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Die Königin der Instrumente im Schloss Charlottenburg

10. September 2021 Von Birgit Morgenroth

Der Berliner Landesmusikrat schwelgt auf seiner Homepage in höchsten Tönen: „Die Orgel gilt als Königin der Instrumente. Sie ist das größte aller Musikinstrumente, das tiefste und höchste, das lauteste und leiseste.“ Orgelmusik und Orgelbau sind seit 2017 durch die UNESCO als Immaterielles Kulturerbe anerkannt und dieses phantastische Instrument wurde 2021 zum „Instrument des Jahres“ gekürt. Der Höhepunkt des Berliner Orgeljahres 2021 ist am Wochenende des 11. & 12. September. 175 Veranstaltungen rund um die Orgel finden an 70 verschiedenen Orten statt, auch in der Schlosskapelle in Charlottenburg, denn dort steht die Rekonstruktion einer Orgel aus dem Jahr 1709. Professor Klaus Eichhorn, und Schlossbereichsleiter Rudolf G. Scharmann haben die Geschichte dieses außergewöhnlichen Instruments erzählt:

1706 erhielt der norddeutsche Orgelbauer Arp Schnitger (1648-1719) den Auftrag zum Bau eines Instruments in der Charlottenburger Schlosskapelle. Die damals noch weit vor den Toren Berlins gelegene Sommerresidenz war 1695 bis 1699 als kleines Lustschloss „Lietzenburg“ errichtet und nach dem frühen Tod der Bauherrin Sophie Charlotte (1668-1705) – der zweiten Gemahlin König Friedrichs I. in Preußen (1657-1713) – in „Charlottenburg“ umbenannt worden. Hier pflegte die geistreiche und hochmusikalische Fürstin engen Kontakt mit Musikern und Gelehrten, darunter dem Universalgenie Gottfried Wilhelm Leibniz. Ihre besondere Vorliebe galt der italienischen Musik.

Mit der Erweiterung des Schlosses, die in den letzten Lebensjahren Sophie Charlottes begann, plante der zuständige Architekt Johann Friedrich Eosander auch eine Kapelle. Die Königin dürfte noch entscheidenden Einfluss auf die Beauftragung Arp Schnitgers genommen haben, selbst wenn der Kontakt zwischen ihm und dem preußischen Hof erst ein Jahr nach ihrem Tod aktenkundig ist. Denn Sophie Charlotte wünschte sich ausdrücklich, dass die Kapelle nicht eher eingeweiht würde, als bis die Orgel fertig wäre. So geschah es dann auch – am 5. Dezember 1706 im Rahmen der mehrwöchigen Feierlichkeiten zur Hochzeit des Kronprinzen und späteren Königs Friedrich Wilhelms I. Der zum preußischen Hoforgelbauer ernannte Schnitger verantwortete die Planung, während die Durchführung wesentlich in den Händen seines Meistergesellen Lambert Daniel Kastens lag.

Der geringe Platz auf der Kapellenempore führte zu einer ungewöhnlichen Anordnung der Teilwerke und zu klanglichen Benachteiligungen: Der dekorativ gestaltete Rückpositiv-Rundprospekt liegt im mittleren Emporenbogen und ragt direkt in den Raum hinein, während Hauptwerk und Pedal auf der engen Empore sehr weit hinten platziert werden mussten und so den Kapellenraum nur indirekt beschallen können. Die Einstimmung des Instruments im tiefen Kammerton lässt sich vielleicht dadurch erklären, dass die Orgel nicht zur Gemeinde-Choralbegleitung und Stadtpfeifer-Praxis mit Instrumenten im hohen Chorton, sondern eher zu kammermusikalischen Zwecken genutzt wurde. Schließlich diente die Kapelle bis zum Ende der Monarchie 1918 nur dem königlichen Hof als Sakralraum für Andachten, Hochzeiten und Einsegnungen.

Der in den 1920er Jahren einsetzenden Orgelbewegung gelang es dann, das zwischenzeitlich völlig vergessene Instrument als eine der wenigen erhaltenen Barockorgeln Berlins wiederzuentdecken. Restaurierungen und Wartung übernahmen die Orgelbau-Firmen Kemper, Lübeck (1931 und 1934) und Schuke, Potsdam (1938). 1943 wurde das Instrument mit Ausnahme des Gehäuses abgebaut und in die Kellergewölbe des Berliner Schlosses ausgelagert, wo es den Bomben des Zweiten Weltkriegs zum Opfer fiel. Da auch das Charlottenburger Schloss größtenteils kriegszerstört war, wurde die Schlosskapelle im Zuge des Wiederaufbaus rekonstruiert und ab 1965 durch die West-Berliner Orgelbauwerkstatt Karl Schuke ein neues Instrument geschaffen. Es wurde 1970 mit einer kleinen Konzertreihe eingeweiht.

Um das historische Vorbild weitgehend nachzubauen, arbeitete die Firma Schuke unter Beratung des Hamburger Organologen Helmut Winter mit Fotos, Archivalien, erhaltenen Teilen und Tonaufzeichnungen. Die Disposition wurde rekonstruiert. Material und Mensuren des Pfeifenwerkes orientieren sich weitgehend an den Vorbildern Arp Schnitgers, während bei Klaviaturumfängen und Pedaleinschub Anpassungen an die heutige Praxis vorgenommen wurden. Geblieben ist der um einen Halbton niedrigere Stimmton (Kammerton 415 Hz.), die Temperierung ist ungleichstufig (1/5 synt. Komma).
 

Eine digitale Kurzführung auf YouTube gibt einen kleinen Einblick.

Am Sonntag, den 19. September von 14 Uhr bis 16.30 Uhr erklingt die Schnitger-Orgel in der Schlosskapelle Charlottenburg jede halbe Stunde. Eintritt über das Schloss Charlottenburg – Altes Schloss. Es ist keine Anmeldung notwendig.
Weitere Informationen zur Veranstaltung

Alles Weitere zum Orgeljahr 2021 auf der Webseite des Landesmusikrates
 

Weitere Informationen zum Schloss Charlottenburg – Altes Schloss


Ein Beitrag von Birgit Morgenroth, SPSG

 

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