiken handelten Monarchie und Hofgesellschaft oder welche wurden von ihnen ermöglicht und wie hängen diese mit den in den preußischen Schlössern befindlichen Objekten zusammen? Welche alternativen Erzählungen - solche, die verschwiegen, ausgelöscht, vergessen oder noch nicht erzählt wurden - können aus den Narrativen und Geschichtsbildern, die uns heute vorliegen, herausgearbeitet werden? Im Rahmen des weiteren kuratorischen Prozesses konkretisierten sich folgende Fragen: Was können uns die Biografien von verschleppten Menschen am Hof, die bisher noch nicht im Fokus der Betrachtenden standen, von der preußischen Kolonialgeschichte erzählen? Welche Sammlungsgegenstände zeugen von kolonialen Praktiken und welche außereuropäischen Objekte wurden entgegen ihrem ursprünglichen Nutzen zweckentfremdet und somit kulturell umgedeutet? Wie können anhand der Gegenstände in den Sammlungen koloniale Kontinuitäten sichtbar gemacht werden? Aus welcher Perspektive können wir diese Geschichten neu erzählen? Welche Informationslücken können durch fehlende historische Zeugnisse nicht gefüllt werden?
Ziel
Um die Kolonialgeschichte der preußischen Schlösser und ihrer Bewohner aufzuarbeiten, führen wir mit der Ausstellung eine für uns neue methodische Vorgehensweise ein. Objekte der Schlösser und Gärten werden dabei hinsichtlich ihrer kolonialen Zusammenhänge beleuchtet, um einen Rahmen für zukünftige Präsentation dieser Kunstwerke und Themen zu schaffen. Das Kurator:innenteam ist sich der Neuartigkeit dieses Ansatzes für die SPSG und des möglichen Widerstands bewusst, der sich aus solchen neuen Betrachtungsweisen und den damit verbundenen Veränderungsprozessen ergeben kann. Das Kurator:innenteam hat auf zahlreichen Ebenen organisatorische und inhaltliche Unterstützung erfahren und Zuspruch für den angestoßenen Prozess erfahren. Widerstand gab es punktuell in Form von wiederholtem Infragestellen unseres wissenschaftlichen Ansatzes und der Sinnhaftigkeit des Vorhabens allgemein.
Das Ziel dieser Ausstellung ist vielschichtig und betrifft vor allem drei Ebenen: die persönliche, die gesellschaftliche und die institutionelle Befindlichkeit. Auf der persönlichen Ebene hoffen die Kurator:innen, in der breiten Öffentlichkeit sowie bei den Mitarbeitenden der SPSG ein Verständnis für die koloniale Vergangenheit Deutschlands zu erzeugen und wie diese in die Gegenwart hineinreicht. Im Rahmen der Ausstellungsplanung wurde kontinuierlich innerhalb der SPSG für einen Prozess der Teilhabe, für eine diskriminierungskritische Verwendung der Sprache und für die Weiterbildung der Mitarbeitenden geworben. Wir sehen heute (Stand Januar 2023), dass zunächst ein Prozess der Sensibilisierung in der Institution angestoßen wurde und dass diese Anfänge sich vor, während und nach der Ausstellung weiterentwickeln müssen. Auf der institutionellen Ebene hoffen wir, einen Beitrag zu einem methodischen Rahmen für die SPSG zu leisten, der es ermöglicht, die preußische höfische Vergangenheit als Teil der deutschen Kolonialgeschichte neu zu denken und der zeigt, wie diese Geschichte heute vermittelt werden kann evt. sogar muss. Der später beschriebene Teilhabeprozess ist für die Umsetzung dieses Ziels im besonderen Maße wertvoll und nutzbringend. Weiterhin werden für das Ausstellungsprojekt künstlerische Interventionen geplant, deren Signifikanz während der Ausstellungszeit überprüft werden soll. Daneben können durch das Projekt Ressourcen und zeitliche Kapazitäten in die Forschung gesetzt werden, wodurch einige historische Lücken bereits gefüllt werden konnten. Auf der gesellschaftlichen Ebene war es dem Kurator:innenteam ein besonderes Anliegen, die Zivilgesellschaft aktiv einzubinden und Transparenz zum Umgang mit der kolonialen Geschichte in den Schlössern und Gärten der SPSG zu schaffen, wie weiter unten näher beschrieben wird.
Standpunkt
Während des Treffens des Kurator:innenteams am 4. März teilten Alff, Hegab und Evers ihre persönliche Motivation, Absicht und Position bezüglich der Kuration der Ausstellung mit. Wir haben diese Punkte später am 18. Januar wie folgt ergänzt:
- Es ist das Hauptziel der Kuration der Ausstellung, die Komplexität der kolonialen Geschichte in den preußischen Schlössern und Gärten aufzuzeigen. Es werden Verbindungen zwischen der höfischen Gesellschaft, dem Kolonialismus, seiner Vorgeschichte und Kontinuitäten aufgezeigt und einer breiten Öffentlichkeit vermittelt.
- Auch wenn die drei Kurator:innen in den wesentlichen Fragen die gleichen Standpunkte vertreten, möchten Sie festhalten, dass sie unterschiedliche „social backgrounds“, Migrations- und Lebenserfahrungen, Sprachkenntnisse und soziale Identitäten haben. Dies beeinflusst ihre Erfahrungen und Meinungen, und sie erkennen das Privileg an, das mit diesen kulturellen, sozialen und persönlichen Erfahrungen einhergeht. Darüber hinaus akzeptieren sie, dass dies im Rahmen der Kuration der Ausstellung berücksichtigt werden muss. Die drei Kurator:innen verfügen über unterschiedliche Fachkenntnisse in den Bereichen Kunstgeschichte, Geschichte und Politikwissenschaft und werden je nach ihren Fähigkeiten mit Aufgaben betraut, die im Zusammenhang mit der Organisation, der Theoriebildung und der inhaltlichen Aufbereitung stehen.
