Das Denkmal des reitenden „Großen Kurfürsten“ mit Figuren von vier Sklaven am Sockel thront seit 1951 im Ehrenhof von Schloss Charlottenburg. Viele Jahre existieren nun schon Forderungen der Zivilgesellschaft, die Beteiligung Brandenburgs am Kolonialhandel, initiiert durch den Kurfürsten, an diesem Ort zu thematisieren. Es werden sogar Rufe laut, diese Statuen ganz aus dem Ehrenhof zu entfernen und im Museum zu zeigen. Schloss Charlottenburg und das Denkmal stehen als Ensemble der Nachkriegszeit und des Wiederaufbaus Berlins unter Denkmalschutz. Das Reiterstandbild stellt daher auch einen Geschichtsbezug dar, der über die kolonialen Bestrebungen des Kurfürsten und die Darstellung von versklavten Menschen am Sockel hinaus weitere Themen der deutschen Geschichte berührt. Die Diskussion um das Reiterdenkmal ist vielschichtig.
Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) greift die aktuelle Debatte auf und hat als wichtigen Schritt einen offenen Wettbewerb für eine zeitgenössische Intervention am Reiterdenkmal des „Großen Kurfürsten“ ausgelobt. Die Intervention wird im Rahmen der Sonderausstellung „Schlösser. Preußen. Kolonial. Biografien und Sammlungen im Fokus“ gezeigt, die ab 4. Juli im Schloss Charlottenburg zu sehen ist.
Die Intervention am Reiterstandbild soll auf den historischen Bezug des Denkmals zum Kolonialismus hinweisen und will gleichzeitig eine breitere öffentliche Diskussion anregen. Wie können historische und kunsthistorische Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Kolonialismus an einem Denkmal, bzw. in Auseinandersetzung mit den Sammlungen der SPSG, thematisiert werden und wie können wir darüber ins Gespräch kommen? Diese schwer zu beantwortenden Fragen haben 69 Bewerbungen aus unterschiedlichen Ländern aufgegriffen, u.a. aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Ghana, Großbritannien, Kanada, Österreich und USA. Unter den eingereichten Entwürfen befindet sich eine große Bandbreite an möglichen Interventionen, die den gewohnten Blick auf das Denkmal und die Figuren am Sockel verändern und Raum für neue Interpretationen bieten.
Eine Jury, bestehend aus Ibou Diop, Julia Hagenberg, Natasha A. Kelly, Lerato Shadi und Christoph Martin Vogtherr, hat in einer ersten Phase des Wettbewerbs drei Finalist:innen aus den eingegangen Bewerbungen ausgewählt . Diese drei Ideen wurden in der zweiten Wettbewerbsphase ausgearbeitet und anschließend der Jury präsentiert:
„Ahuntahunta: The Ghosts we left Behind“ wurde von den Künstler:innen Jere Ikongio, Rebecca Pokua Korang und Selou Sowe vorgeschlagen. Sie rufen mittels Augmented Reality (AR; erweiterte Realität) die vier angeketteten Figuren am Sockel als Geister hervor, die sich nun selbstbestimmt über bisher erzählte Biografien von John Canoe, Anton W. Amo und Sista Mimi sowie einem vierten von der Community in Accra und Berlin ernannten Geist erheben können. Die Geister werden vor der ehemaligen Festung Groß Friedrichsburg stehen, während die Besucher:innen sich weiterhin vor Schloss Charlottenburg befinden. In dieser Gegenüberstellung überbrücken die zurückgelassenen Geister Raum und Zeit. Über eine virtuelle Tanzperformance vor der ehemaligen Festung soll zur Solidarität, Freiheit und Widerstand aufgerufen werden. Die Künstler:innen möchten auf diesen Ebenen an der Festung und vor dem Schloss deutsche koloniale Narrative unterwandern.
Musquiqui Chihying und Gregor Kasper zusammen mit Patrick Atakpa Ayele-Yawou sammeln für „Tears // Fruits of Transformation“ Kerne der gelben Mombinpflaume, die auch auf Groß Friedrichsburg wächst und bringen sie nach Charlottenburg. Die Kerne werden in einer zirkulären Installation um das Reiterstandbild gehängt. Dazu erschallen aus Lautsprechern Stimmen, die mit einem traditionellen Lied über die Mombinpflaume das Denkmal umwandern. In dem Lied bitten Kinder den Baum, sie zu nähren. Die Installation weist auf die Kräfte dieses Baumes hin, die eine heilende Wirkung auf durch Gewalt entstandene Wunden haben – so auch durch die deutsche Kolonialgeschichte und den Versklavungshandel Preußens. Nach Ende der Ausstellungszeit sollen die Kerne an Besucher:innen verschenkt werden, um mit Kraft der Mombinpflaume zur Veränderung die notwendigen Prozesse zur Dekolonisierung der Gesellschaft zu unterstützen.
„This is not only hi(s)story. This is our Story” von Nando Nkrumah umringt mit vier hohen Sockeln aus Holz das Reiterstandbild Friedrich Wilhelms und die in Ketten gelegten Figuren. Damit thematisiert die Intervention die Beteiligung Brandenburgs an der Küste Süd-West-Afrikas und verweist auf die Schicksale, der durch Sklaverei getöteten und verschleppten Menschen sowie auf deren Würde. Die Stelen manifestieren die Elemente "Einheit, Wahrheit, Freiheit und Mut", die der Künstler als Grundvoraussetzungen für die Dekonstruktion kolonialer Kontinuitäten und für ein nachhaltiges Empowerment definiert.
Mittels Augmented Reality werden vier Statuen in den Ehrenhof vor dem Schloss Charlottenburg projiziert, die diese Anforderungen allegorisch abbilden. Durch die Ausrichtung der virtuellen Skulpturen auf das Reiterstandbild entsteht ein dynamisches Spannungsfeld zwischen den Figuren und dem umgebenden Stadtraum.
Die neu geschaffenen Kompositionen, sind als eine Einladung zur Neuverhandlung von festverankerten Geschichtsbildern zu verstehen – hin zu einer Debatte über historische Verantwortung und Selbstermächtigung. Die drei Ideen schaffen mit ihren Blicken, Stimmen und Performances diskursive Ebenen, auf denen die koloniale Geschichte und Ikonographie des Denkmals mit dem heutigen Ort und seinen Besucher:innen verbunden werden kann. Für die Ausstellung „Schlösser. Preußen. Kolonial.“ ist diese Intervention leitend, um Gespräche und neue Stimmen auch für Werke aus den historischen Sammlungen der SPSG zu entfachen.
Die SPSG freut sich ankündigen zu dürfen, dass Nando Nkrumah mit seiner Idee „This is not only hi(s)story. This is our Story” den Wettbewerb gewonnen hat.
von Carolin Alff
Dr. Carolin Alff ist Projektleiterin der Ausstellung „Schlösser. Preußen. Kolonial. Biografien und Sammlungen im Fokus“, die sie gemeinsam mit Susanne Evers und Hatem Hegab kuratiert.