Im Vestibül der Villa Liegnitz werden die Besucher:innen der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg in ein changierendes „Gespinst“ vor schwarzem Grund gezogen, aus dem Prinz August Wilhelm von Preußen beim sogenannten Hitlergruß gespenstisch hervorscheint.
Beim Eintritt in den Raum bleibt unentscheidbar, ob die hellen Weben den Prinzen sichtbar machen oder ob sie den Grüßenden verschlucken. Außerdem zerfallen die Linien in der Nahsicht in Pixel, sie wirken digital, diskontinuierlich und brüchig, schimmern farbig im Licht, verweisen auf Gegenwart und Zukunft. August Wilhelm von Preußen ist sichtbar nicht als Abbild gegeben, sondern zwischen Erscheinen und Verschwinden gehalten, angedeutet aus wenigen Informationsbausteinen.
Die Bildinformationen stammen von einer Fotopostkarte, die den Prinzen bei der mustergültigen Performance des sogenannten Hitlergrußes festhält. Er ist erkennbar, aber austauschbar und steht paradigmatisch für die gewaltige Zahl der Deutschen, die für den Nationalsozialismus einstanden und am „Dritten Reich“ mitgewirkt haben.
Der virtuelle Raum erinnert damit nicht nur an die Verstrickungen und Hirngespinste des Prinzen, die er in der Villa Liegnitz ausgelebt hat. Er wird darüber hinaus zur Allegorie für die Verstrickungen seiner Zeitgenoss:innen sowie die unlösbare Verflechtung der nachgeborenen Generationen mit der NS-Zeit. Das „Gespinst“ umkreist und erfasst die Besucher:innen und warnt vor Wiederholungen.
Digitale Radierung und virtueller Raum
Das „Gespinst“ entsteht durch digitale Radierung: Das Liniengeflecht wird aus einer schwarzen Bildebene radiert, der die Postkarte von August Wilhelm unterlegt ist. Das Foto wird allein in den radierten Linien sichtbar. Die extreme Skalierung verleiht der negativen Zeichnung Präsenz, betont dabei ihre digitale Herstellung und Fraktalität.
Zudem überschreitet „Gespinst“ die zweidimensionale Bildfläche. Es erfasst den gesamten Empfangsraum und entsteht als ebenso konkretes wie virtuelles Panorama, das weder Abbildung noch Nachbildung von Wirklichkeit ist.
Immaterialität
Die Virtualität wird durch immaterielle Materialisierung pointiert: „Gespinst“ wird auf einer silbernen, hochglänzenden Vliestapete ausgedruckt. Die Farbabstufungen der Pixellinien sind abhängig von der Transparenz bzw. Dichte des Schwarzpigments, die den spektral changierenden Hintergrund durchscheinen oder erstrahlen lässt. Bei der Bewegung durch den Raum wandert die Lichtreflexion mit und der Bildraum ändert seine Anmutung.
Das schillernde Farbspektrum des Hintergrunds gibt dem Vestibül zudem etwas Luxuriöses, eine gewisse Frivolität, die auf die Feste anspielt, die August Wilhelm zu Ehren seiner Nazi-Gäste arrangierte. Es korrespondiert auch mit den Dekorationen und spielt auf die herrschaftliche Geschichte der Villa Liegnitz an.
Realisierung
Das Projekt wird zusammen mit einem Spezialisten für Tapetendruck nach den exakten Raummaßen auf 53 cm breit laufender Vliestapete für die glatten Wandflächen umgesetzt. Ein Malermeisterbetrieb übernimmt die präzise Montage vor Ort. Die Tapete ist lichtecht und wird mit lichtechtem Pigment bedruckt. Der Hersteller garantiert eine Mindesthaltbarkeit von 20 Jahren bei sachgerechter Verarbeitung. Das gesamte Projekt wird digital archiviert, so können bei Beschädigungen einzelne Bahnen nachgedruckt werden. Ob im Empfangsraum eine erläuternde Tafel mit dem Ausdruck der Postkarte und erläuterndem Text angebracht wird, ist mit der Auftraggeberin zu erwägen.