Die drei Kurator:innen werden Entscheidungen, die die Ausstellung betreffen, gemeinsam treffen. Ausgehend von diesen Positionen haben wir auch die Verantwortung im Rahmen der Kuration entsprechend aufgeteilt:
- Carolin Alff: 40% Organisation, 40% inhaltliches Kuratieren, 20% interne Kommunikation
- Hatem Hegab: 20% Organisation, 80% inhaltliches Kuratieren
- Susanne Evers: 50% Organisation, 20% inhaltliches Kuratieren, 30% interne Kommunikation
Prozess
Den drei Kurator:innen der Ausstellung steht eine Arbeitsgruppe zur Seite, die sich aus Mitarbeitenden der Abteilungen Schlösser und Sammlungen, Restaurierung, Schlossmanagement sowie Bildung und Teilhabe zusammensetzt.
Das Kurator:innenteam hat im März 2022 auf der Basis eines Auftaktworkshops, der im Februar 2022 stattgefunden hatte, eine Workshopreihe entwickelt, die spezifische Themen der Ausstellung bearbeitete, diskutierte und kritisch hinterfragte. Die Workshops fanden von April bis Juli 2022 statt. Im Anschluss daran hat das Kurator:innenteam anhand der in den Workshops stattgefundenen Diskussionen und Beiträge die einzelnen Räume konzipiert und die Exponate ausgewählt. Die Inhalte wurden nach jedem Workshop monatlich mit den Teilnehmenden geteilt. An diesem kritischen Austausch haben Vertreter:innen von PAWLO-Masoso, Berlin-Brandenburgische Auslandsgesellschaft, Berlin Postkolonial, Korea Verband und korientation und Postcolonial Potsdam teilgenommen. Die Teilnehmenden haben als Expert:innen oder kuratorische Berater:innen den Entstehungsprozess der Ausstellung unterstützt und begleitet. Im September 2022 begann die Entwurfsphase für die Gestaltung der Ausstellung mit dem Büro TheGreenEyl. Im November 2022 fand ein Treffen zur Präsentation des Vorentwurfs statt, bei der außer den genannten Berater:innen auch Vertreter:innen von Dekoloniale. Erinnerungskultur in der Stadt teilnahmen. Mit der Einladung und Beauftragung der kuratorischen Fachberater:innen wurde der Prozess der Ausstellungskonzipierung auf eine breitere Basis mit verschiedenen Perspektiven gestellt und damit demokratisiert.. Der Wissensaustausch, die Beiträge und die Bemühungen der Partner:innen werden in der Ausstellung explizit aufgeführt. Die Partner:innen erhielten für ihre Teilnahme an der Workshop-Reihe einen finanziellen Ausgleich.
Dieser kritische Austausch fließt in die inhaltliche Konzipierung ein und beeinflusst die organisatorischen Entscheidungsfindungen. Das Kurator:innenteam bemüht sich, diese beiden Prozesse so transparent, selbstkritisch und sorgfältig wie möglich zu gestalten. Der Konzeptionsprozess, der den theoretischen Rahmen, die Ausstellungsmethodik, die thematische Erkundung und andere Elemente umfasst, wird in direkter Zusammenarbeit mit den "Expertenpartner:innen" erarbeitet. Er reflektiert ideologische Positionen, aktuelle soziale und politische Diskurse, kunsthistorische und historische Interpretation, Geschichtsverständnis und persönliche Narrative. Das Kurator:innenteam ist sich der Wichtigkeit bewusst, Entscheidungsprozesse und Vorgehensweise im Vorbereiten der Ausstellung zu dokumentieren und zu kommunizieren. Daher sollen Details über diese Prozesse innerhalb des Kurator:innenteams, z. B. wer welche Entscheidungen getroffen hat und ob eine Entscheidung von den fachkundigen Partner:innen im Vorfeld getroffen wurde, vor Beginn der Ausstellung durch dieses Positionspapier dargestellt und publiziert werden. Unsere Partner:innen haben wir zwischen April und August 2022 monatlich über den Fortgang informiert. Auch danach wurde diese Kommunikation punktuell fortgeführt.
Im Rahmen der Gestaltung der Ausstellung wurden zusätzliche Positionen durch künstlerische, dokumentarische, literarische sowie wissenschaftliche Interventionen in die Ausstellung integriert. Außerdem werden zukünftig einige kuratorische Beraterinnen zu den Ausstellungstexten beitragen.
Ausblick Februar bis Juli 2023
Im Januar und Februar arbeitete das kuratorische Team an den Ausstellungstexten und stimmte mit dem Büro TheGreenEyl den Entwurf für die Ausstellungsgestaltung ab. Die Zusammenarbeit mit den kuratorischen Berater:innen und mit den Künstler:innen, die Interventionen beitragen, wurde fortgesetzt. Im kuratorischen Team ergibt sich eine Änderung: nach Abschluss der Texterstellung und der Freigabe der Ausstellungsgestaltung verlässt der Co-Kurator Hatem Hegab das Team. Der Grund hinter seiner Entscheidung ist beruflicher Natur. Er folgt einem Arbeitsangebot, das ihm langfristigere und aussichtsreichere Perspektiven bietet als die SPSG.
Ab März lag der Schwerpunkt der Arbeit auf der praktischen Umsetzung der Ausstellung.
Stand: März 2023